Winter-Wunderland: Kiruna Schneefestival 2014
Acht Uhr. Draussen sind es minus 37 Grad und es ist stockdunkel. In Kiruna wird es heute auch nicht mehr viel wärmer. Ich und meine beiden Mitstreiterinnen, Ilka Raupach und Malou von Simson, sind das deutsche Team beim »International Championship of Snowsculpting«, das während des Kiruner Schneefestivals ausgetragen wird. Wir beklagen uns natürlich nicht. Wir wussten ja, worauf wir uns einlassen und natürlich sind wir aufgeregt, denn wir vertreten mit unserer Schnee Schneekunst im hohen Norden nicht nur uns selbst, sondern auch unser Land.
Die Umrisse der Abraumberge am Stadtrand von Kiruna sind kaum zu erkennen, die Bauscheinwerfer hüllen das gesamte Areal in ein gleißendes Licht, als wir die Baustelle im Järnvägsparken erreichen. Zum ersten Mal stehen wir vor dem neun Kubikmeter großen Würfel aus Schnee, der unser Rohmaterial darstellt. Nur mit einer langen Leiter erklimmen wir den Kubus. Große Werkzeuge wie Spaten, Sägen und ein Podest stehen bereit, um uns die Arbeit zu erleichtern.
Schwitzen bei minus 35 Grad
Nach kurzer Absprache im Team und einem Blick auf unser vorab gefertigtes Gipsmodell legen wir den Zollstock an und tragen die Hauptmaße unserer Skulptur ab. Unser Werk wird den Titel A wonderous encounter tragen, wenn es fertig ist. Wir geraten ins Schwitzen – bei minus 35 Grad. Kaum zu glauben!
Das Schneefestival in Kiruna wird bereits seit 1985 gefeiert. Internationale Künstlerteams, die überdimensionale Skulpturen aus Schneekuben erschaffen, gehörten von Anfang an dazu. Ähnlich wie in Sapporo, Quebec oder Harbin, die ebenfalls große Winterfestivals ausrichten, ist auch der Ableger in Kiruna inzwischen ein echter Publikumsmagnet für Einheimische und Touristen aus aller Welt.
Bei der Kälte ist die Arbeit zehrend. Selbst die Einheimischen erzählen uns, dass es in diesem Jahr in der Stadt ungewöhnlich kalt ist. Zum Mittagessen glühen unsere Wangen. Wir sitzen im warmen Hotel und schauen durch die großen Fenster hinunter auf die Baustelle. Drei Tage haben wir Zeit, bis die Jury die Ergebnisse bewertet und das Publikum seinen Favoriten wählt.
Wir sind froh, dass wir ein paar Tage früher angereist sind, um uns an die sehr kurzen Tage mit dem schummrigen Licht und die extremen Temperaturen gewöhnen zu können. Wir waren in Poulsta, in der Nähe von Kiruna, und haben die winterliche Landschaft genossen und Elche und Nordlichter beobachtet. Ilona, eine Deutsch-Schwedin, war dort unsere Gastgeberin. Sie begleitet uns auch während der Wettbewerbstage, und ihre Geschichten über die Menschen im hohen Norden Schwedens helfen uns dabei, eine Schneeskulptur zu kreieren, die eng mit der Stadt Kiruna verknüpft ist. Im Herbst hatten wir uns beim Festival-Komitee mit der Idee beworben, ein überdimensionales prähistorisches Insektenei zu erschaffen, um darauf aufmerksam zu machen, dass es in den Eisenerzgruben der Stadt schon vor vielen Millionen Jahren Leben gab. Niemand weiß, was es für die Stadt bedeutet, wenn womöglich auch heute noch Leben in den Gruben schlummert. Ein brisantes Thema, denn die Stadt Kiruna muss aufgrund des Eisenerzabbaus demnächst umziehen (siehe NORR 2/2013).
Eine wundersame Begegnung
Ilka Raupach ist die erfahrenste unter uns, sie nahm schon ein Jahr zuvor an dem Festival teil und lernte dabei die jungen Leiter kennen. Jonas, Dennis, Viktor und Ludde von Tusen Toner, Kirunas größtem Musikverein, lieben die Musik und die Kunst und wollen ihr Publikum begeistern. Deshalb stecken sie all ihr Herzblut in die Organisation des Schneefestivals und kümmern sich mit einer Handvoll Freiwilliger hingebungsvoll um die Betreuung der eingeladenen Künstler.
Stunde um Stunde graben wir uns durch den Schnee voran – und tatsächlich nähert sich die große Form immer mehr unseren Vorstellungen an. Es gibt aber Momente, in denen wir fast verzweifeln und nicht mehr daran glauben, dass die Skulptur so wird, wie wir uns das gedacht haben. Doch am Samstag ist es dann vollbracht: A wonderous encounter ist fertiggestellt und wird der Öffentlichkeit präsentiert. Es ist wieder besonders kalt, minus 32 Grad. Noch bis zur letzten Minute haben wir geschliffen und gesägt, damit die Konturen stimmen. Jetzt schaffen wir es auch endlich, die anderen Skulpturen anzuschauen – die Italiener kreierten eine Familie aus Schnee und die Mexikaner einen abstrakten Würfel.
Jetzt kommt auch das Publikum. Dutzende Kinder klettern in unsere Skulptur hinein und wollen gar nicht wieder heraus. Die »Höhle« ist so groß, dass drei Kinder bequem darin Platz finden. Schon in den Stunden vor der Eröffnung und am vorletzten Tag kamen ganze Kindergruppen vorbei und bestaunten neugierig den neuen »Schneespielplatz«.
Den ersten Preis gewinnt das holländische Team, dessen Skulptur einem Schneekristall nachempfunden ist. Der Publikumspreis geht an die Engländerinnen, die ein Eichenblatt aus Schnee kreiert haben. Leider gehen wir leer aus, doch zumindest die Herzen der Kinder haben wir gewonnen!