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Auf den Spuren der Sámi

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Yngve Ryd weiß alles über Bären, Wölfe, Schnee und die Kunst des Feuermachens. Doch damit würde der zurückhaltende Bücherschreiber nie prahlen. Denn sein Wissen hat er den alten Sámi zu verdanken.

Feuer wärmt. Es hat eine beruhigende und inspiriende Wirkung. Birkenscheite brennen am besten. Das ist im Großen und Ganzen, was ich über Feuer wusste. Yngve Ryd hat ein ganzes Buch über Feuer geschrieben. 423 Seiten über die samische Kunst des Feuermachens. Er hat sich nicht damit begnügt, nur am Feuer zu sitzen und sich inspirieren zu lassen. Er hat sich gefragt, wie man eigentlich Feuer macht, wenn es regnet, schneit oder stürmt. Ob wohl alles Holz gleich gut brennt? Neun alte Rentierzüchter hat er jahrelang zum Feuer ausgequetscht. Denn wer wüsste darüber besser Bescheid als die alten Sami, die bis in die sechziger Jahre mit ihren Rentierherden durch Wälder und Fjäll wanderten? Da war Feuer lebensnotwendig.

DIE KUNST DES FEUERMACHENS

Als ich Yngve Ryd und einen seiner Feuerexperten treffe, um über das Feuerbuch zu reden, fahren wir natürlich in den Wald, auf den Berg Ruovddevárre bei Jokkmokk. Es wird sichtlich Frühling, doch hier und da weigert sich der Schnee, den Blaubeerbüscheln zu weichen. Nils-Henrik Gunnare ist 82 Jahre und hat sein ganzes Leben als Rentierzüchter gearbeitet. Er fängt schon mal an, ein paar Birkenzweige kreuz und quer zu schichten. Damit Luft reinkommt, wie er erklärt. Der Schriftsteller hingegen hantiert mit der Axt im Gebüsch, um frisches Holz zu schlagen. Die beiden wirken wie ein altes Ehepaar. Gönnerisch lobt der pensionierte Rentierzüchter den Schriftsteller, dass er das richtige Holz anschleppt: Salweide. Die brennt auch als Frischholz sehr gut. Gemeinsam waren Yngve und Nils-Henrik oft im Fjäll, um mit Salweide und Krüppelbirke Feuer zu machen. Und um mit Weidengestrüpp ein ganzes Bett aus wärmender Glut zu bereiten. Zur Nachahmung nicht empfohlen!

DIE EWIGE WAHRHEIT DER DINGE

Genervt habe die ganze Fragerei nie, versichert Nils-Henrik. Stundenlang, tagelang, mehrere Jahre gar, hat Yngve Ryd mit seinen Feuerexperten zusammengesessen. Sie bis ins letzte Detail ausgefragt, regelrecht gemolken! „Die Interviews oder Verhöre, finden teils in einer Art Trance statt,“ erinnert sich Yngve. Er fragt, schreibt auf, hat neue Fragen, die wieder neue ergeben. Und schlussendlich werden dicke Bücher daraus, über altes Volkswissen, das bisher nur mündlich weitergegeben wurde. „Musik und Tanz haben mich nie sonderlich interessiert. Das ist doch beliebig“, erklärt Yngve. „Man kann ein Lied dichten und ein zweites, was macht das schon? Beim Feuermachen aber, gibt es unendlich viele Details zu beachten, und man kann viel variieren. Das kann man aber nicht beliebig machen, dann gibt’s keine Flammen. Das ist eine Art ewige Wahrheit. Das ist faszinierend.“
Die ewige Wahrheit in den Dingen zu finden, dies faustische Streben treibt Yngve Ryd an. Der 56-Jährige ist ein sehr stiller Mensch. Der Gang bedächtig, die Worte gewählt, der Blick vorsichtig forschend. Yngve Ryd ist ein höflicher Mensch, der sich der Natur mit Demut nähert. Yngve ist mit seinen beiden Geschwistern praktisch im Wald aufgewachsen. Ende der fünfziger Jahre arbeitete der Vater als Holzkutscher in den Wäldern westlich von Jokkmokk. In der kleinen Holzfällersiedlung wohnten etwa 10 Männer, Yngves Mutter kochte für die Truppe, die Kinder waren ganze Winter bis zur Schuleinführung mit den Eltern im Wald. Zwanzig Jahre später schrieb Yngve sein erstes Buch über die Waldarbeiter im Forst (Timmerskogen), und elf Jahre später über den Holztransport mit Pferden (Timmerhästens Bok).

EINE WÜRDIGUNG DES VOLKSWISSENS

Später folgten das Schnee-Buch (Snö), das Feuer-Buch (Eld), sowie das Buch über Rentier und Wolf (Ren och varg). Auch daran hat Nils-Henrik Gunnare mitgewirkt. Er beschreibt, wie er als Kind Fische fing. Mit einer Drahtschlaufe. Man muss die richtige Stelle finden, wo der Fisch quasi „steht“, dann schnappt die Schlaufenfalle zu, und das Abendbrot ist gesichert. Nilas Tuolja, ein anderer Feuerkenner, erzählt gar, dass er als Kind mit Bärenjungen Verstecken spielte. Hat man das schon mal gehört? Kaum. Vom Aha-Effekt abgesehen, welchen Nutzen zieht der Mensch der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft von diesem alten, ewigen Wissen? „Nutzen und Nutzen“, sagt Yngve nach kurzem Überlegen. „Ich denke nicht so oft darüber nach. Ich mache einfach, was mir Spaß macht und forsche darüber, was ich interessant finde.“ Vor fast einhundert Jahren schrieb der Same Johan Turi aus Jukkasjärvi sein Buch über das Leben der Sami. Zum ersten Mal berichtete ein Same über das alte Wissen seines Volkes.
Seitdem hat sich kaum jemand um dies „stille Wissen“ bemüht. Yngve Ryd tat es. Doch er ist nicht nur der stille, überlegte Schreiber. Er kann sich auch aufregen: Dass all die Überlebenskurse, die für teures Geld angeboten werden, nicht auf dem Volkswissen der Sami fußen! Dass niemand die Indianer befragt! Und er wird nahezu theatralisch, wenn er den Zuhörern bei einer Lesung zeigt, wie die samischen Jäger einen Bären töteten. Dann steht er in Wollsocken auf dem Tisch mit seinem selbstgebastelten Bärenspeer und erklärt, warum der Speerschaft gekrümmt sein muss. Falls man das Herz nicht sofort trifft, kann man etwas nachdrehen! Yngve Ryd hat noch unendlich viele Fragen, auf die er Antworten sucht. Wie man über einen Sumpf geht, ohne einzusinken. Wie man kalte Quellen findet. Kurz, wie man weiterkommt und einen Teil der ewigen Wahrheit findet.