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Jordnära: Zurück zu den Wurzeln

Das Wissen über wilde Pflanzen sollte laut Roland Rittman zur Allgemeinbildung gehören.

Das Wissen über wilde Pflanzen sollte laut Roland Rittman zur Allgemeinbildung gehören.

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Das dänische Restaurant Noma wurde kürzlich zum besten Restaurant der Welt gekürt. Viele seiner Zutaten bezieht der Gourmettempel von einem bärtigen Mann aus Schonen. Roland Rittman ist so etwas wie der königliche Hoflieferant der viel gepriesenen neuen nordischen Küche.

Eines Tages hatte Roland Rittman, 62 Jahre und aus Schonen, genug davon, arbeitslos zu sein. Er packte ein paar seiner selbst gesammelten Pilze und ein bisschen Gemüse zusammen und stellte sich damit auf einen Wochenmarkt. Er kam auf den Geschmack – unter Leuten zu sein und Pilze zu verkaufen war eine gute Beschäftigung. Aber leider kein gutes Geschäft.

Doch dann sah Roland einem Kollegen zu, der frische Brennnesseln an seinem Stand verkaufte. In seinen jungen Jahren war er bei den Naturschützern und in der Umweltbewegung aktiv gewesen. Und so kam er am nächsten Tag mit Brennnesseln, Bärlauch, Hagebutten, Löwenzahn und anderen wilden Pflanzen auf den Markt. Da wusste er noch nicht, dass die »Neue Nordische Küche« kurz vor ihrem großen Durchbruch stand und er mit seinen Pflanzen zum Trendsetter werden würde – für einen Trend, der die Geschmäcker der ganzen Welt beeinflussen sollte. Als die Gefriertruhe voll war und seine Frau anfing zu protestieren, entschied Roland sich, den Verkauf noch stärker anzukurbeln.

Er fuhr mit dem Auto verschiedene Restaurants ab und versuchte, seine Pflanzen dort an den Mann zu bringen. Mit Erfolg. Einer seiner Abnehmer war René Redzepi vom Feinschmeckertempel Noma in Kopenhagen – der Pionier der neuen Küche in Skandinavien. Danach war nichts mehr wie vorher.

Heute hat sein Unternehmen »Jordnära Natur & Kultur« in Anderslöv vier Angestellte, ein neues Gebäude und einen neuen Kühlwagen und verkauft Kräuter, Unkraut und Pilze an einige renommierte Gourmet-Restaurants. Überwiegend in der Öresund-Region, aber auch in anderen Teilen Skandinaviens. Sein größter Kunde im vergangenen Jahr war das Restaurant Lejontornet in Stockholm – eine von Schwedens besten Adressen für Feinschmecker und Gourmet-Fans.

Für Roland Rittman ist es kein Wunder, dass die »Neue Nordische Küche« so beliebt geworden ist. Im Gegenteil – er findet das eigentlich selbstverständlich. Am Anfang war der Mensch Jäger und Sammler.

Doch als die Landwirtschaft kam und danach die Industrialisierung, verschwand das Wissen über wilde, essbare Pflanzen. Es war wichtiger, Saatgut für Pflanzen zu besitzen, die man anbauen konnte. In diesem Sinne ist die neue Küche im Norden eine Bewegung, die zurück zu den Wurzeln führt. »Früher haben sich die Menschen von Samen, Kräutern und Rinde ernährt, wenn sie nichts säen und ernten konnten. Sie wussten genau, was man essen konnte. Und heute habe ich in den Nachrichten gehört, dass Rindenbrot sehr gesund ist. Das, was man früher als Armenkost bezeichnet hat, ist eigentlich sehr gesundes Essen«, sagt Roland.

»Das Schlimmste ist, dass wir uns von der Natur entfremdet haben. Statt richtiger Vitamine, die aus selbst gesammelten Beeren stammen, kauen wir auf Kapseln aus einer Plastikdose herum. Wir wissen nicht, was gut für uns ist«, fügt er hinzu.

Das Interesse an wilden Zutaten nimmt laut Rolands Beobachtung weiter zu – nicht nur bei den Trendköchen und ihren Restaurants, sondern auch bei Otto Normalverbrauchern. Er bietet mittlerweile auch Wanderungen an, bei denen man sich über wilde, essbare Pflanzen informieren kann. Er selbst ist ein großer Fan von Bärlauch.

Im Spätsommer, wenn der Bärlauch überreif ist und die Blätter ewas verbraucht sind, trocknet er die Kapseln und legt sie ein. Daraus werden dann »nordische Kapern«. »Allgemeinbildung ist sehr wichtig, nicht nur, weil man dann weiß, wie man sich ernähren sollte, sondern auch, weil das Wissen über die Pflanzen ein Kulturerbe ist. Es ist doch toll, dass wir so viele verschiedenene Zutaten haben, die man einfach in der Natur finden kann!«
Eine goldene Regel sollte man beim Pflücken von wilden Pflanzen allerdings beachten: Nie die Wurzel mit herausziehen! Das, was diese hervorbringt ist zum Ernten und Essen da, aber nicht der Kern des Wachstums.