Abstecher ins Blaue

Ein kurzer Blick auf die knappe Wikipedia-Seite verrät, dass die über 2 000 Seen und die lange Küstenlinie entlang des Vänern Dalsland die Bezeichnung »Schwedische Seenplatte« eingebracht haben. In einem Land wie Schweden, das bereits für seine vielen Seen bekannt ist, sagt das eine Menge. Eine Satellitenansicht mit fast 50 Prozent blauen Pixeln in Google bestätigt dies. Die restlichen 50 Prozent Grün zeigen, dass es hier auch viel Wald gibt. Värmland ist ein reizvolles Fragezeichen für jeden angehenden Entdecker: In den kommenden Tagen wollen meine Familie und ich gemeinsam mit zwei guten Freundinnen auf einem Triathlon aus Rad-, Wander- und Paddeltour die Schwedische Seenplatte erkunden.

Die Vier Schlüssel zur Gesundheit

Die Sonne steht hoch am Himmel und unsere erste selbst ernannte Mission auf dieser Reise ist es, auf einem kleinen Berg zu wandern. So begeben wir uns auf den sanften Hügel hinauf zum B&B Kroppefjäll, wo unsere Gastgeberin Eva Petrén uns mit einem breiten Lächeln begrüßt und erklärt, dass das B&B früher ein Sanatorium war, in das Tuberkulosekranke kamen, für die es damals keine wirksame medizinische Behandlung gab. »Die einzige Hoffnung bestand darin, Kraft aus dem Inneren zu schöpfen. Der Initiator, Doktor Saedén, verstand, dass diese Kraft vor allem durch vier Dinge genährt werden kann: Ruhe, Kultur, Natur und Essen.«

Nun ist Eva bestrebt, das B&B zu nutzen, um Doktor Saedéns Rezept für Wohlbefinden wieder aufleben zu lassen. »In einer Zeit, in der wir fast alle geistigen und körperlichen Beschwerden medikamentös behandeln, vergessen wir, dass uns diese anderen Methoden zur Verfügung stehen«, sagt sie. Ich muss skeptisch wirken, denn sie bietet uns an, uns auf einen Rundweg um den See zu führen, die Doktor Saedéns Runda (dt. Runde), die Naturschönheiten mit kulturellen Elementen wie Kunst und Denkmälern verbindet. Ein paar Schritte in den umliegenden Wald hinein und ich höre das leise Rauschen einer hängenden Birke in der Nähe, die von einer unsichtbaren Brise bewegt wird. Meine Nase atmet den Duft von Flieder und Kiefern ein.

Ich beobachte, wie der See schimmert, wenn kleine Schwärme von Kaulquappen knapp unter der Wasseroberfläche vorbeiziehen. Im Wasser spiegelt sich eine ganze Palette von Grüntönen und ein wolkenloser, cyanblauer Himmel, der nur von dem schwachen Streifen einer Mondsichel begleitet wird. Die Schultern senken sich, Schritte werden leichter, das Lächeln wird breiter. Ich schaue zu den anderen hinüber. Ihren heiteren Mienen nach zu urteilen, verstehe ich, dass ich mit dieser Erfahrung nicht allein bin. Eva nickt. Sie weiß, dass sie gewonnen hat. Im Anschluss an die Wanderung lassen wir den Abend bei einer von uns selbst zubereitete Mahlzeit über dem Feuer am B&B Kroppefjäll ausklingen.

Elektrifizierung aller Dinge

Am nächsten Morgen stehen wir früh auf und fahren nach Baldersnäs. Nicht ganz beim ersten Tageslicht, da die Sommer auf diesem Breitengrad sowohl tagsüber als auch nachts im Wesentlichen hell sind. Unser Guide Erik Josefsson von The Dalsland Experience steht bereits neben aufgereihten Fahrrädern und hat eine Karte gezückt. Wir sehen uns eine 40 Kilometer lange Route an, die von Baldersnäs nach Åmål führt. »Zu Beginn geht es mühsam bergauf, aber danach kommen eine Menge aufregender, steiler Abfahrten«, erzählt Erik. Etwas an fast jedem Wort dieses Satzes bringt mich dazu, mich umzudrehen und meine beiden Kinder anzusehen. Noch nie ging es für sie so weit und so steil bergauf. Unsere Siebenjährige würde keine 40 Kilometer mit dem Fahrrad zurücklegen und wir hatten geplant, dass einer von uns sie mit unserem Elektroauto unterstützen würde, sobald sie absteigen will. Und würde mein Sohn die ersten Hügel hinaufkommen und noch Energie für den Rest haben? Sicherheitshalber steigen er und ich auf ein Elekrorad um.

Wie vermutet, gibt meine Jüngste nach den ersten paar Kilometern auf – sie ist froh, die anderen bequem von ihrem Kindersitz aus anfeuern zu können. Wir fahren durch unberührte Wälder und folgen Schotterstraßen, auf denen wir kaum ein anderes Fahrzeug sehen. Um unseren Blutzuckerspiegel aufrechtzuerhalten, sorgt Erik dafür, dass wir an den richtigen Stellen Snackpausen einlegen – hier eine schöne Aussicht, dort ein ruhiger See. Auf halber Strecke machen wir im Café Not Quite, das sich vom
Industrie- zum Kunstzentrum gewandelt hat, Mittagspause. Mit vollem Magen steigt mein Sohn zu seiner Schwester ins Auto und lässt die Erwachsenen zurück, um die Tour zu beenden. Wir überqueren hügelige Felder, um müde und doch beschwingt am Ufer des Vänern anzukommen. Wir genießen eine Pizza und beobachten, wie die Sonne langsam hinter dem Kirchturm der malerischen Stadt Åmål untergeht. Danach geht es zurück nach Baldersnäs, wo wir uns in unserer Unterkunft auf dem Baldersnäs Herrgård ausruhen können.

Stiere am Ende der Welt

Als wir am nächsten Morgen aufwachen, dringt das tiefe Muhen der Kühe durch die offenen Fenster des Gästehauses. Mit müden Augen machen wir uns auf den Weg zum Frühstück im stattlichen Haupthaus, wo frisch gepresster Orangensaft, selbst gebackenes Brot und geräucherter Lachs auf uns warten. Der Aufstieg von Baldersnäs ist untrennbar mit dem der Eisenindustrie in Dalsland im 18. Jahrhundert verbunden. Denn obwohl das Eisenerz selbst in einer Entfernung von über 100 Kilometern abgebaut wurde, verfügte die Region um Baldersnäs sowohl über den nötigen Brennstoff als auch über Wasserkraft, sodass es sich lohnte, das Erz per Schiff und Fuhrwerk zu transportieren. Damals wie heute waren das blaue Wasser und die grünen Wälder die größte Attraktion Dalslands.

Für unseren Kanutrip hieven wir die Boote auf den Laxsjön. Nur das leise Plätschern unserer Paddel und Vogelgezwitscher erfüllen die Luft, als wir ablegen. Die Kinder und ich singen unser Lieblingspaddellied, laut und schräg. Wie ein Schwan gleiten wir durch das Wasser, wobei jeder Paddelschlag verschlungene Muster auf die Seeoberfläche zaubert. Wir haben den See ganz für uns allein. Am Ende der Halbinsel machen wir halt, um zu picknicken, bevor wir sie an Land erkunden.

Ich bin beeindruckt von dem kathedralenartigen Raum, der unter dem Blätterdach dieser alten Bäume entsteht. Doch ein Schild mit der Warnung »Bullen auf freiem Fuß« bereitet meinen Träumereien ein schnelles Ende. Ich bin an Begegnungen mit Bären, Wölfen und sogar Berglöwen in der Wildnis gewöhnt. Aber Stiere? Was macht man da? So ziehen wir uns zügig in die Kanus zurück. Als ich früh zum Abendessen erscheine, sehe ich, dass sich noch andere elegant gekleidete Gäste im Speisesaal befinden. Plötzlich merke ich, dass meine geflickte und matschige Trekkinghose etwas fehl am Platz ist. »Hier gibt es keine Kleiderordnung«, versichert mir der Oberkellner und macht damit meine letzte Hoffnung auf ein bisschen Drama, irgendwas, das nicht zu hundert Prozent stimmt, zunichte. Das abschließende Abendessen im Baldersnäs Manor ist ein kulinarischer Genuss und der perfekte Abschluss unseres noch perfekteren Abstechers nach Dalsland.

Mehr Inspiration zum Paddeln, Wandern und Radfahren in Dalsland gibt es hier!