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Eishotel Jukkasjärvi: Ein Künstlertagebuch

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Geertje Jacob und Gaston Vacaflores gehören zu 25 Künstlern, die im Auftrag des Eishotels in Jukkasjärvi eine Art Suite aus Eis und Schnee gestalten dürfen. Mit Kettensäge, Meißel und Hammer schaffen sie ein Kunstwerk, das eine Lebensdauer von nur vier Monaten hat. Ein Tagebuch.

Tag 0: Welt aus Eis und schnee

Als ich in Kiruna, 200 Kilometer nördlich des Polarkreises, aus dem Flugzeug steige und mich die eiskalte und trockene Luft empfängt, scheint Deutschland und mein Leben dort plötzlich sehr weit weg zu sein. Kaum zu fassen, dass ich am Morgen noch in Potsdam bei meiner Familie war. Jetzt stehe ich mit meinem Kollegen Gaston Vacaflores vor einer der spannendsten Aufgaben meiner bisherigen Künstlerlaufbahn. Mit unserer Idee Elliptical wurden wir zusammen mit 15 anderen internationalen Künstlerteams aus 250 Bewerbern ausgewählt, im Icehotel in Jukkasjärvi eine Art Suite aus Eis und Schnee zu gestalten. Das Hotel, das jedes Jahr aus Eisblöcken des nahe gelegenen Flusses Torneälven neu entsteht, zieht in der Wintersaison rund 30 000 Touristen und 15 000 Übernachtungsgäste aus aller Welt in seinen Bann. Die Art Suites sind exklusiv gestaltete Zimmer, die jedes Jahr von verschiedenen Künstlern aus aller Welt individuell gestaltet werden. Während wir durch die verschneite Landschaft mit dem Bus nach Jukkasjärvi zu unserer kleinen Hütte in unmittelbarer Nähe der Baustelle des Icehotels fahren, wird mir erst richtig bewusst, dass ich in den nächsten Tagen tatsächlich ein Teil eines der fantastischsten und verrücktesten Bauprojekte der Welt sein darf.

Tag 1: Es kann losgehen

Es ist noch dunkel als wir uns um 9 Uhr mit den etwa 25 anderen Künstlern zum Frühstück treffen. Es wird Spanisch, Englisch, Schwedisch, Holländisch, Litauisch und Italienisch gesprochen. Die Stimmung ist gut. Der Art-Direktor des Icehotels, Arne Berg, begrüßt uns und gibt uns eine theoretische Einführung in die Geheimnisse der Architektur. 1 500 Tonnen Eis werden jährlich im Fluss Torneälven »geerntet«, den Sommer über eingelagert und zusammen mit 40000 Kubikmetern Schnee zum Bau des neuen Icehotels verwendet, das Jahr für Jahr größer wird. Dieses Mal wird es 68 eisige Die Zeit drängt: In weniger als sechs Wochen muss aus dem Nichts ein bewohnbares Eiskunstwerk entstehen.Hotelzimmer geben. Auch eine Deluxe-Suite mit Sauna, eine Kirche, eine Ausstellungshalle und eine Eisbar sind Teil des Hotels. Die Zeit drängt: In weniger als sechs Wochen muss aus dem Nichts ein bewohnbares Eiskunstwerk entstehen. Endlich stehen wir mit Werkzeugen und Arbeitsklamotten ausgerüstet im Rohbau unserer Suite. Gaston ist Landschaftsgärtner und es gewohnt, viel und hart an der frischen Luft zu arbeiten. Er kennt sich außerdem auch gut mit Kettensägen aus. Ein echter Vorteil, wie sich zeigen soll. Mit den Fingern kratze ich an der weißen Wand. Sie ist hart wie Beton. Das künstlich erzeugte Snice, eine Mischung aus Schnee und Eis, das ebenfalls als Baumaterial dient, gefriert innerhalb weniger Tage und bildet die tragende Konstruktion des Gewölbeganges, der in verschiedene Bauabschnitte unterteilt ist. Die Raumtemperatur beträgt -5 °C. Es kann losgehen.

Tag 2: Learning by doing

Wir probieren die verschiedenen Werkzeuge aus: Wie schneidet man einen Eisblock mit der Kettensäge? Wie formt man Schnee, sodass eine feste große Form entstehen kann? Welchen Meißel benutzt man für welche Eisform? Wie klebt man Eis, wenn man zu viel abgestochen hat? Unglaublich viele Fragen, auf die wir im »Trial and error«-Verfahren und durch genaues Beobachten unserer Künstlerkollegen im Laufe der Tage versuchen werden, eine Antwort zu finden. Die Arbeit ist schweißtreibend – ganz wie auf einer gewöhnlichen Baustelle ist voller Körpereinsatz gefragt. Ich schleppe, stemme und säge mit aller Kraft. Im Gegensatz zur Außentemperatur von -30 °C fühlt sich die Innentemperatur mittlerweile ganz behaglich an.

Tag 3: Ideal und Wirklichkeit

In Deutschland hatte ich bereits mit Handzeichnungen und 3D-Modellen einen Entwurf für die Suite erstellt. Es soll ein elliptischer Raum werden, in dessen Wand eine Bahn eingelassen ist. In dieser Bahn sollen Kugeln bis zu einer Auffangschale vor einem elliptischen Bett aus Eis rollen. Doch diesen Entwurf in die Realität umzusetzen, ist eine ganz andere Geschichte. Wir arbeiten eine geschlagene Woche daran, die Ellipse des Raumes bis auf eine Höhe von 2,2 Metern zu bringen. Um die elliptische Form hinzubekommen, müssen wir einerseits die Ecken des Raumes mit Schnee füllen und andererseits aus den Längsseiten Schnee entfernen. Mit der Motorsäge schneiden wir an den entsprechenden Stellen Wandteile des Rohbaus heraus. Am Abend habe ich Muskelkater in den Armen.

Tag 9: Ordnung muss sein

Wir sind mittlerweile ein eingespieltes Team, der Wecker klingelt um sieben Uhr und bis zum obligatorischen Frühstück und der Lagebesprechung haben wir meistens schon einiges weg. gearbeitet. Heute werden wir von den Verantwortlichen ermahnt, auch immer schön unsere gelben Warnwesten zu tragen, wenn wir auf der Baustelle sind, und die Werkzeuge immer an ihren angestammten Platz zurückzubringen. Es ist tatsächlich eine logistische Meisterleistung, die Arbeit der Künstler und des Bauteams nebst Radladern, Gabelstaplern, Gerüsten, Leitern und Kettensägen zu koordinieren. Wir sind jetzt eine gute Woche hier. Für alle Mitarbeiter findet heute eine große Party in Kiruna statt. Bei einem leckeren schwedischen Buffet ergibt sich endlich einmal eine Gelegenheit, sich mit den anderen Künstlern auszutauschen.

Tag 13: Auf der Zielgeraden

Es ist kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht, schon in einer Woche reisen wir ab. Es ist knackig kalt. Die Temperaturen liegen zwischen -27 und -35 °C. Die Sonne ist schon lange nicht mehr zu sehen. Dafür einige Nordlichter. Vor der Eingangstür unserer Suite lagern 90 Eisblöcke für unsere »Murmelbahn« à 60 x 20 x 10 cm. Sie werden mit einem selbstgemachten Werkzeug ausgehöhlt und Stück für Stück in einem ausgesparten Bereich in der Wand aneinandergesetzt. Das ist echte Millimeterarbeit. Winkel und Neigungen müssen exakt berechnet sein, damit die Murmel am Ende auch rollt. In fünf Tagen gibt es eine Vernissage für alle Beteiligten. Zwar haben wir danach noch fast 24 Stunden Zeit, Schönheitsreparaturen durchzuführen, aber dann sollte die Kugel auch rollen.

Tag 17: Die Kugel rollt

Alle sind nervös und räumen die letzten Werkzeuge, Kisten und Leitern aus dem Weg. Bis zur letzten Minute vor der Präsentation glätten wir die Innenseite der Murmelbahn mit einer speziellen Technik. Wir füllen warmes Wasser in eine Plastiktüte und ziehen sie durch die Bahn. So schmelzen kleine Kanten und Buckel, die der Murmel im Weg sein könnten. Bei den Probedurchläufen dringt ein wunderbares Klackern durch die Stille von Schnee und Eis. Gebannt lauschen wir der rhythmischen Bahn der Kugel. Als Die Erleichterung über die Fertigstellung der Räume ist uns förmlich ins Gesicht Aus einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von Künstlern ist in den letzten Wochen eine tolle Gemeinschaft entstanden.geschrieben.wir endlich mit allen anderen Künstlern gemeinsam von Raum zu Raum gehen, sehen wir tolle Kreationen. Manchmal dient die Suite als Galerie für eine oder mehrere großartige Eisskulpturen, manchmal als Bühne, auf der sich Fabelwesen tummeln, oder als Skulptur, in der das symbolisch rauschende Wasser des Torneälven strömt. Die Erleichterung über die Fertigstellung der Räume ist uns förmlich ins Gesicht geschrieben. Aus einer buntzusammengewürfelten Gruppe von Künstlern ist in den letzten Wochen eine tolle Gemeinschaft entstanden. Die extremen klimatischen Bedingungen haben sicher dazu beigetragen! Die Erfahrung, bei -30 °C zur Arbeit zu gehen und am Ende des Tages über ein Nordlicht zu staunen, oder am Abend todmüde in der Sauna zu sitzen, haben uns zusammengeschweißt. In der letzten Nacht schlafen auch wir in einem Raum aus Eis und Schnee, auf Rentierfellen gebettet. Es ist still und kühl – wie in einer anderen Welt.