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Auf nach Brimiland: Kulinarische Fjell-Reise

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Die Landstraße 51 erstreckt sich über das weitläufige Hochplateau Valdresflye. Jotunheimen ist bereits in Sichtweite. Die Journalistin Marit Sigurdson und die Fotografin Tina Stafrén befinden sich auf einer kulinarischen Reise durch Norwegen und sind auf dem Weg nach Brimiland, um die Kochkünste der Familie Brimi kennenzulernen.

Vianvang: Ein Fest für die Sinne

Wir nähern uns Brimiland von Norden, auf der Landstraße 51, die zu den sogenannten norwegischen Landschaftsrouten gehört. Einige Kilometer nachdem wir den See Vågåvatnet passiert haben, biegen wir nach rechts ab in Richtung Jotunheimen. Der kleine Schotterweg führt hinauf zum Wirklichkeit gewordenen Traum des norwegischen Starkochs Arne Brimi: Vianvang. Einige hundert Meter unterhalb der Häusergruppe parken wir. Aus Prinzip. »Es gibt hier zwei Regeln«, sagt Arne, als er uns und die übrigen Gäste im Innenhof in Empfang nimmt. »Man muss zu Fuß hierherkommen. Und wir trinken keine Softdrinks.«

Vianvang, das in der lokalen Mundart »Bergbraut « bedeutet, ist ein Ort, der sich nicht so leicht definieren lässt. Das ist Absicht: »Ich glaube, die Leute haben keine Lust mehr darauf, Teil eines Konzeptes zu sein«, erklärt Arne. Mit seinem breiten Dialekt und derben Humor ist es für Arne ein Leichtes, das Eis zu brechen. Wir prosten uns zu und bekommen die ersten Kostproben des Abendmenüs serviert, bevor die Dunkelheit sich über Jotunheimen senkt und wir ins Haus gehen.

Kulinarische Philosophie

Das Restaurant, das aus verschiedenen Sektionen besteht, wird vom Kerzenschein erleuchtet. Die großen Panoramafenster geben einem das Gefühl, über der hügeligen Waldlandschaft im Tal zu schweben. Die großen Holztische sind schon gedeckt, doch es soll noch eine Weile dauern, bis wir uns hinsetzen. An zwei offenen Kochstellen präsentieren die Köche kleine Happen, von denen wir gar nicht genug kriegen können. Entenbrust mit Rotkohl und Rosinen, Schweinebacke mit Steckrübenpüree, Graved Pfefferlachs mit Kaviar, Sourcream und roten Zwiebeln…

Schon jetzt unterscheidet sich dieses Dinner von anderen Restauranterlebnissen. Wir lassen die Lust am Essen den Rhythmus des Abends bestimmen. Mit jedem neuen Gericht tauchen neue Gesprächsthemen auf, werden unsere Geschmacksnerven noch ein wenig mehr herausgefordert und die Stimmung wird immer besser. Weil sich die Gäste immer wieder in neuen Konstellationen um das Essen sammeln, bekommt der Abend auch eine soziale Dimension. Ab und zu taucht Arne auf und serviert uns seine kulinarische Philosophie: »Heutzutage sind Mahlzeiten viel zu standardisiert, der Mensch gerät in den Hintergrund. Aber die meisten wollen sich nicht einfach nur hinsetzen, eine Karte in die Hand gedrückt bekommen und ein Konzept essen. Die Menschen wollen ein aktiver Teil ihrer Mahlzeit sein.«

Das Geheimnis der Soße

Die Beziehung zwischen Essen und Getränken ist laut Arne entscheidend für das Geschmackserlebnis. »Es gilt die Devise, dass es mehr Zutaten und Weine gibt, die zusammenpassen, als andersherum. Doch es ist die Soße, die den Ausschlag gibt. Und wenn man ein guter Weinkenner werden will, muss man viel Wein trinken«, behauptet er. Selber probiert er mindestens 5 000 verschiedene Sorten pro Jahr. Qualität geht klar vor Quantität. »Man kann sich zu viert zusammentun und einen 100-Euro-Wein kaufen und dann versuchen, alles über diesen Wein herauszufinden. Das garantiert ein besonderes Geschmackserlebnis«, verspricht Arne.

Nach zwei Vorspeisen, dem Hauptgericht und einem Dessertbuffet direkt aus dem Himmel sind wir selig und gehen hinaus, um den Mond anzuschauen. Arne, der den ganzen Abend mit dabei war, wirkt zufrieden. Mit Vianvang ist es ihm gelungen, uns anschaulich vorzuführen, was Luxus in der Restaurantbranche wirklich bedeutet. Erst wenn wir uns zum Essen in einer Umgebung befinden, wo wir uns zu Hause fühlen, entwickeln die Kompositionen ihr volles Potenzial. Ein Fest für die Sinne – mit dem Menschen im Mittelpunkt.

Brimi Fjellstugu: Kulinarische Wanderung

Die Fjellhütte Brimi existiert bereits seit sechzig Jahren und ist mit ihren 20 Zimmern und 40 Betten die kleinste ihrer Art in der hiesigen Bergwelt. Und solange Vegard Brimi ein Wort mitzureden hat, muss der Berggasthof auch nicht größer werden. Draußen treffen wir den Chef persönlich, der wie eine skandinavische Ausgabe von Robert Redford aussieht und seit seiner Kindheit hier lebt. Lange Jahre betrieben Vegards Eltern die Brimi Fjellstugu, wie sie auf Norwegisch heißt, bis er sie zusammen mit seiner Frau Eva übernahm.

»Wenn hier im Januar Stürme aufziehen und man kaum von einem Haus zum nächsten gucken kann, dann sehen wir einfach zu, dass wir genügend guten Rotwein und ordentlich Feuerholz im Haus haben«, erzählt Vegard. Heute können wir mildes, windstilles Herbstwetter genießen, aber über den Bergen von Rondane sind bereits die ersten Schneeflocken zu sehen. Vegard möchte mit uns einen Tagesausflug auf die Hochebene machen.

Tagesausflug aufs Hochplateau

Unten am See liegt die drei- bis vierhundert Jahre alte Sennhütte, wo im Sommer Milch produziert wird. Der Betrieb mit Weidetieren hat eine karge Landschaft entstehen lassen, die sanft mit den Berghängen verschmilzt. »Noch heute sind die Sennhütten für die Bauern im Tal wertvoller Weidegrund«, erzählt uns Vegard. In der Vergangenheit waren sie dagegen oft die einzige Einkommensquelle für die Menschen im Hochland.

Mit seiner wettergegerbten Hand deutet Vegard auf einen grauen Pfad, der zum Hochplateau hinaufführt. Diesem Weg werden wir folgen, um unser heutiges Ausflugsziel zu erreichen: eine einfache Rasthütte aus Stein, auf Norwegisch steinbu genannt. Nur vier Kilometer weiter entfernt liegt Arne Brimis Restaurant »Vianvang« (siehe Teil 1). Arne und Vergard sind schon seit ihrer Jugend miteinander befreundet und arbeiten heute eng zusammen. Gemeinsam betreiben sie etwas weiter entfernt ein Outdoorcamp, das verschiedene Aktivitäten in der Wildnis anbietet.

Familienbetrieb im Fjell

Landwirtschaftspolitik und industrielle Nahrungsmittelproduktion sind Themen, die Vegard besonders wichtig sind. Er ist eher skeptisch, was den Wert der Produkte betrifft, die wir im Supermarkt kaufen. Für die Küche auf Brimi gelten hohe Qualitätsstandards und Vegard macht ungern Kompromisse. »Bei der Auswahl unserer Rohwaren sind wir mit der Zeit immer sorgfältiger geworden. Das zahlt sich aus, auch wenn es ein paar Kronen mehr kostet. Unsere Gäste schätzen hochwertiges Essen. Niemand kommt den langen Weg hierherauf, um Hamburger zu essen.«

Nachdem wir den Bergkamm bezwungen haben, ist der restliche Weg bis zur Steinhütte, die an einem kleinen Bergsee liegt, leicht zu bewältigen. Vegards Schwiegersohn Yngve ist schon vorausgegangen, um das Feuer anzuzünden, und der Duft gegrillten Fleischs erfüllt die Hütte. Eine riesige Kaffeekanne steht bereit. Auch Vegards Tochter Lene und ihr Sohn sind mitgekommen. Die Fjellhütte ist ein richtiger Familienbetrieb.

Nach der Rückkehr können wir uns vor dem Abendessen noch einen kurzen Moment ausruhen. Unten im Restaurant nimmt uns Vegard in Empfang und präsentiert die Abendkarte. Für morgen schlägt er einen Ausflug zu einem der umliegenden Bäche vor, um dort nach Forellen Ausschau zu halten.

Brimi Sæter: Nur für Genießer

Ein paar Gäste erscheinen an der Gartenpforte. Hofhündin Tatri hebt den Kopf und demonstriert ihre mangelnden Wacheigenschaften, indem sie sich auf den Rücken rollt. Zusammen mit Hans Brimi und Ola Tangvik sitzen wir auf dem Hof am Tisch und frühstücken. Der Molkereiwagen kommt über den alten Traktorweg gerumpelt. Das morgendliche Melken ist beendet, und ein Stück weiter entfernt hören wir die Glocken der Brimi-Kühe läuten, die tagsüber frei in der Natur herumlaufen dürfen.

Vererbtes Wissen

Brimi Sæter gehört zu den wenigen Sommerhöfen, auf denen die Milch- und Käseproduktion sogar während der landwirtschaftlich krisenreichen Zeiten gegen Ende des 20. Jahrhunderts aufrechterhalten wurde. Viel hat der Hof Embjørg zu verdanken, einer Verwandten von Hans, die auf dem Hof arbeitete, bis sie 70 Jahre alt war. Sie gab das Wissen um die alten Traditionen an Hans und Ola weiter, als die beiden den Betrieb 2004 übernahmen. »Wir haben zwei Sommer mit Embjørg verbracht und die alte Tradition des Käsemachens von ihr gelernt«, berichtet Hans.

Unser Besuch auf Brimi Sæter ähnelt einem Ausflug in eine verschwundene Zeit, in der Heu, Milch und Eier die einzigen Einkommensquellen darstellten. Heute allerdings ist es wesentlich bequemer als früher; wir lehnen uns an die Hauswand und genießen das köstliche Frühstück: warme Milch direkt aus dem Kuhstall, selbstgebackenes Brot, frische Eier, verschiedene Käsesorten und Wurst- und Fleischwaren aus der Umgebung. Im Café werden auch selbst hergestellte Molkereiprodukte wie Sauerrahm, Butter und Käse verkauft. Der große Verkaufsschlager ist »Pultost«, ein körniger und streichfähiger Käse, der salzig und frisch schmeckt. »An jedem dritten Tag beliefern wir eine große Molkerei. Die restliche Milch bleibt hier auf dem Hof und wird in der Käserei verarbeitet.«

Raclette auf Norwegisch

Zum Abendessen steigen wir auf den ehemaligen Heuboden, der direkt über dem Kuhstall liegt. Unter dem Dachfirst steht der längste Tisch, den wir je gesehen haben. Von hier aus ist auch der Weg ins Bett nicht weit; in die schrägen Wände sind gemütliche Schlafkojen eingebaut. Wir werden heute Abend »Skrapatå« essen, eine Variante des Schweizer Raclettes, das in der lokalen Mundart soviel wie »Abkratzen« bedeutet. Auf dem Tisch vor uns stehen mehrere Raclette-Öfchen. Abwechselnd kratzen wir den geschmolzenen Käse ab. Fettreich, salzig und leicht säuerlich zergeht er auf der Zunge.

Bevor es an der Zeit ist, ins Bett zu gehen, machen wir noch einen kleinen Abendspaziergang. Tatri lässt sich auf dem Hof von einem der Gäste unterhalten. Die Hündin scheint genau zu wissen, wie man das Leben genießt. Auch Hans und Ola scheinen das verinnerlicht zu haben. Denn das Dasein auf Brimi Sæter ist wie ein Loblied auf das gute Leben, auf die kleinen und großen Freuden, die sich in gemächlichem Tempo am besten an einem Ort genießen lassen, an dem die Vergangenheit auf die Gegenwart trifft.