Weiter zum Inhalt

La Dolce Vita: Kulinarische Radtour in Skåne

Håkan Stenlund, Tina Johansen, Per Ås

Weiterlesen mit NORR+

Ab 1 Euro/Monat erhältst du Zugang zu allen Artikel und exklusiven Aktionen. Jetzt registrieren und einen Monat lang kostenlos testen.

Selbst gerösteter Espresso in Österlen, Käse von Hofziegen in Vilhelmsdal, preisgekrönter Wein von der Kullahalbinsel: Håkan Stenlund ist mit dem Rennrad quer durch Skåne, Süd-Schweden, gefahren. Immer auf der Jagd nach dem nächsten kulinarischen Highlight.

Wo kommen nur all die wunderschönen Wege her? Und wohin führen sie? In Gärsnäs biegen wir nach links ab und nehmen Kurs auf Hammenhög. Eine kurze Zeit folgen wir der Landstraße Nummer 9 Richtung Ystad bevor wir an der Kirche von Hannas ein weiteres Mal links abbiegen. Jetzt sind wir wieder auf kleineren Wegen unterwegs, die uns durch die Tiefebene führen. Zum ersten Mal ist die Landschaft um uns herum so flach, wie wir uns das vorgestellt haben. Bis jetzt war sie sehr vielfältig und hügelig – und das Radfahren ganz einfach wunderbar.

Wir sind vier gute Freunde, die zusammen Fahrradurlaub machen – leicht und bequem. Wir übernachten in komfortablen Pensionen und Hotels und machen auf unseren Rennrädern Tagestouren ohne Gepäck, denn in Schonen ist es nie weit bis zum nächsten schönen Erlebnis. Jetzt sind wir auf dem Weg zu einer Kaffeerösterei in Österlen, einer Region im Südosten von Schonen, die für ihre malerische Landschaft bekannt ist – und für gute Gastronomie. Die Kaffeerösterei, die wir besuchen wollen, wurde aus einer Sehnsucht nach dem perfekten Frühstück heraus geboren. Mittlerweile wird in dem kleinen Hotel mit Café und Laden, das zwischen den Dörfern Hannas und Hörup liegt, auch eigener Kaffee geröstet.

Die liebliche Landschaft in Kombination mit kulinarischen Höhepunkten ist der Grund dafür, dass wir uns Schonen als Reiseziel ausgesucht haben: Nicht nur wegen des Radfahrens sind wir hier, sondern auch, um das »süße Leben« zu genießen. Und es ist einfach herrlich, dass sich so viele Aha-Erlebnisse zwischen den sanften Hügeln dieser südlichen Region verstecken. Viele davon sind außerdem gastronomische Erfahrungen, die viele Schweden vor allem mit anderen Ländern in Verbindung bringen, wie zum Beispiel Wein und hervorragender Espresso. Aber fangen wir mit dem Wein an, oder noch besser: am Anfang dieser Reise auf der anderen Seite von Schonen.

Schwedischer Wein

Als der »Rusthållargården« in Arild – übrigens ein ausgezeichnetes Restaurant und Hotel, wenn man auf der Kullahalbinsel unterwegs ist – eine Blindverkostung ausgewählter Weine mit Journalisten einer französischen Gourmetzeitschrift durchführte, konnten diese nicht sagen, welcher der Weine aus Schweden war. Außer ein paar Enthusiasten, die mittlerweile Recht bekommen haben, hätte vor zehn Jahren kaum einer geglaubt, dass es in Schweden überhaupt möglich ist, Qualitätswein herzustellen. Der Kellner des »Rusthållargården« erzählt uns, dass er oft gefragt wird, welchen »terroir« die Weinhöfe auf der Kullahalbinsel besitzen.»Terroir« ist ein Lieblingswort der Weinkenner, sowohl von solchen, die sich wirklich auskennen als auch denen, die gerne nur so tun, als ob sie Experten wären. Der Begriff beschreibt Charakter und Beschaffenheit es Bodens, in dem die Weiranken angebaut werden und die den Geschmack der Trauben beeinflussen bzw. in sie übergehen. »Da die Wurzeln der Weinranken bis zu 35 Meter lang werden können, nehme ich an, dass unsere noch nicht ganz damit fertig sind, den ›terroir‹ der Kullahalbinsel zu erforschen«, sagt der Kellner. »Wenn du mich fragst, besteht der Boden hier aus einem haben Meter Mutterboden, Steinen und noch einer ganzen Reihe anderer Dinge, die da unten ihr eigenes Leben führen. Aber das wissen meine Ranken ja nicht«, fügt er hinzu und lacht. Er scheint die Dinge mit Humor zu nehmen. Dem Wein scheint der ganze Aufstand jedoch nichts anzuhaben, er ist tatsächlich richtig gut.

Unsere Menükomposition trägt den Namen »Aus Wald und Meer« und besteht aus fünf wohlkomponierten Gängen mit überraschenden Geschmackserlebnissen. Zum Hummer-Carpaccio wird Strand-Melde serviert, das gewöhnlich eher als nerviges Unkraut betrachtet wird. Doch zusammen mit dem Hummer ist der leicht salzige Geschmack ein Genuss. Zum Seesaibling gibt es eingekochte und gelagerte Tannensprossen – sie passen unerwartet gut zum Fisch. Ich mache mir in Gedanken eine Notiz, dass ich demnächst auch welche sammeln will. Die schmecken bestimmt ausgezeichnet zum Elchfleisch, das ich zu Hause in der Tiefkühltruhe habe.

Nostalgische Gefühle

»Jag har bott vid en landsväg i hela mitt liv, och sett människor komma och gå«, sang der schonische Schauspieler Edward Persson (1888-1957) einst. (Deutsch: Ich habe mein ganzes Leben an einer Landstraße gewohnt, und Menschen kommen und gehen gesehen). Er war synonym mit einem Land, das nur einen Fernsehsender hatte; eine einfache Bauerngesellschaft, wo jeder Grütze zum Frühstück aß. Der Weg, den er besang, war ein schonischer Dorf-Schotterweg, auf dem in der Trockenheit des Sommers der Staub wirbelte, und den man am besten mit einem Fahrrad ohne Gangschaltung und Ballonreifen befuhr. Heute sind die Wege aus Edward Perssons Zeit allesamt asphaltiert und lassen sich auch mit dünnen Fahrradreifen bewältigen. Doch noch immer schlängeln sie sich in ihrer ganz eigenen Leichtigkeit durch die Landschaft.

Wir setzen unsere Tour auf der Kullahalbinsel fort, vorbei an Mölle und dem dazugehörigen Golfplatz bis wir den Leuchtturm von Kullen erreichen. Dort steigen wir aus dem Sattel und strecken die Beine, das ist jedes Mal wieder ein schönes Gefühl. Auf dem Rückweg nehmen wir die steile Straße hinunter zu Ellens Café in Ransvik. Im Strandbad Ransvik gab es seinerzeit einen der ersten Strände, an dem Männer und Frauen gemeinsam baden durften – zu einer Zeit als dies noch Irritation und Faszination auslöste. Vielleicht war es ja hier, wo der Begriff der »Schwedischen Sünde« ihren Ursprung nahm? Europäische Adlige kamen damals sogar extra mit dem Zug nach Kullen, um hier zu baden. Uns ist noch nicht warm genug – oder fühlen wir uns nur noch nicht sündig genug? –, um ins Wasser zu gehen. Stattdessen drehen wir um und fahren auf demselben Weg, den wir gekommen sind, zurück. Unser nächstes Ziel ist die Ostküste von Schonen. Wir lassen die Weinranken der Kullahalbinsel hinter uns und nehmen Kurs auf die Wiesen und Felder in Österlen.

Dass die Landschaft am südlichsten Zipfel von Schweden so fantastisch ist, ist einzig und allein ein Verdienst der Eiszeit. Die wunderschöne Mischung aus Hügeln, Höhenzügen und Tiefebenen gibt der Region bis heute ihren ganz besonderen Charakter. Als das kilometerdicke Eis auf dem Rückzug war, blieben große Eisblöcke, sogenanntes Toteis zurück, das langsam schmolz und so eine vielfältige Landschaft formte. Dann kam das Meer und bedeckte das Gebiet, doch dank der postglazialen Landerhebung bildete sich neues Ackerland heraus: eine kleine Landzunge namens Schonen war geboren. Eine Landzunge, über die der Hofmarschall R.H. Stjernswärd schrieb: »An Schweden ist ein kleines Landstück befestigt, das Schonen genannt wird, um den Schweden zu zeigen, wie das übrige Europa aussieht«.

Delikatessen vom Land

Man muss politisch nicht unbedingt links beheimatet sein, um sich ein bisschen über die großen Schlösser und Güter zu wundern, die auf unserem Weg liegen. Der »rote Graf« Carl Piper, der seinen Spitznamen in den 70er-Jahren von der Presse verpasst bekam, weil er der Ansicht war, dass seine Mitarbeiter an der Produktion teilhaben sollten, besitzt 1,1 Prozent der Landfläche von Schonen. Mit anderen Worten mehr als ein Hundertstel der Provinz – und egal, wie man es auch dreht und wendet ist das ganz schön viel. Doch wir zischen an den Schlössern vorbei, ohne ihnen viel Beachtung zu schenken. Wir sind nicht wegen der großen Schlösser hier, sondern um kleine landwirtschaftliche Produzenten ausfindig zu machen, die gegen den Strom schwimmen und auf hohe Qualität und innovative Erzeugnisse setzen. Unsere Tour führt uns daher auch nach Vranarp – und am Ende einer kleinen Schotterstraße finden wir genau das, wonach wir suchen.

Die »Vilhelmsdals Gårdsmejeri« wurde vor zehn Jahren von Christine und Lars Anderberg gegründet, als sie »gerade nichts anderes zu tun hatten«. Lars berichtet, dass der Hof einen gewissen Renovierungsbedarf hatte als sie ihn kauften, im Klartext: das Haus war mehr oder weniger verfallen. Als sie gerade mit dem Wohnhaus fertig geworden waren und die Wirtschaftsgebäude in den Blick nehmen wollten, fragte Lars seine Frau, was sie denn jetzt mit dem Rest machen sollten. »Wir können eine Hofmeierei aufmachen«, antwortete Christine. Und genau das taten sie. Ein paar Jahre später brachten sie ihre Käsesorten auf den Markt und der Erfolg stellte sich im Prinzip sofort ein. Außer etwa zwanzig verschiedenen Käsesorten stellen die beiden heute auch eigene Butter und Joghurt aus Ziegen- und Kuhmilch her.

Vilhelmsdal ausfindig zu machen, erforderte keine große Detektivarbeit. Der bereits erwähnte »Rusthållargården« in Arild, von anspruchsvollen Rezensenten hochgelobt, hatte den Käse der Hofmeierei auf der Speisekarte. Und ein paar Tage später kommen wir auch im Restaurant »Karlaby Kro« in Österlen in den Genuss des Vilhelmsdaler Käses. Wir sind uns daher schnell einig, dass wir einen kleinen Abstecher nach Vranarp machen wollen. Auf dem Rückweg, nach einem ausgzeichneten Espresso in der ebenfalls schon erwähnten Kafferösterei, ist die Gelegenheit günstig. Lars Anderberg erzählt uns aus der Anfangszeit des Hofladens. Am Tag der Eröffnung hatten sie es nicht mehr geschafft, Schilder mit einer Wegbeschreibung aufzustellen und Lars rechnete nicht damit, dass sich irgendjemand auf den Hof verirren würde. Aber als er in den Laden kam, standen die Menschen schon Schlange – die über den Hofplatz bis auf den Acker reichte. Offensichtlich braucht man weder Anzeigen noch Schilder, solange die Produkte die richtigen sind.

Epilog: Begegnung mit dem Nachbarn

Wir waren insgesamt fünf Tage in Schonen unterwegs, die ersten beiden auf der Kullahalbinsel und die beiden letzten in Österlen. Vom nordwestlichen Teil Schonens nach Österlen im Südosten sind es etwa 150 Kilometer und mit dem Fahrrad entspricht das nicht viel mehr als einer Tagestour. Dank der geringen Entfernungen konnten wir zwei Nächte am gleichen Ort übernachten und trotzdem jeden Tag verschiedene Gegenden von Schonen entdecken.

Als ich einige Wochen später meinen Nachbarn zu Hause am Briefkasten in Lomselenäs traf war es eiskalt. Ein Schneesturm zog über Tiefebene von Schwedisch-Lappland. Ich erzählte von Schonen. Es stellte sich heraus, dass mein Nachbar und seine Frau auch gerade dort gewesen waren. Die beiden waren ebenfalls mit dem Fahrrad unterwegs und sehr von der malerische Landschaft beeindruckt: »Das hat uns an unseren Fahrradurlaub in der Provence im letzten Frühling erinnert«, erzählte er mir.

Vielleicht stimmt das, was der Hofmarschall Stjernswärd über Schonen geschrieben hat, immer noch – dass dieses kleine Stück Land auch deshalb zu Schweden gehört, damit seine Einwohner verstehen, wie es im Rest von Europa aussieht. Ich habe mein neu gekauftes Rennrad jedenfalls in Malmö eingelagert. Und schon ganz bald werde ich wieder nach Schonen fahren und die Straßen unsicher machen.