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Lidö – eine Insel für das Klima

Kleine nordische Inseln zeigen uns, dass Tourismus spurenlos funktionieren kann. Lidö im Stockholmer Schärengarten ist das jüngste Vorzeigeobjekt zum Thema klimaneutrales Reisen.

Photo Fanny Haga

Stolz steht Robin Falck vor seiner auffällig kleinen Hütte mit dreieckigem Spitzdach. Gerade einmal neun Quadratmeter groß ist das aus hellem Holz gefertigte Häuschen, das der finnische Architekt mit viel Detailliebe gestaltet hat. Die Idee: Wohnen auf kleinem Raum – ganz im Sinne einer bescheidenen, naturnahen Lebensweise.

Die minimalistische Behausung, die sich leicht demontieren und transportieren lässt, soll ein ökologisches Vorbild sein und ein Bewusstsein dafür schaffen, wie umweltfreundliches Reisen funktionieren kann. Für zwei Betten und eine kompakte Kochstation mit Heizofen bietet die Nolla Cabin (dt. Nullkabine), wie die Unterkunft heißt, Platz. Betrieben wird die kleine Heizanlage mit wiederaufbereitetem Biodiesel aus organischen Stoffen, für Strom sorgen Solarpaneele auf dem Dach. Die verwendeten Baustoffe stammen allesamt aus regionaler Produktion. »So konnten wir unser Ziel, eine Ferienhütte zu bauen, die nur einen minimalen bis gar keinen CO2-Fußabdruck hinterlässt, erreichen«, sagt der aus Helsinki stammende Architekt.

Weit draussen im Schärengarten thront das umweltfreundliche Eiland zwischen sanften Wellen.

Reisen der Zukunft

Robins Nolla Cabin ist eines der Vorzeigeprojekte auf der beschaulichen, inmitten des Stockholmer Schärengartens liegenden Ferieninsel Lidö. Hier, rund zwei Busstunden und eine fünfzehnminütige Bootsfahrt nordwestlich der schwedischen Hauptstadt, zwischen 30 000 anderen kleinen Eilanden und Felsen liegend, wurde im Laufe des vergangenen Jahres mit dem Projekt Zero Island ein Vorhaben verwirklicht, das als internationales Vorbild für das Reisen der Zukunft gilt.

Die Infrastruktur der Insel wurde unter der Führung des finnischen Energiekonzerns Neste, der seit Jahren eine Transformation von einem Mineralölproduzenten hin zu einem nachhaltiger agierenden Unternehmen mit Diesel aus erneuerbaren Rohstoffen verfolgt, innerhalb eines Jahres radikal umgestaltet. Schweden hat sich zum Ziel gesetzt, seine Emissionen bis 2045 umgerechnet auf null sinken zu lassen. Mit Zero Island sollen Lösungen aufgezeigt werden, die dieses ambitionierte Vorhaben in die Realität umsetzen könnten.

Olle Tjelle und Hugo Olofsson, Betreiber des Lidö Värdshus, engagieren sich stark für die CO2-Reduktion auf Lidö.

Um die Vision einer klimafreundlichen Insel zu verwirklichen, kooperierte man mit einer Reihe lokaler und internationaler Firmen und Personen. Neben dem Architekten Robin waren dies insbesondere Olle Tejle und Hugo Olofsson, Betreiber der größten Unterkunft auf Lidö, dem Lidö Värdshus, zu dem auch die Nolla Cabin gehört. Sie etablierten klimaneutrale Menüs auf der Speisekarte und sorgten dafür, dass die in der Küche des Hotels verwendeten Rohwaren nach Möglichkeit direkt von der Insel stammen. Gleichzeitig halfen sie dabei, die gesamte Infrastruktur des Värdshus umzustellen – angefangen bei Strom durch Sonnenkollektoren über Biogas zum Kochen bis hin zu einem innovativen Recyclingsystem für Essensabfälle. Auch die übrigen Unterkünfte auf Lidö wurden umweltfreundlich umgerüstet, beispielsweise mit Luft-Wasser-Wärmepumpen, LED-Beleuchtung und energiesparenden Vorhängen. Die Anreise mit dem Schärengartenboot auf die Insel wurde ebenfalls angepasst: Dank der Umstellung auf den erneuerbaren Biotreibstoff fährt auch das Schiff nun klimaneutral.

Grüne Inseln im Norden

Die erste klimaneutrale Insel Schwedens – mit seiner Initiative ist Lidö ein weiteres Eiland aus dem Norden, das zum Vorreiter in Sachen Klimaschutz wird. Mit Pioniergeist und politischem Geschick hat die dänische Insel Samsø, ein von knapp 4 000 Menschen bewohntes, landwirtschaftlich geprägtes Eiland im Kattegat, die Energiewende verwirklicht. Von Traktoren, die mit Rapsöl statt Diesel fahren bis hin zu Ökostrom durch Windkraft – motiviert durch einen Wettbewerb der dänischen Regierung hat es hier elf Jahre gedauert, bis man die Klimaneutralität erreicht hat. Heute ist Samsø teilweise sogar klimapositiv – nämlich immer dann, wenn die elf Offshore-Windräder vor der Küste mehr Strom produzieren, als auf Samsø selbst benötigt wird. Den Überschuss verkauft man dann kurzerhand an das dänische Festland.

Nacheiferer gibt es viele: Das dänische Bornholm hat sich vor Kurzem dem EU-Projekt Insulae angeschlossen, einer Initiative von 27 Partnern – darunter Forschungseinrichtungen, Universitäten, Energieversorger, öffentliche Verwaltungen und verschiedene in der Energiebranche tätige Unternehmen. Das Ziel ist die Dekarbonisierung europäischer Inseln. Das östlichste Eiland Dänemarks plant in diesem Zuge unter anderem auch, bis zum Jahr 2032 die erste vollständig müllfreie Gemeinde der Welt zu sein. Sämtlicher anfallender Müll soll hier als Ressource genutzt werden. Und auch die Helsinki vorgelagerte Insel Vallisaari beheimatet, wie Lidö, seit eineinhalb Jahren eine klimaneutrale Nolla Cabin des Architekten Robin, ebenfalls als Schaubild einer umweltfreundlichen Alternative des Reisens.

Die kleine rote Mühle prägt das Bild des Eilands und ist das Zeichen für frischen Wind.

Vallisaari, Lidö, Samsø – es mag im ersten Moment ironisch klingen, dass gerade verhältnismäßig kleine Inseln zu weltweiten Vorbildern in Sachen Klimaschutz werden. Doch ihre überschaubare Fläche ist, neben ihrer Abschottung vom Festland durch das Wasser, die große Stärke der grünen Eilande. Lidö, als Urlaubsinsel mit Unterkünften und Restaurant, hatte genau die richtige Größe, um so ein Projekt in einem überschaubaren Rahmen durchzuführen. Grundvoraussetzung für die umweltfreundlichen Bestrebungen einer Insel, ist aber immer auch die Bevölkerung. Auf Lidö waren die Insulaner gewillt und überaus engagiert, ihre Insel gemeinsam weiterzuentwickeln.

Schwestern mit Spitzdach

Mithilfe der verschiedenen Maßnahmen wurde der CO2-Ausstoß auf Lidö innerhalb von 365 Tagen Projektzeit von 180 Tonnen im Jahr 2018 auf nur mehr 40 Tonnen in 2019 verringert – eine Reduktion um 78 Prozent. Durch weitere Optimierung sei in Zukunft sogar die »Totale Null« möglich, hofft man. Weitab von überfüllten Stränden können Besucher hier, inmitten des Stockholmer Schärengartens, nun unberührte Natur in einer nachhaltigen Art und Weise erleben. Nicht umsonst wurden die Betreiber des Lidö Värdshus für ihr Engagement für nachhaltigen Tourismus jüngst sogar für den schwedischen Tourismuspreis Stora Turismpriset 2019 nominiert. Auch wenn das Projekt Zero Island für den Energiekonzern Neste auf nur ein Jahr angelegt war und mit der Umsetzung der verschiedenen umweltfreundlichen Maßnahmen abgeschlossen ist, wollen die Menschen auf Lidö selbst den Weg hin zur Klimaneutralität weiter fortsetzen – und das in ähnlich nachhaltiger Weise, wie es das dänische Samsø so erfolgreich geschafft hat.

Olle und Hugo, die Betreiber des Lidö Värdshus, planen, die Abfallwirtschaft – insbesondere im Hinblick auf die Mülltrennung – weiter zu optimieren und auch die Aufmerksamkeit der Gäste im Umgang mit dem von ihnen verursachten Müll weiter zu schärfen. Zudem soll Lidö auch als Vorbild für andere Orte gelten: Schon jetzt treffen auf Lidö nämlich zahlreiche Anfragen von anderen skandinavischen Destinationen ein, die ähnliche Schritte planen. In jedem Fall weitermachen will auch der Architekt Robin. Kürzlich gründete er deshalb gemeinsam mit einigen Mitstreitern sogar eine Firma, mit der er die Nolla– Hütten in ganz Skandinavien vertreiben möchte. »Als wir die Hütte vor der Küste Helsinkis aufgestellt hatten, war sie innerhalb einer guten Stunde komplett ausgebucht. Die Leute sehnen sich nach umweltschonenden Reiseangeboten. Wir wollen versuchen, dieser Nachfrage nachzukommen«, sagt Robin.

Nachhaltigkeit auch bei den Lebensmitteln und der Abfallwirtschaft gehören zum Konzept.

Der Verkauf der Nolla Cabins soll bereits in diesem Frühjahr starten. Es ist also durchaus möglich, dass die kleine Holzhütte mit dem dreieckigen Spitzdach auf dem beschaulichen Eiland Lidö in Zukunft noch viele kleine Schwestern bekommen wird. Und mit großer Wahrscheinlichkeit werden einige von ihnen auf den immer zahlreicher werdenden nordischen Inseln ihren Platz finden, die bereit sind, in Sachen Klimaschutz eine Vorreiterrolle einzunehmen.

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