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Bushcraft mit Baby: Gemeinsam im finnischen Wald

Nach einer Baby-Auszeit treibt es unseren finnischen Autor Anton Kalland wieder zurück in die Wildnis. Ausgerüstet mit Tipi-Zelt, Axt und Windeln reist er mit Frau und einjährigem Sohn in das Hiidenvuori-Naturschutzgebietes – und erlebt sein erstes Familienabenteuer.

Die Wildnis ruft. Es ist ein eindringlicher Ruf, still, doch allgegenwärtig, und er kommt aus meinem tiefsten Inneren. Seit ich mich erinnern kann, ist da dieser Drang draußen zu sein, die Natur in ihrer ganzen Fülle zu spüren, mitten in ihr mein Zelt aufzuschlagen und die Nächte in Freiheit zu verbringen. Wochenlang und zu jeder Jahreszeit waren meine Frau und ich früher in der Wildnis unterwegs – sie war unser zweites Zuhause.

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Mit der Geburt unseres Sohnes und meinem Schritt in die Selbständigkeit änderten sich dann die Möglichkeiten, diesen Drang auszuleben. Aus jährlichen Wanderurlauben wurden kleine Tagesausflüge in die benachbarten Wälder. Doch mit der Zeit wuchs das Bedürfnis, den Stress des Alltags und unsere straffen Zeitpläne hinter uns zu lassen, zurückzukehren in die Tiefe der Wälder oder die Weite der Tundra. Und so planten wir schon bald unser erstes großes Familienabenteuer.

Mit der Zeit wuchs das Bedürfnis, den Stress des Alltags und unsere straffen Zeitpläne hinter uns zu lassen, zurückzukehren in die Tiefe der Wälder

Längere Wanderungen müssen natürlich noch etwas warten. Even ist gerade einmal ein Jahr alt und hat kürzlich laufen gelernt. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten, dem Ruf der Wildnis nachzukommen. Kinder lieben Abenteuer, den Wald und das Zelten. Wenn ihre Grundbedürfnisse gestillt sind, machen ihnen auch kaltes oder nasses Wetter nichts aus. Am besten macht man kurze Touren von einem zentralen und schön gelegenen Zeltlager aus, in das man immer wieder zurückkehrt. Ein geräumiges Zelt mit Zeltofen, dicke Schlafmatten und gutes, frisches Essen erleichtern den Camping-Alltag. Ziel ist kein herausfordernder Survival-Trip, sondern ein harmonisches Erlebnis mit viel Ruhe und ohne viel Schnickschnack – »Bushcraft light« sozusagen.

Zelten im karelischen Idyll

Die weiten und ruhigen Gewässer Kareliens sind voller Zauber. Sie sind umgeben von Kiefernheiden und bewaldeten Hügelketten. Der Duft der klaren, stillen Seen streichelt die Sinne und die umringenden Wälder wirken wie eine schützende Mauer. Als Kind habe ich jeden Sommer mit Rudern und Walderkundungen im Seengebiet um die ostfinnische Gemeinde Savitaipale verbracht. Es ist schön, meinem eigenen Sohn nun das Leben in und mit der Natur in den Wäldern meiner Kindheit nahebringen zu können. Das Auto ist am Waldrand geparkt und wir hieven den penibel gepackten Berg an Ausrüstung und Vorräten aus dem Kofferraum. Vor uns liegt ein dreitägiger Ausflug in das Naturschutzgebiet am Hiidenvuori, einem senkrecht emporragenden Fels, der erhaben über dem See Virmajärvi thront. Auf dem Felsrücken erstreckt sich eine Landschaft von atemberaubender Schönheit. Hier wächst ein dunkler Fichtenwald, der im Süden von einem für die Region typischen Sandgrat begrenzt wird. Im Frühling sprießen hier Frühlorcheln, im Herbst ist der Waldboden mit einem Teppich aus Trompetenpfifferlingen bedeckt.

Mit der Zeit wuchs das Bedürfnis, den Stress des Alltags und unsere straffen Zeitpläne hinter uns zu lassen, zurückzukehren in die Tiefe der Wälder oder die Weite der Tundra.

Am Rande des alten Fichtenwaldes können im Frühjahr Auerhühner angelockt und im rauen Winter Birkhühner in den Baumkronen beobachtet werden. Das Naturschutzgebiet beherbergt auf einer relativ kleinen Fläche eine vielseitige Waldflora und -fauna. All das macht den Hiidenvuori zum perfekten Ziel für ein kleines Wildnisabenteuer mit Tageswanderungen und ein paar Nächten im Zelt.

Im Frühling sprießen hier Frühlorcheln, im Herbst ist der Waldboden mit einem Teppich aus Trompetenpfifferlingen bedeckt.

Da Even nun laufen kann und furchtlos seine Grenzen erkundet, trauen wir uns nicht, am idyllischen Aussichtspunkt auf dem Gipfel des Hiidenvuori zu campen. Stattdessen schlagen wir unser Lager in einer mit Findlingen bestückten Kiefernheide auf. Der Weg vom Auto zur Zeltstätte ist zwar nur ein paar Kilometer lang, da sich die Dunkelheit im November aber schon früh am Nachmittag über den Wald legt, sollten wir uns besser beeilen.

Unsere Ausrüstung einschließlich Tipi-Zelt passt bequem in einen Rucksack, nur der Zeltofen ist in einer eigenen Umhängetasche verstaut. Windeln, Kleidung und Brei für den Kleinen finden in der Kindertrage Platz, von wo aus das Baby zufrieden den Wald begutachtet. Die Natur bietet Kleinkindern unbegrenzt Eindrücke. Auf dem Rücken getragen, lauschen sie aus sicherer Entfernung dem Rauschen der Bäume und Knacken der Äste, schnuppern den gesunden Duft sich zersetzender Pflanzen und bestaunen das Spiel von Licht und Schatten im Forst. Ich spüre, dass sich mein Kind in dieser Umgebung sicher fühlt.

Ein Baumwollzelt als Unterkunft

Natürlich haben leichte Funktionszelte, die sich auf die Größe eines Fußballes zusammenfalten lassen, ihren Vorteil. Bei der feucht-kühlen nordischen Herbstluft ist es jedoch wunderbar und sinnvoll, sich auch im Zelt an einem Feuer wärmen zu können, vor allem dann, wenn man mit einem Baby unterwegs ist, dessen Windeln mehrfach am Tag und bei jedem Wetter gewechselt werden müssen. Es kann kein Zufall sein, dass die Urvölker der gesamten nördlichen Hemisphäre tipiartige Unterkünfte wie Koten genutzt haben. Da wir uns in einem Naturschutzgebiet befinden und mit einem neugierigen Kleinstkind übernachten, ist ein Zeltofen gegenüber einem offenen Feuer die sicherere und einfachere Alternative.

Bei der feucht-kühlen nordischen Herbstluft ist es jedoch wunderbar und sinnvoll, sich auch im Zelt an einem Feuer wärmen zu können.

Der Griff meiner Axt sitzt fest im Lederhandschuh, als ich im Wald nach passendem Brennholz für den Ofen suche. Alles scheint durchnässt, das Holz ist bis zum Kern mit Wasser vollgesogen. Die Axt bohrt sich in einen dicken, abgestorbenen Ast einer alten Kiefer und es tritt lachsrotes Holz zum Vorschein. Der Duft von Harz erfüllt die Luft. Zum Glück ist Öl nicht wasserlöslich: Der Wassergehalt im fettigen Holz nimmt zwar bei Regen zu, aber nicht so viel, dass sich die geschnitzten Späne nicht entzünden ließen. Schwarzer Rauch steigt aus dem Ofen, als sich das auf dem Sandgrat gewachsene Holz in Heizwärme verwandelt. Einen kurzen Moment noch und der Eisenkessel zischt auf dem Herd.

Es kann kein Zufall sein, dass die Urvölker der gesamten nördlichen Hemisphäre tipiartige Unterkünfte wie Koten genutzt haben.

Eine liebliche Wärme erfüllt das Zelt aus dickem Baumwollstoff und die Öllampe flackert am Fuße der Stützbalken. Auch sie spendet wohlige Wärme. Even hat die Feuermachrituale gespannt verfolgt und scheint Gefallen an der Glut im Ofen gefunden zu haben. Wir ziehen ihm die steife Latzhose aus, damit er mit den Hunden auf der PU-Schaummatte spielen kann. Nach unserer Zeltpremiere mit Kind im Spätwinter, als sie den damals sechs Monate alten Even in der Winterkälte stillen musste, hatte Helena wochenlang mit einer Brustentzündung zu kämpfen. In der vom Zeltofen gespendeten Wärme ist das nun kein Problem mehr.

Spuren der Steinzeit

Die Gemeinde Savitaipale liegt in der finnischen Landschaft Südkarelien, etwa zwei Stunden Autofahrt von Helsinki entfernt. Die Region ist schon seit der Steinzeit bewohnt – die ältesten Wohnstättenfunde am Kuolimo-See stammen aus dem dritten Jahrtausend vor Christus. Auch um den Virmajärvi-See finden sich Spuren einer altertümlichen Besiedlung: In den Buchten des Sees bilden in den Boden geschlagene Holzspitzen Reusenvorrichtungen zum Fischfang. Die Holzkonstrukte sind unter den sauerstoffarmen Bedingungen am Gewässergrund gut erhalten geblieben und könnten mehrere Jahrhunderte alt sein. Das Leben in der nordischen Natur forderte den Vorvätern viel Arbeit ab.

Ein frisch gebrauter Kaffee am morgen ist der grösste Luxus, den man sich in dieser Wildnis nur wünschen kann.

Wir haben für unseren Aufenthalt in der Natur reichlich Essen und Werkzeug dabei, aber wie lebten die ersten Menschen in dieser Region? Auch sie hatten Kinder. Womit wurden sie gewickelt? Vielleicht mit in Leder gewickeltem, saugfähigem Torf? Was machte man damals, wenn das Kind plötzlich Bärenhunger hatte und anfing zu quengeln, aber kein Breigläschen zur Hand war? Dies Fragen beschäftigen mich, während leichter Regen auf unser Zeltdach prasselt und Wassertropfen, die sich durch den Rauchabzug ins Innere geschlichen haben, zischend auf dem heißen Ofen verdampfen. Verglichen mit dem Leben unserer Urahnen ist eine Zeltwanderung mit Kind im finnischen Spätherbst denkbar einfach und bequem.

Auf dem Hiidenvuori

Das Feuer ist in der Nacht erloschen und die Temperatur im Zelt fast auf den Nullpunkt gesunken. Wir hätten zwar Feuerwache halten können, kamen aber zu dem Schluss, dass die Wärme unserer Schlafsäcke vollkommen ausreicht. Even wechselte zum Stillen aus seinem eigenen Schlafsack in den von Helena. Trotz des starken nächtlichen Regens ist das Zeltinnere nahezu trocken geblieben. Die wegen der hohen Luftfeuchtigkeit klammen Sachen sind in der Wärme des Zeltofens schnell getrocknet. Gegen die feuchte Novemberkälte haben wir uns von Kopf bis Fuß in dünne Wollkleidung gehüllt, darüber eine dickere, raue Wollschicht gezogen und uns zuletzt einen wattierten Anorak aus Baumwollgemisch übergestülpt. Im Regenfall schützt uns außerdem passende Regenkleidung.

Um die Körperwärme aufrecht zu erhalten, spielt auch die Ernährung eine große Rolle. Wo zu Hause die Kartoffel Grundnahrungsmittel Nummer eins ist, liefert auf Wanderungen frisches Wurzelgemüse wichtige Kohlenhydrate und füllt schnell die Energiereserven des Körpers auf. Da unser Zeltlager relativ nahe am Parkplatz liegt und wir nicht lange zu schleppen brauchen, haben wir reichlich gute und gesunde Zutaten eingepackt. Das Gemüse bleibt auch bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt genießbar und Lachsfilet, Hähnchen und Wurst halten sich mindestens für die Dauer unseres Trips. Zum Frühstück gibt es Haferbrei und Eier sowie Moltebeeren, die im Kompott mit Krähenbeeren konserviert bleiben.

Die Gemeinde Savitaipale liegt in der finnischen Landschaft Südkarelien, etwa zwei Stunden Autofahrt von Helsinki entfernt. Die Region ist schon seit der Steinzeit bewohnt – die ältesten Wohnstättenfunde am Kuolimo-See stammen aus dem dritten Jahrtausend vor Christus. Auch um den Virmajärvi-See finden sich Spuren einer altertümlichen Besiedlung.
visitsavitaipale.fi

Am Morgen ist der Wald in feuchten Nebel gehüllt, darüber legt sich der Schrei eines Raben. Immergrüner Tüpfelfarn schmückt die Felshügel, während das Braun der anderen Pflanzen die Ankunft des Winters ankündigt. Wir wandern entlang der moosbedeckten Felsen durch das uralte Gehölz an den Steilhang des Hiidenvuori. Bis zum gegenüberliegenden Ufer sind es ein paar Kilometer. Die Luft steht still und die tiefhängenden Wolken vernebeln die Sicht. Auf dem Gipfel des Hiidenvuori hat sich entlang der Uferlinie ein Trampelpfad gebildet, der das Wandern durch den schwer zugänglichen Wald erleichtert. Wir schlendern kreuz und quer durch das Naturschutzgebiet und sammeln Trompetenpfifferlinge als Beilage für unsere Mahlzeit.

Die Pflanzenarten, die wir in dieser Wildnis entdecken, überraschen uns immer wieder aufs Neue in ihrer Vielfalt.

Am anderen Ufer des Sees liegt ein kleiner Dorfladen, der um zehn Uhr morgens mit Backwaren aus der benachbarten Hofbäckerei beliefert wird. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und besorge uns die lokale Weizenbrotdelikatesse »Maijan Rieska«. Die Butter schmilzt auf dem ofenwarmen Brot, während uns das Wasser schon im Mund zusammenläuft.

Auch wenn Camping als Aktivität verstanden wird, besteht unser Familienzeltausflug vielmehr aus Nichtstun. Wir verbringen einfach nur Zeit miteinander, im Wald. Ohne eine Destination vor Augen und mit nur einem Ziel: es uns gutgehen zu lassen und zu entspannen. Wir lassen einfach die Zeit an uns vorbeiziehen – ohne Aufgaben, Eile oder Stress, wie es sich für eine echte Bushcraft-Familie gehört.

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