Weiter zum Inhalt

Geliebtes Wasser

Manche fühlen sich vom Fjäll verzaubert, andere lieben uralte Wälder. NORR-Chefredakteurin Karen Hensel hat sich schon immer zum Wasser hingezogen gefühlt. Aber was ist das Fesselnde daran? Wir begeben uns auf eine
Reise durch die Gewässer und sprechen mit Experten.

Meine frühesten Erinnerungen an Wasser führen mich an einen kleinen Fluss. Ein Fluss, der ein paar hundert Meter von unserem Haus entfernt unbändig dahinplätscherte. Als Kind ging ich oft dorthin. Der Fluss war mein Freund, eine stoische, unerschöpfliche Kraft. Wenn es lange geregnet hatte, verwandelte er sich in einen reißenden Strom. Ich konnte stundenlang damit verbringen, kleine Äste in ihn hineinzuwerfen und Flöße aus Zweigen zu bauen, die ich auf ihm schippern ließ, um zuzusehen, wie sie weggeschwemmt wurden. An heißen Sommertagen war der Fluss manchmal so seicht, dass man in ihm herumwaten und kleine Fische beobachten konnte. Meine Spuren auf dem Grund verschwanden so schnell, wie meine Zehen sie geformt hatten. An den tieferen Stellen konnte man sich ruhig stromabwärts treiben lassen. Der Fluss war immer da.

Weiterlesen mit NORR+

Ab 1 Euro/Monat erhältst du Zugang zu allen Artikel und exklusiven Aktionen. Jetzt registrieren und einen Monat lang kostenlos testen.

Ein Blick auf die Wasseroberfläche des Sees bringt etwas tief in uns zur Ruhe. Es fühlt sich an, als würde man nach Hause kommen.

Viele von uns fühlen sich wahrscheinlich im oder auf dem Wasser wohler als auf dem Festland. Aber warum ist das so? Wenn ich eintauche, bin ich frei. Oft denke ich, dass es dieses Gefühl ist, wenn ich gänzlich von Wasser umgeben bin, das mich süchtig macht. Die Momente, in denen ich schwerelos dahingleite. Das Rauschen, das in meine Ohren dringt, sobald ich mich unter die Wasseroberfläche begebe. Wenn ich im Wasser bin, spüre ich zugleich eine unbändige Lebendigkeit und tiefen Frieden. Nichts ist mehr von Bedeutung, außer der Moment selbst. Meine Sinne sind aufs Äußerste geschärft und gleichzeitig bin ich ganz bei mir. Im Wasser zu sein ist für mich, wie nach Hause zu kommen. An einen Ort, der mir so vertraut ist. Und gleichzeitig so geheimnisvoll und voller neuer Abenteuer.

Der Ursprung des Wassers

Wie das Wasser einmal auf die Erde gelangt ist, ist ein wissenschaftliches Rätsel, das Forscherinnen und Forscher seit Jahrzehnten beschäftigt. Heute geht man davon aus, dass es aus zwei Hauptquellen stammt: aus dem Inneren der Erde und durch Einschläge aus dem Weltall. Es wird vermutet, dass in der frühen Erdgeschichte Wasserdampf durch vulkanische Aktivität freigesetzt wurde, der nach der Abkühlung der Erde kondensierte und die ersten Ozeane bildete. Gleichzeitig brachten wasserhaltige Asteroiden zusätzliches Wasser auf unseren Planeten.

Neuere Forschungen legen zudem nahe, dass große Mengen in wasserhaltigen Mineralen tief im Erdmantel gespeichert sind und über geologische Prozesse an die Oberfläche gelangten. Wahrscheinlich entstand das heutige Wasservorkommen der Erde durch eine Kombination dieser Prozesse – eine Mischung aus ursprünglichem Wasser im Gestein und Wasser aus dem All. Diese Entwicklung machte unseren Planeten schließlich lebensfreundlich und einzigartig im Sonnensystem.

Aus dem Meer geboren

Schon als Teenager liebte ich es, mich schwimmend fortzubewegen. Der Gedanke, im Wasser statt an Land mein Ziel zu erreichen, reizt mich seit ich denken kann. Während der Rest meiner Familie in unseren Urlauben an der dänischen Westküste gerne kilometerweit den Strand entlangwanderte, zog ich es vor, neben ihnen herzuschwimmen. Ich erinnere mich noch gut, wie das Meer in tausend Silberfäden unter der tiefstehenden Sonne glitzerte. Sein salziger Duft mischte sich mit dem Geruch von Tang und feuchtem Sand, während die kühle Gischt meine Haut benetzte. Sich Schwimmzug um Schwimmzug fortzubewegen – als ein winziger kleiner Punkt im Universum – berührt mich auf eine eigenartige Art und Weise, von der ich manchmal denke, dass sie tiefer liegt als das, was wir offensichtlich verstehen können.

Dass sich viele Menschen im Wasser so wohl fühlen, ist vielleicht auch aus evolutionsbiologischer Sicht erklärbar. Wir bestehen zu einem großen Teil aus ihm. Als Neugeborene sind es fast 80 Prozent, später immer noch rund 60. Ohne Nahrung können wir Wochen überleben, ohne Wasser nur wenige Tage.

Paddelnschlag für Padelschlag mit dem Kajak durch das Wasser zu gleiten, ohne ein festes Ziel vor Augen zu haben, hat etwas Meditatives.

Vor 3,8 Milliarden Jahren entstand das erste Leben im Meer. Einfache einzellige Organismen schwebten damals im Ozean. Nach einigen weiteren Milliarden Jahren tummelten sich dort Algen und verschiedene Urtiere, Pilze, Würmer, Korallen und Quallen, bis schließlich vor 500 Millionen Jahren unsere Vorfahren das Wasser verließen. Amphibien wagten sich als erste an Land, später entstanden Reptilien, Säugetiere und vor 300 000 Jahren der Homo sapiens. Eine These, die stützt, dass wir den Vorfahren aus dem Meer ähnlicher sind, als gedacht, ist auch der Fossilienfund des Evolutionsbiologen Neil Shubin. Er entdeckte 2004 zusammen mit seinem Team auf der Ellesmere-Insel in der kanadischen Arktis den Tiktaalik roseae, eine Übergangsform zwischen Fischen und Landwirbeltieren, der vor etwa 375 Millionen Jahren lebte. Als die Forscher sich seine Flossen genauer ansahen, fanden sie Knochen, die den menschlichen Armknochen, mit Oberarm, Elle und Speiche ähnelten. Einige Reptilien änderten nach einiger Zeit an Land ihre Meinung, gingen zurück ins Meer und wurden dort zu Meeresschildkröten. Auch manche Säugetiere begaben sich wieder in den Ozean und entwickelten sich zu Delfinen oder Walen.

Sehnsucht nach Hause

Der schwedische Autor Patrik Svensson fragt sich in seinem Buch »Die Chronistin der Meere«, in dem er Essays über die Geheimnisse des Ozeans, die Geschichte der Meeresforschung und Porträts von Entdeckern verbindet, ob diese Rückkehr der Tiere ins Meer nicht eine Sehnsucht zurück zu ihrem Ursprung ist. Und vielleicht tragen ja auch wir Menschen insgeheim dieses Heimweh in uns? Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere, wir alle haben die gleiche Herkunft – den Ozean. Natrium, Kalium, Kalzium sind in unserem Blut zu fast gleichen prozentualen Anteilen aufgelöst, wie man sie im Meer findet.

Vielleicht tragen ja auch wir Menschen dieses Heimweh insgeheim in uns?

Selbst unsere schrumpeligen Finger nach einem langen Bad zeugen von einem Leben in nasser Vergangenheit. Sie ist eine aktive Reaktion des Körpers – gesteuert durch das autonome Nervensystem – und verbessert den Griff in feuchten Umgebungen. Ein evolutionäres Erbe, das uns früher dienlich gewesen sein muss. Vielleicht haben wir das Wasser nie wirklich verlassen. Wenn wir schwimmen, wenn wir tauchen, dann ist es, als kehrten wir zurück zu etwas Ursprünglichem, zu etwas, das tief in uns verankert ist.

Sich über lange Distanzen schwimmend im Mälaren fortzubewegen ist zwar anstrengend aber gleichzeitig ungemein faszinierend.

Verbundenheit spüren

Henrik Hemig ist ein dänischer Langstreckenschwimmer und Umweltschützer, der das Wasser genauso liebt wie ich. Er hat die Kopenhagener Schwimminitiative Copenwater gegründet, die Menschen dazu motivieren soll, zu jeder Jahreszeit ins Wasser zu gehen. Außerdem ist er Mitbegründer der Moonjelly Foundation, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für den Schutz der Ozeane einsetzt. »Im Wasser konzentriere ich mich auf den Rhythmus des Atmens und das Gefühl, vorwärts zu gleiten. Es ist eine Art Befreiung, eine Rückkehr zu etwas ganz Reinem. Das Wasser hält mich, trägt mich und versteht mich. Wenn ich mir vorstellen könnte, wie es sich anfühlt, ein Fisch zu sein, dann ungefähr so: vollkommen zu Hause, ohne die Last der Schwerkraft, in perfekter Harmonie mit meiner Umgebung«, sagt Henrik. Er ist unter anderem 120 Kilometer um die Ostseeinsel Bornholm geschwommen. »Meine Liebe zum Wasser hat ihre Wurzeln im Körperlichen und im Emotionalen. Die Bewegung in ihm fühlt sich an wie ein Tanz mit der Natur. Es ist eine Herausforderung, die meinen Körper stärkt, ohne ihn zu ermüden. Aber es hat auch etwas zutiefst Meditatives, im Wasser zu sein. Die Zeit scheint sich aufzulösen, als ob das Meer eine seltene Klarheit schenkt, eine Präsenz, die anderswo nur schwer zu finden ist.«

Ich frage Henrik, ob er meint, dass die Sehnsucht, auf diese Art durch das Wasser zu gleiten, wohl irgendwo tief in jedem von uns Menschen verankert ist. »Man muss nicht unbedingt schwimmen. Ein Spaziergang am Ufer oder das Gleiten in einem Kajak über die Wasseroberfläche kann das gleiche Gefühl der Verbundenheit hervorrufen. Das Wasser gibt einem das Gefühl, dazuzugehören. Teil von etwas Großem zu sein«, sagt Henrik, der früher als Manager und Unternehmer gearbeitet hat. »Ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern, als meine Mutter mich an der dänischen Westküste gegen die Wellen stemmte – wie ich mich in ihren Armen sicher fühlte, während ich gleichzeitig die unbändige Kraft des Wassers bewunderte. Diese Dualität – der Trost und die Weite – hat mich nie losgelassen. Als Junge bin ich viel geschwommen, aber im Laufe der Zeit habe ich mich davon entfernt. Mit 43 Jahren stürzte ich mich wieder in die offenen Wellen und es war, als würde ich nach Hause kommen. Ich entdeckte nicht nur meine Liebe zum Wasser wieder, sondern auch mein eigentliches Wesen. Jetzt, mit 58 Jahren, fühle ich mich dem Meer verbundener denn je. Ich möchte das immense Gefühl der Verbundenheit, das mir das Wasser schenkt, mit anderen teilen. Es hat mich geheilt, gestärkt und mir Dinge über mich selbst beigebracht, die ich an Land nie gelernt hätte«, sagt Henrik.

Das sanfte Glitzern setzt visuelle Reize und das rythmische Rauschen von Wasser wirkt entspannend auf unser autonomes Nervenssytem.

Doch die von Henrik gegründete Initiative Copenwater geht über die persönlichen Freuden beim Schwimmen hinaus. »Wir kümmern uns um das, was wir lieben – und ich glaube, wenn mehr Menschen die Magie des Wassers erleben, werden sie dazu bewegt, es zu schützen. Es gibt vieles, was so einigen von uns nicht bekannt ist. Zum Beispiel, dass wenn wir das Meer und seine Bewohner bewahren, auch das Klima und uns selbst schützen. Alles hängt zusammen. Wale speichern beispielsweise im Laufe ihres Lebens enorme Mengen CO2. Nach ihrem Tod sinken sie in die Tiefen der See, wo der gebundene Kohlenstoff für Jahrhunderte konserviert bleibt. Doch sie tun noch mehr. Sie tauchen tief hinab, um sich von Krill und Fisch zu ernähren, und scheiden dann in oberflächennahen Schichten nährstoffreichen Kot aus. Dieser Dünger ist reich an Eisen, Stickstoff und Phosphor – essenzielle Nährstoffe für das Wachstum von Phytoplankton. Diese winzige, unscheinbare Pflanze bindet riesige Mengen CO2 und ist ein unermüdlicher Produzent des Sauerstoffs, den wir atmen. Der Ozean braucht eine Stimme, und ich möchte dazu beitragen, diese Stimme auf jede erdenkliche Weise zu verstärken«, sagt Henrik.

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Aufenthalt am Meer, an Flüssen und Seen unsere körperliche Gesundheit fördert.

Die Entfremdung vom Ozean

Dass der Zustand unserer Gewässer eng mit unserem eigenen Wohlbefinden verknüpft ist, weiss auch der Meeresbiologe und außerplanmäßige Professor Sam Dupont, von der Universität in Göteborg, der im Rahmen des von der EU-finanzierten SOPHIE-Projekt (Seas, Oceans & Public Health in Europe) untersuchte, wie der Ozean die menschliche Gesundheit beeinflusst und umgekehrt. Zuvor hatte er sich zehn Jahre lang damit beschäftigt, wie sich die Aktivitäten der Menschen auf die Meeresökosysteme auswirken. »Ich habe sehr frustrierende Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel haben wir 2008 einen Artikel veröffentlicht, in dem wir behaupteten, dass eine lokale Fischart im Fjord in der Nähe meines Wohnortes aussterben wird, wenn wir die Kohlendioxidemissionen nicht senken. Wir haben dies auf höchster Ebene kommuniziert, aber leider hat sich nicht viel geändert, und diese Art ist nun aus unseren Gewässern verschwunden«, sagt Sam. Seitdem hat er die Forschungsarbeit, die er als Katastrophendokumentation bezeichnet, eingestellt und arbeitet stattdessen an der Erforschung von Lösungen.

Wenn ich mit meinem Kajak über den Mälaren paddle, habe ich meist kein Ziel.

»Die Pflanzen des Meeres erzeugen mehr als 50 Prozent unseres Sauerstoffes. Ozeane sind die größte Kohlenstoffsenke unseres Planeten, größer als die Wälder der Erde. Auch die Funktion des Wassers als Kälte- und Wärmespeicher machen es für die Stabilisierung des Erdklimas unverzichtbar. Doch leider ist der Ozean durch viele Faktoren bedroht: Überfischung, Zerstörung von Lebensräumen, Umweltverschmutzung, Klimawandel, Versauerung«, sagt er. »Durch das Kohlendioxid werden unsere Meere wärmer und saurer – der Ozean ist heute bereits 30 Prozent weniger basisch als vor der industriellen Revolution. Um diese Herausforderungen anzugehen, sind einige bedeutende Veränderungen auf globaler und lokaler Ebene erforderlich. Aber insgesamt ist die menschliche Beziehung zur Umwelt ein Problem. Viele Wissenschaftler und Philosophen sind sich einig, dass wir eine Liebe zur Natur in uns tragen, die Biophilie, wie der Biologe Edward O. Wilson sie nennt. Natürlich spielt das Meer dabei eine zentrale Rolle. Die Entwicklung der Gesellschaft war jedoch ein ständiger Kampf dagegen. Wir haben versucht, uns so weit wie möglich von der Natur zu trennen. Ich denke, das kann auch einer der Gründe sein, warum etwa 5 Prozent der Menschheit depressiv ist«, sagt Sam. »Dabei hat der Ozean uns so unendlich viel zu bieten. Er beeinflusst unsere menschliche Gesundheit auch direkt: Es gibt beispielsweise viele positive Auswirkungen einer Ernährung mit Meeresfrüchten. Die Überfischung gefährdet jedoch sowohl die Biodiversität als auch die langfristige Verfügbarkeit gesunder Nahrung aus dem Meer. Daher ist eine nachhaltige Fischerei essenziell für die Ernährungssicherheit. Darüber hinaus enthalten Meeresorganismen potenzielle Wirkstoffe zur Bekämpfung von Krankheiten. Der Schutz der marinen Biodiversität ist also nicht nur ökologisch, sondern auch medizinisch von großer Bedeutung. Und eines der größten chronischen Gesundheitsprobleme unserer Zeit ist Adipositas. Wasserlandschaften können uns Menschen auch hier auf positive Weise beeinflussen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Aufenthalt nahe am Meer, Seen und Flüssen die körperliche Gesundheit fördert. In der Wissenschaft wurde der Begriff Blue Gym (blaues Fitnessstudio) geprägt: Wasserlandschaften motivieren uns dazu, an Stränden oder Uferwegen spazieren zu gehen, zu schwimmen, surfen, tauchen oder paddeln.«

Ganz im Blue Mind

Wenn ich mit meinem Kajak über den Mälaren paddle, in dessen Nähe ich heute wohne, habe ich meist kein festes Ziel. Ich nehme meinen Schlafsack und mein Zelt mit und ziehe einfach los. Während ich mich Schlag für Schlag fortbewege, verschmelze ich mehr und mehr mit der Wasseroberfläche, über die ich gleite. Dann und wann lasse ich das Paddel einen Moment ruhen, während das Wasser sanft gegen den Rumpf meines Kajaks schlägt. Jeder Tropfen, der vom Paddel fällt, hinterlässt einen kleinen, kristallklaren Ring, bevor er lautlos verschwindet. Oft lasse ich meine Augen und meine Gedanken am ungebrochenen Horizont ausruhen. Nicht selten paddle ich den ganzen Abend und beobachte, wie die Sonne den See golden färbt. Wenn ich mein Nachtlager in einer wilden Bucht aufschlage, lausche ich weiter dem beruhigenden Schwappen der Wellen. Auch der Mälaren ist zu meinem Freund geworden. Sein Duft erinnert mich an den unbändigen Fluss aus meinen Kindheitstagen und sein aufgeregtes Tosen, mit dem er an windigen Tagen aufwartet, an die schäumenden Wogen der dänischen Westküste. Wenn ich auf dem Mälaren unterwegs bin, überkommt mich immer eine tiefe innere Besonnenheit und Stille.

Studien zeigen, dass der Anblick von Wasser unsere Herzfrequenz senkt.

Studien zeigen, dass der Anblick von Wasser tatsächlich unsere Herzfrequenz senkt, Stresshormone reduziert und unsere Kreativität befeuert. In der Farbpsychologie wird Blau mit Ruhe und Gelassenheit verbunden – Eigenschaften, die Wasserlandschaften auf natürliche Weise verkörpern. Die Meeresbiologin Wallace J. Nichols nennt den Geisteszustand, den Wasser in uns auslöst »Blue Mind«. Dieses Phänomen ist eine Mischung aus Entspannung, Zufriedenheit und Klarheit. Ein Moment, in dem Gedanken fließen und Probleme sich aufzulösen scheinen. Wir fühlen uns zu Wasser hingezogen, weil sich unser Gehirn in diesem Element am wohlsten fühlt. Das sanfte Glitzern sorgt für mehr visuelle Aufmerksamkeit und transportiert das Gefühl von Weite, das rhythmische Rauschen wirkt entspannend auf unser autonomes Nervensystem – all das spricht eine uralte Sprache in uns an, die uns zur Ruhe kommen lässt.

Vielleicht weckt Wasser die Sehnsucht nach etwas Ursprünglichem in uns. Es ist das Element aus dem alle Lebewesen der Erde stammen.

Dass es uns besser geht, je dichter wir am Wasser leben, hat auch Maria Albin, ehemalige Professorin für Arbeits- und Umweltmedizin am Institut für Umweltmedizin am Karolinska Institutet Stockholm, im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts »Blue Health« herausgefunden. »In der Vergangenheit wurden Städte oft an Häfen gebaut, so dass viele Menschen auf der Welt am Wasser lebten. Die Forschungen haben auch gezeigt, dass die Nähe zu Gewässern zu mehr sozialer Interaktion untereinander führt«, sagt Maria. Sam Dupont, hat dazu eigene Gedanken. »Als ich diese Studien las, habe ich erst angenommen, dass es daran liegt, dass reiche Menschen am Wasser leben können. Aber die Forscher haben nachgewiesen, dass dieser positive Effekt noch stärker ist, wenn man weniger Geld hat. Auch hierfür gibt es viele Gründe, zum Beispiel ist man am Meer tendenziell aktiver«, sagt er. »Wir müssen verstehen, dass wir uns wieder mit dem Wasser verbinden müssen. Unser Überleben hängt davon ab. Heute Morgen habe ich ein Buch gekauft: The Creative Act: A Way of Being von Rick Rubin und darin ein Zitat gefunden, das ich sehr passend finde: Es gibt einen Grund, warum wir den Blick auf den Ozean so anziehend finden. Man sagt, er gibt besser wieder, wer wir sind, als jeder Spiegel.«

Verbunden im ewigen Kreislauf

Wasser reguliert das Klima, transportiert Nährstoffe, speichert Energie. Es verbindet Orte, Menschen und Geschichten. Ein Fluss ist mehr als nur ein geografisches Merkmal – er ist ein Gedächtnisstrom, der Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwebt. Der Ozean, endlos in seiner Weite, ist ein Archiv der Evolution, ein Spiegel des Himmels und ein stiller Zeuge unserer Zeit. Die Polarregionen speichern in ihren Eisschichten das Klima von Jahrtausenden. Jeder Tropfen Wasser, der heute vom Himmel fällt, war vielleicht schon einmal Teil eines Gletschers, eines Meeres oder des Blutes eines Lebewesens. Wasser ist kein fremder Ort, sondern ein Teil von uns.

Wenn ich heute mit meiner kleinen Tochter zu meiner Freundin der Au zurückkehre, empfinde ich Glück und Ehrfurcht. So viel hat sich geändert, seit ich selbst als Kind auf ihrem sandigen Grund umherwatete und Flöße baute, die von ihrer Strömung auf eine Reise mitgenommen wurden. Aber sie fließt weiter unermüdlich. Vielleicht ist es diese Erkenntnis, die mich jedes Mal erfüllt, wenn ich ins Wasser tauche: die Gewissheit, dass wir in jeder Welle, in jedem Tropfen, in jedem Atemzug ein Echo des Ursprungs finden. Die Geschichte des Wassers begann vor unserer eigenen und das Leben im Wasser existierte, lange bevor es die Menschheit gab. Wenn wir lernen, uns wieder gänzlich mit ihm zu verbinden, macht uns das nicht nur gesünder und glücklicher. Es lehrt uns Demut, Zusammengehörigkeit und die Gewissheit, nach Hause zu kommen und wieder selbst ein Teil des ewigen Kreislaufs zu werden.

Mehr für dich