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Windmühlenland

Die Halbinsel Fosen an der Westküste Norwegens soll Europas größter Windkraftpark werden. Was macht das mit der Natur – und unserer Beziehung zu ihr?

Im Geitfjellet, im Waldgebiet Bymarka westlich von Trondheim, werden Vorbereitungen für den Bau von 43 Windkraftanlagen getroffen. Große Lastwagen kämpfen sich mit summenden Motoren den Berg hinauf. Straßen werden benötigt, um Maschinen und Turbinen herzubringen. Viele Straßen. Ihr Netz durchschneidet die seit Tausenden von Jahren unberührte Landschaft. Anderthalb Jahre dauert es, bis die Turbinen Strom produzieren. Im benachbarten Remmafjellet ist ein weiterer Windpark mit bis zu 52 Turbinen geplant. Um den Wind bestmöglich zu nutzen, werden die Turbinen jeweils auf den größten Gipfeln des Gebiets platziert. Die Windkraftanlage, die am höchsten thronen soll, ist auf dem Langlidalsheian, 680 Meter über dem Meeresspiegel, geplant. Die Turbine selbst wird weitere 155 Meter in die Lüfte ragen: Bis zum Generator sind es 87 Meter und von dort aus recken sich die Rotorblätter 68 Meter in den Himmel. Wer in den kommenden Jahren in dieser Landschaft wandern geht, wird von Windkraftanlagen begleitet, die als surrendes Publikum von den höchsten Rängen auf einen herabschauen.

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Brut zwischen den Turbinen

Derzeit ist es nicht erlaubt, das Areal frei zu betreten, da es sich mitten in der Bauphase befindet. Dank Voranmeldung heißt mich Stig Terje Strøm von Statkraft hier willkommen. Ausgestattet mit Helm und Sicherheitsschuhen können wir uns auf den Weg durch die Gegend machen, die geprägt ist, von hektischer Bautätigkeit. Wir fahren von einem Hügel zum anderen, steigen gelegentlich aus dem Auto und treten auf asphaltierte Straßen. »Jetzt sieht es sehr hässlich aus, aber ein Großteil der Vegetation wird zurückkehren«, erklärt Stig und fügt hinzu: »Geitfjellet ist ein Juwel.« Die offene Landschaft besteht hauptsächlich aus Vegetation, die in Bodennähe wächst. Heidekraut, Gestrüpp und Moose verschiedener Art färben das Berggebiet grün. Wo sie ausreichend Schutz finden, um zu gedeihen, haben sich Birken und Kiefern angesiedelt. Da sich die einzelnen Turbinen in einem guten Abstand voneinander befinden, sind sie durch lange Straßen verbunden.

Wer in den kommenden Jahren in dieser Landschaft wandern geht, wird von Turbinen begleitet

Allein in diesem Windpark werden mehr als 40 Kilometer Schotterstraßen gebaut. Dafür werden große Gesteinsmassen aus dem Gebiet entnommen. Riesige Wunden bleiben in der Landschaft zurück, die nach der Bauzeit mit Erde gefüllt werden sollen, damit die Vegetation wieder zurückkehren kann. Innerhalb des Konzessionsgebiets liegen auch drei Seen: Storfjelltjørna, Tverrelvtjørna und Fiskløysvatnet. An allen drei Gewässern nistet gewöhnlich sowohl der kleine als auch der große Seetaucher. In diesem Jahr gibt es im Geitfjellet jedoch nur wenige der schwarz-weiß gefiederten Vögel. Ein Paar brütet am Tverrelvtjørna, der von Baustraßen umzingelt ist. Um die Seetaucher nicht mehr als nötig zu stören, sind während der Brutzeit alle Sprengungen in der Nähe des Wassers verboten.

Bauleiter Stig Terje Strøm zeigt das Lizenzgebiet für den Windpark Geitfjellet.

Stig beobachtet das Seetaucherpärchen fast täglich. Auch heute schwebt der kleine Vogel in den Wellen, taucht gelegentlich unter und verschwindet für einige Minuten. »Hoffentlich werden aus zwei Vögeln bald vier«, sagt der Bauleiter begeistert. Die sichtbaren Eingriffe sind zweifellos groß. Aber was ist mit dem, was wir nicht sehen? Im Kampf zwischen Klima und biologischer Vielfalt verliert die Mannigfaltigkeit der Arten. Auf der Website der norwegischen Umweltbehörde für unberührte Naturflächen in Norwegen (INON) ist Geitfjellet hellgrün markiert, ebenso wie Remmafjellet, wo der Bau neuer Windkraftanlagen in den Planungen liegt. Die hellgrüne Kennzeichnung bedeutet, dass das Gebiet ein bis drei Kilometer von schwereren technischen Eingriffen wie Straßen oder Windkraftanlagen entfernt liegen muss. Warum werden dann überhaupt Windkraftanlagen inmitten dieser unberührten Natur angesiedelt?

Schwindende Wildnis

»Entscheidungen zur Entwicklung der Windenergie fallen unter das Energiegesetz und werden in öffentlichen Prozessen mit breiter Beteiligung getroffen, gefolgt von vielen bürokratischen Gesprächen«, ist die Antwort, die ich von Bjørn Bjørnstad, Abteilungsleiter in der Aufsichts- und Gebietsabteilung der norwegischen Umweltbehörde, bekomme. INON bedeutet also nicht, dass das Gebiet geschützt ist, sondern nur, dass es bis zur laufenden Entwicklung in dem Gebiet praktisch keine Spuren von menschlicher Einwirkung gab.

Jedes Jahr verschwinden in Norwegen bis zu zweihundert Quadratkilometer unberührte Landschaft. Die wilde Natur wird zunehmend von uns Menschen gezähmt und für unsere Zwecke tauglich gemacht. Während im Jahr 1900 etwa die Hälfte Norwegens als Wildnis definiert wurde, waren es 2013 nur noch elf Prozent. Seitdem geht es weiter bergab. Die jüngste Umfrage für den Zeitraum von 2008 bis 2012 ergab eine Verringerung der Wildnis um etwa 900 Quadratkilometer.

Wem gehört der Wind?

Die Straße am Snillfjord windet sich am Meer entlang und über Moore und Berge auf die Nachbarinsel Hitra. Es gibt hier viele Tunnel, einschließlich des Unterwassertunnels von Hitra. Auf dem Eiland, das im Grunde nicht nur eine Insel, sondern ein Inselreich aus 2 500 Inselchen und Riffen ist, leben knapp 5 000 Einwohner. Bereits im Jahr 2004 wurden Windkraftanlagen auf Hitra gebaut. Dann wurde der Windpark Hitra 1 mit 24 Windkraftanlagen eröffnet. Die Lebensdauer der Turbinen beträgt nur 25 Jahre, danach müssen die Riesenmasten durch neue ersetzt werden. In diesem Jahr wird Hitra 2 mit weiteren 26 Turbinen eröffnet. Der Windpark liegt etwa eine halbe Stunde vom Zentrum der Stadt Fillan entfernt.

Lars Asle Monsen, Wartungsplaner bei Statkraft, folgt mir durch den Windpark Hitra. Die neuen Turbinen am Eldsfjellet werden teilweise zwischen den alten gebaut. Hier sind die Bautätigkeiten weitgehend abgeschlossen. Einige der Windkraftanlagen müssen noch abmontiert werden, andere kommen langsam wieder ins Laufen. Es ist eine faszinierende Landschaft. Die Natur ist unfruchtbar. Obwohl der höchste Punkt, Lauvdalsvarden, nicht mehr als 313 Meter über dem Meeresspiegel liegt, ist kaum ein Baum zu sehen. Der Wind schüttelt alles ab, was nicht fest am Boden haftet. Die Natur setzt auf Flechten und Steine. Auch der gelegentlich windgepeitschte Wacholderbusch scheint hier zu haften.

Strassen durchziehen die einst wilde Landschaft, die nun vom Menschen erschlossen wurde.

Mitten in dieser Landschaft kreisen die weißen Masten. Swisch, swisch, macht es, wenn sich die riesigen Flügel drehen. Kein ohrenbetäubendes Geräusch, sondern ein ewiges Zischen. Tag und Nacht. Sommer und Winter. Windböen sind begehrt. Aber wer darf sie sich zu eigen machen? Wem gehört die sanfte Brise, die uns an einem milden Sommertag über die Wange streichelt? Wem gehört ein Sturm, der an unsere Brust peitscht?

Naturschutz mit Nebenwirkungen

Lars sagt, dass unter anderem Hirsche, Auerhähne und Hasen in der Gegend leben. Der Mann aus Trondheim selbst war von Hitra so entzückt, dass er hierhergezogen ist – für den Windpark. Hier bei Hitra ist die Topografie so rau, dass die Windkraftanlagen nur ab und zu in der Ferne erspäht werden können, wenn sie zwischen den Gipfeln stehen. »In den flachen Landschaften auf Frøya und Smøla sind sie viel präsenter.« Er selbst sieht einen Windpark an sich nicht als visuelles Problem. »Es steht mir doch frei, zwischen Wandergebieten zu wählen, die erschlossen sind oder unberührt. Der Vorteil von Straßen liegt darin, dass sie einen einfachen Zugang bieten, unter anderem für diejenigen, die nicht in der Lage sind, lange Spaziergänge im Gelände zu machen. Ich bin jedoch für ein zentrales Management, das die Gebiete bewertet, damit wir die bestmögliche Verteilung der Windkraftanlagen haben – und nicht auf jedem Hügel eine einzelne Windmühle.«

Während manche Menschen das Geräusch der Turbinen fast genießen und denken, dass es sich bei jeder Umdrehung um den Klang reiner Energie handelt, werden andere Personen durch die fremden Elemente in der Natur gestört. Für einige sind die Windparks noch viel kritischer: Am Sørmarkfjellet in Osen und Flatanger haben die Rentierzüchter ein Drittel ihrer Winterweidefläche verloren. Ihre Existenz wird durch die Windparks bedroht. Vielleicht möchte ich zu viel, wenn ich mich nach dem Gefühl sehne, dass die Berge heilig sind. Denn wenn sich der Rest der Gesellschaft so schnell dreht, denke ich, brauchen wir etwas, das unverändert bleibt. Erkennbar. Stetig. Unberührt. Fosen ist groß. Hier gibt es noch viel Wildnis. Aber dass genau diese bislang unangetastete Natur nicht zuletzt durch unseren Energieverbrauch in den vergangenen Jahrzehnten bedroht ist und wir gezwungen sind, alternative, erneuerbare Quellen zu finden, davon zeugen sie, die Windparks.

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