
Der Empfang könnte nicht besser sein. Als die Fähre in den Hafen von Visby einläuft, erscheint ein markanter Regenbogen über der Stadt. »Es ist perfekt«, sagt Anna Söderlind, die wie ich und unser Fotograf Gustav nach Gotland reist, um mit der lesbischen Outdoor-Gruppe Hiking Dykes Sweden zu wandern. Am nächsten Morgen treffen wir uns im kleinen Fischereihafen in Sysne zwischen Katthammarsvik und Ljugarn auf Ostgotland wieder. Auch den Regenbogen bekommen wir wieder zu sehen, als Åsa Levander die mitgebrachte Fahne an den Rucksack von Wanderguide Carola Cato steckt.
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Åsa Levander gründete 2020 mit einer Freundin die Facebook-Gruppe Hiking Dykes Sörmland, nachdem sie festgestellt hatten, dass sie drei gemeinsame Interessen hatten: Fledermäuse, Wandern und Wälder. Nach den ersten Wanderungen vergrößerte sich der Freundeskreis, und bald entwickelten sich die Hiking Dykes Sörmland zu den Hiking Dykes Sweden, die mittlerweile über 1400 Mitglieder hat. Jede in der Gruppe kann selbst Wanderungen und andere Outdoor-Aktivitäten organisieren – so wie Carola Cato, die Gotländerin, die die Initiative für die heutige Wanderung ergriffen hat. »Wir werden etwa 12 Kilometer dem Ostküstenweg folgen, der durch mehrere Naturschutzgebiete führt und irgendwo da drüben übernachten«, sagt sie und zeigt auf die Bucht. »Auf Gotland kann man in der Regel sehen, wo man hingeht und wo man gestartet ist, weil die Wanderwege oft an der Küste entlang führen. Im Fjäll hat man dieses Gefühl selten.«
Carola ging vor drei Jahren auf ihre erste Wandertour mit den Hiking Dykes, ohne die anderen Teilnehmerinnen vorher zu kennen. »Ich wurde wie eine Freundin aufgenommen und fühlte mich sofort mit den anderen verbunden. Seit ich bei Hiking Dykes mitmache, hat sich mein Freundeskreis wahrscheinlich um 80 Prozent vergrößert«, sagt sie und führt die Gruppe entlang eines von Brombeersträuchern, Seerosen und Heidelbeeren gesäumten Pfades.

Immer den Dünen folgend
Es ist sonnig, zwanzig Grad, leichter Wind und blauer Himmel – besseres Wanderwetter gibt es kaum. Nach wenigen Minuten biegen wir auf den langen, leeren Sandstrand von Sandviken ab und gehen weiter am Meer und den breiten, schilfbewachsenen Dünen entlang. Einige Kilometer später verlassen wir den weichen Sand und betreten das Danbo-Naturschutzgebiet, vorbei an Feldern mit intensiv duftendem Thymian. Wir wandern mal über Sand- und Grasheiden, mal durch alte Nadelwälder, auf Wegen, die von Heidelbeeren, niedrigen Kiefern und Wacholderbüschen gesäumt sind. Und Pilzen. »Schau, wie toll! Ein Blutreizker«, ruft Carola und taucht ins Moos ein.
Noch eine Tasse Kaffee und eine Zimtschnecke dazu, dann sind wir bereit
»Auf einer unserer anderen Wanderungen in diesem Sommer haben wir einen Parasolpilz gefunden, den wir abends über dem Feuer gebraten haben«, erzählt Åsa. »Ein anderes Mal hat ein Mädchen eine Angel mitgebracht und eine Regenbogenforelle gefangen, die wir gegrillt haben. Das war der leckerste Fisch, den ich je gegessen habe.« Nach ein paar weiteren Kilometern durch den Wald kommen wir durch ein natürlich geformtes Portal aus niedrigen, knorrigen Kiefern wieder am Strand heraus. »Ich kann es kaum aushalten, wie schön es hier ist!«, ruft Åsa, als wir an einem steingemauerten Rastplatz anhalten. Die Mittagsszenerie ist unumstritten schwer zu übertreffen, nicht zuletzt mit dem Lunchpaket aus der Räucherei in Sysne: frisch geräucherte Flunder, Kartoffelsalat und Rumsauce. Noch eine Tasse Kaffee und eine Zimtschnecke dazu, dann sind wir bereit, die Wanderschuhe wieder zu schnüren.

Lieber Natur als Kneipe
An diesem Tag besteht die Gruppe aus sechs erfahrenen Wandererinnen, von denen eine kürzlich den gesamten Kungsleden mit einem Rucksack und Zelt bewältigt hat. Die heutige Wanderung dürfte sich im Vergleich dazu wie ein Spaziergang anfühlen, nicht zuletzt, weil einige der Teilnehmerinnen Zelte, Feuerholz und andere schwere Sachen im Voraus zum Lagerplatz für die Nacht gefahren haben.
Die Wanderungen der Hiking Dykes haben unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, aber laut Åsa gab es bisher keine allzu strapaziösen Trips. Vielmehr geht es darum, ein sicheres, akzeptierendes und einladendes Umfeld zu schaffen, um mehr Frauen dazu zu inspirieren, in die Natur zu gehen. »Meine Erfahrung ist, dass viele Lesben die Natur mögen, wir sind Waldmenschen. Ich glaube daher, dass sich viele lieber in der Natur als in einer Kneipe in der Stadt treffen. Für diejenigen, die es nicht gewohnt sind, in der Wildnis zu sein, kann es sich wie eine hohe Schwelle anfühlen, allein hinauszugehen, aber wenn man erst einmal eine Tageswanderung gemacht hat, bei der es völlig in Ordnung ist, Turnschuhe zu tragen, merkt man, dass es gar nicht so schwierig sein muss. Und vielleicht traut man sich dann beim nächsten Mal auf eine anspruchsvollere Wanderung.
Ich glaube, dass sich viele lieber in der Natur treffen, als in einer Kneipe in der Stadt
Carola stimmt dem zu: »Alle bei den Hiking Dykes sind sehr hilfsbereit. Wenn jemandem die Ausrüstung fehlt, gibt es immer mehrere in der Gruppe, die sich bereit erklären, etwas auszuleihen. Man muss keine teuren Sachen kaufen, um mitzumachen. Wichtig ist, dass mehr Menschen in die Natur gehen und die Möglichkeit haben, diese Gemeinschaft zu erleben.«
Carola selbst war schon immer gerne in der Natur. Als Teenager hat sie ihre Freunde mit Bier bestochen, damit sie mit ihr im Wald zelten gehen. Als Leiterin des Friluftsfrämjandet, einer schwedischen Organisation, die sich auf die Förderung von Outdoor-Aktivitäten und Naturerlebnissen spezialisiert, ermutigt sie nun auch Kinder und Jugendliche dazu, das Wandern und Zelten in der Natur zu entdecken. Außerdem hat sie Friluftsfrämjandet dazu gebracht, sich mit RFSL auf Gotland, einer Zweigstelle des Schwedischen Verbands für Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender-Personen und Queer-Rechte durch ein neues Projekt zu vernetzen, das darauf abzielt, mehr LGBTI+-Jugendliche in die Natur zu locken.
»Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sich die Natur positiv auf die psychische Gesundheit auswirkt, und die Zahl der psychischen Erkrankungen unter jungen Queers ist sehr hoch. Die Idee ist, leicht zugängliche Aktivitäten in der Natur anzubieten, denn ich denke, dass es einfacher ist, ein Gemeinschaftsgefühl in einer entspannten Umgebung im Freien zu entwickeln, in der nichts von einem verlangt wird. Es kann genügen, zu schnitzen oder einfach nur gemeinsam am Lagerfeuer zu sitzen.
Zeltrevival in der Halle des Königs
Wir kommen an ein paar kleinen Fischerdörfern vorbei, füllen unsere Wasserflaschen an einer Pumpe auf und hören die Muscheln unter unseren Schuhen knirschen, während wir weiter am Meer entlang wandern. Dann sehen wir, wie sich die erste Kalksteinformation des Tages auftürmt. »Meint ihr, man kann sie erklimmen?«, fragt Hiking Dykes-Debütantin Anna Eronn. Eine Minute später stehen sie und Åsa auf den Raukar und posieren fröhlich. Doch die beiden Strandraukar sehen alt aus im Vergleich zu dem, was uns an unserem Tagesziel erwartet. »Oh, wie cool!«, ruft Åsa, als sie die runde Ansammlung von Raukar inmitten des Strandwaldes sieht, die auch als Kungens sal (dt. die Halle des Königs) bezeichnet werden.
Absolut zauberhaft«, sagt Lilo Svensson. »Könnt ihr euch vorstellen, dass diese Raukar 440 Millionen Jahre alt sind«? Die Steinwände sind mit grünem Moos, Sauerampfer und Glockenblumenblättern bedeckt. Auf einer von ihnen steht eine Kiefer, deren Wurzeln die Felswand hinunterklettern, als wäre es ein Gemälde des schwedischen Malers John Bauer. Neben einer anderen steht ein großer, stolzer Parasolpilz. Es juckt uns in den Fingern, aber wir lassen ihn stehen – dies ist ein Ort, der Ehrfurcht einflößt und den man so unberührt wie möglich lassen möchte. Am anderen Ende befindet sich ein Campingplatz mit einer Feuerstelle, umgeben von Brombeeren und alten Kiefern. »Es ist, als würde man in eine andere Dimension eintauchen«, sagt Anna Söderlind.

Nach einem dringend benötigten Bad am benachbarten Sandstrand machen wir es uns gemütlich. Das Feuer wird angezündet, Zelte aufgebaut und die Isomatten aufgepustet, während ich hilflos mit einem Zeltgestell in der Hand dastehe. Mein Interesse am Schlafen in Zelten ist seit dem Hultsfred-Festival 1996 erloschen, aber an diesem Wochenende konnte ich mir von Carola ein modernes Ein-Frau-Zelt ausleihen. Es ist eine lang ersehnte Gelegenheit für ein Zeltrevival, und die Bedingungen könnten nicht besser sein, so wie ich von Friluftfüchsinnen umgeben bin. Mit Åsas Hilfe ist das Zelt in ein paar Minuten aufgebaut. »Dank der Hiking Dykes habe ich gelernt, draußen zu schlafen«, sagt sie. »Das erste Mal, als ich zelten war, habe ich kein Auge zubekommen. Aber ich beschloss, mich der Herausforderung zu stellen, weil ich alles andere in der Natur so magisch finde. Und jetzt kann ich es kaum erwarten, im Zelt einzuschlafen. Aber am liebsten schlummere ich aber in einer Hängematte unter dem Sternenhimmel ein.«
Aber am liebsten schlummere ich in einer Hängematte unter dem Sternenhimmel
Um mehr Menschen zu ermutigen, den Reiz des Schlafens im Freien zu entdecken, hat Åsa in der Gruppe Hiking Dykes eine Challenge gestartet: Die Aufgabe lautet, ein ganzes Jahr lang mindestens einmal im Monat im Freien zu schlafen. »Es gibt Mitglieder in der Gruppe, die nur Glamping mögen, aber manchmal muss man sich seinen Ängsten stellen. Beim ersten Mal mag es beängstigend sein, aber beim zweiten Mal ist es einfacher. Und wenn man es mit guten Freunden macht, bringt alles noch ein bisschen mehr Spaß.«
Eine wichtige Gemeinschaft
Das Wandern mit den Hiking Dykes macht zweifelohne Spaß und ist gleichzeitig lehrreich. Im Laufe des Tages lerne ich nicht nur, wie man ein Zelt aufbaut, sondern auch, dass die Flusen eines Wäschetrockners das perfekte Zündmittel für ein Lagerfeuer sind und dass man seinen Rucksack mit einem losen Ast ganz einfach an jeden Baumstamm hängen kann. »Es gibt so viel Wissen unter unseren Mitgliedern«, sagt Åsa. »Wir planen daher, möglichst viele der Frauen zu einem Erste-Hilfe-Tag einzuladen, an dem sie lernen können, wie man Blutungen stillt, eine einfache Bahre baut und andere Dinge, die man im Wald wissen sollte.«
»Es wäre auch lustig, einen Workshop über das Trocknen von Lebensmitteln oder das Kochen über einem offenen Feuer zu halten«, fährt Åsa fort. »Wir haben auch darüber gesprochen, andere Aktivitäten in der Natur zu organisieren, wie Mountainbiking, Skifahren und Klettern. Wir können so viel machen, wie wir wollen, ohne Experten von außen hinzuziehen zu müssen – der Himmel ist die Grenze.«
Als es langsam dunkel wird, versammeln wir uns um das Feuer und grillen Würstchen, Pizza und Marshmallows. Jemand erzählt uns, wie die Hiking Dykes nach einer Scheidung zu einer Möglichkeit für sie wurde, in die Natur zu gehen und nicht allein zu sein, eine andere drückt ihre Dankbarkeit aus, Teil einer Gruppe zu sein, in der es normal ist, lesbisch zu sein. Eine dritte sagt, dass sie ohne die Freundschaften, die sie durch Hiking Dykes geschlossen hat, wahrscheinlich nicht mehr am Leben wäre. »Ich hätte nie gedacht, dass Hiking Dykes so groß und wichtig für so viele Menschen werden würde«, sagt Åsa. »Ich bin so dankbar und stolz, dass diese Gruppe vielen Menschen geholfen hat, sich weniger allein zu fühlen.« Sie ist der Meinung, dass die Natur ein unschlagbarer Ort ist, um Ausgrenzung abzubauen. »In einer Gruppe zu wandern ist eine sehr gute Möglichkeit, neue Leute kennen zu lernen, weil man Zeit hat, mit verschiedenen Menschen zu sprechen – und plötzlich hat man durch den Smalltalk eine Freundin fürs Leben gefunden. Wenn man eine einsame Lesbe ist, ist es viel einfacher, bei einem Spaziergang Kontakte zu knüpfen als in einer Bar oder einem Club.«

Blutmond und Pfannkuchen
Nach Einbruch der Dunkelheit nehmen einige der Gruppe ein abendliches Bad und beobachten, wie der große Blutmond am Horizont aufgeht. In der Halle des Königs sind nur das Feuer und ein paar Lichter in den Zelten angezündet. Carola legt ein weiteres Holzscheit nach und wärmt hausgemachte Gotland-Safran-Pfannkuchen über dem Feuer. Dann serviert sie diese mit schwarzer Johannisbeermarmelade und Sahne. »Gott, ist das gut! Kann ich das Rezept haben?«
Die Gemütlichkeit am Feuer findet ein jähes Ende, als sich in der Ferne ein dumpfes Grollen nähert und gleichzeitig ein Blitz die Nacht erhellt. Als die ersten schweren Regentropfen fallen, flüchten alle in ihre Zelte. Kurz darauf schlägt das Gewitter mit voller Wucht in der Halle des Königs ein. Wäre ich allein gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich erschrocken. Aber mit Carola, Åsa und den anderen fühle ich mich wohl – und denke, dass sie ihr Ziel, eine sichere, tolerante und einladende Umgebung zu schaffen, wirklich erreicht haben.

Wandern auf Gotland
Auf Gotland zu wandern ist wie eine Zeitreise durch eine uralte Landschat aus Kalksteinfelsen, windgepeitschten Küsten und dichten Wacholderwäldern. Die Insel bietet spektakuläre Routen, wie entlang der Raukar-Formationen auf Fårö. gotland.com