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Neuentdeckung zwischen Wald und Meer

Entlang der Küste von Sundsvall führt der frisch eingeweihte, 48 Kilometer lange Wanderweg Botnialeden. Der Pfad führt Wandernde auf alten und neuen Pfaden durch ein goldenes Land mit weißem Strand, dschungelartigem Wald und Bergen, durch das erst wenige Stiefel gelaufen sind.

Es ist etwas Besonderes, einen nagelneuen Wanderweg zu gehen: Farbmarkierungen und Schilder leuchten im frisch gestrichenen Outfit, manchmal neu angelegte Wege – wild und eher unbetreten führen sie durch dichtes Gebüsch. Hier sind noch nicht viele Stiefel getreten. Noch nicht. Es ist verlockend, nicht zu wissen, was hinter der nächsten Kurve liegt, und das meiste ist eine Überraschung. Wie der weiße, schöne Strand, der dschungelartige Wald, das gemütliche Gästehaus und dann das Beste von allem – der Berg mit dem kleinen Windschutz und der unglaublichen Aussicht. Aber fangen wir von vorne an.

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Hier sind noch nicht viele Stiefel getreten. Noch nicht. Es ist verlockend, nicht zu wissen, was hinter der nächsten Kurve liegt

Botnialeden heißt der neue Wanderweg, der im Mai vergangenen Jahres eingeweiht wurde. Mit großem ehrenamtlichen Engagement ist es in einem LONA-Projekt, ein gefördertes Umwelt- und Naturschutzprojekt in Schweden, das im Rahmen des Lokala Naturvårdssatsningen (dt. lokale Naturschutzinitiative) entstanden ist und Straßen mit alten und neuen Wegen zu einem völlig neuen Pfad zu verbindet. Die Idee dazu hatte die Wanderführerin Lotte Nord, für die der Weg alles andere als Neuland ist – sie kennt wohl jede einzelne Kurve. »Ich hatte die Idee für den Botnialeden, weil ich dachte, dass es in der Region keine zusammenhängende Route gibt. Ich bin viel gewandert, sowohl in Schweden als auch im Ausland, und es hat mich beeindruckt, wie viele tolle Wanderwege es gibt. Wir hier im Norden sind an den Wald gewöhnt und gehen einfach raus ins pfadlose Land, aber viele Leute wollen heutzutage eine Struktur. Sie wollen eine Karte, am besten mit Tipps und Einkehrmöglichkeiten. Der Botnialeden hat von allem etwas – er liegt in der Nähe der Küste und der Stadt und ist reich an Kultur und Natur«, sagt sie.

Lottes großes Interesse an der Natur hat sie als Projektmanagerin für den Botnialeden zum Ausdruck gebracht. Entlang des Weges befinden sich 50 informative Schilder über die Natur und die Geschichte der Gegend. Und inmitten dieser Geschichte beginnen wir unseren Spaziergang. In der Historie der Eisenhütte, um genau zu sein. Meine Fotografenkollegin Emma und ich befinden uns so weit südlich wie möglich auf dem Botnialeden in Galtström. Hier kann man, wenn man will, an den Kustleden anschließen und weiter in Hälsingeland wandern.

Bemerkenswerte Gerüche

Aber wir lenken unsere Füße bei strahlendem Sonnenschein nach Norden. Hier in Galtström liegt das erste, größte und letzte Eisenwerk von Medelpad. Wir kommen an Ruinen, alten Gebäuden und Dampflokspuren vorbei. Die Kapelle ist eine schöne Holzkirche mit einer langen Geschichte – der erste Gottesdienst wurde bereits 1680 abgehalten. Wir folgen einem Feldweg. Der Wald wird in verschiedenen Phasen zu einer rahmenden Kulisse, mal grün, mal als verworrenen. Ich lese die Hinweisschilder über den Gagelstrauch und den Sumpfporst. Harry Martinson soll ihn als den Lavendel der wilden Wiesen beschrieben haben, und über den Sumpfporst soll er geschrieben haben, dass er so heiß riecht wie ein brünstiger Atem aus den Trollbergen. Heute rieche ich den Brunftduft nicht mehr, aber der Wald duftet nach warmen Tannennadeln.

Die Luft steht still und wir fächeln uns immer wieder mit unseren Hüten zu. Weder eine Wolke noch ein Mensch ist in Sicht. Waldwege spenden uns schließlich den lang ersehnten Schatten. Als wir die kleine Stadt und das Fischerdorf Skatan erreichen, sind sowohl die Wolken als auch die Menschen da. Das Meer glänzt noch in der Sonne, aber hinter uns hat sich der Himmel in ein dunkles, tiefes Violett verwandelt. Die Bootsfahrer schauen auf, einige Männer mit Handtüchern um die Hüften eilen in die Sauna. Die Fischerboote schließen ihre Türen. Kurz bevor der Himmel aufreißt und der Donner grollt, retten wir uns in das charmante Café und die Taverne Skatans.

»Wandert ihr auf dem neuen Botnialeden?« fragt ein Tischnachbar und wir nicken. Der Barkeeper fragt ebenfalls und ist von der Antwort begeistert. Er hat bisher noch keine Wanderer getroffen, hofft aber, in diesem Sommer mehr Rucksacktouristen zu sehen. An diesem Abend geben wir unsere Pläne, einen Campingplatz zu finden, auf und checken spontan im charmanten Gästehaus des Restaurants ein. Von unserem Fenster aus haben wir einen Blick auf die schützende Bucht und den immer noch fallenden Regen, der die Oberfläche kräuseln lässt. Tag zwei wird lang werden, aber das wissen wir noch nicht.

Bad in dunklem Tee

Wir beginnen den Morgen mit einem Bad im Konnviken. Das Wasser ist warm und hat die Farbe von dunklem Tee. Am Ufer zögern Elvira Fall und Lars-Olov Sundberg, bevor sie ins Wasser springen und ein paar Züge machen. Sie bauen ein Haus in Skatan und finden die Gegend idyllisch. Sie sind den Botnialeden selbst noch nicht selbst gewandert, aber sie kennen ihn. Ist er schon ein bisschen berühmt?  »Es ist schön, wenn neue Leute kommen, wie jetzt mit dem neuen Wanderweg«, sagt Elvira, und ihr Partner nickt. »Vielleicht wird das unser Ziel für den Sommer sein, den Rückstand aufzuholen und den Botnialeden zu wandern?«, schlägt er vor.

Schotter und ausgetretene Pfade werden durch verwunschenen Wald ersetzt. Hier und da spüre ich einen neu angelegten Pfad unter der Vegetation

Die Sonne ist heute wieder da, und als wir Skatan verlassen, bieten sich uns schon früh verlockende Waldansichten am Horizont. »Jetzt sehne ich mich danach, wieder tiefer in den Wald zu gehen«, sage ich verträumt zu Emma. Der Botnialeden scheint mich zu erhören und erfüllt mir diesen Wunsch – und zwar mit Nachdruck. Am Vogelsee Mingen werden Schotter und ausgetretene Pfade durch verwunschenen Wald ersetzt. Hier und da spüre ich einen neu angelegten Pfad unter der Vegetation. Die Mücken fressen sich in die Haut, die Büsche zerren an den Beinen. Wir gehen schnell und kichern darüber, wie mühsam der Weg geworden ist. Es ist klar, dass der Wald hier größtenteils für sich selbst sorgt.

Die Geräuschkulisse beweist, dass wir nicht allein sind. Am Vogelsee gibt es ein wildes Konzert. Plötzlich ertönt ein dumpfes Geräusch, das uns innehalten lässt. Es erinnert mich an einen Dampfer in der Ferne oder an das Pusten über den Mund einer leeren Flasche. Ein paar Tage später erfahre ich zufällig, dass es sich um eine Rohrdommel handelt. Das ist ein Vogel, den man aus fünf Kilometern Entfernung hören kann und der wie eine Kreuzung aus Reiher und Eule aussehen soll.

Auf der anderen Seite des Dschungels angekommen, genießen wir hügelige Wiesen und Felder. Vor einem der Bauernhöfe geht ein Mann mit einem Hund spazieren. Er wird neugierig und fragt: »Wandert ihr den neuen Weg?« Der Botnia Trail schlängelt sich durch sein Land und er freut sich, Wanderer zu treffen. Bald, so hofft er, werden noch mehr kommen.

Auf der anderen Seite des Dschungels angekommen, genießen wir hügelige Wiesen und Felder

Die Grundstückseigentümer waren ein wichtiger Teil der Arbeit am Wanderweg. Lotte Nord sagt, dass sie während des Projekts mit 150 verschiedenen Grundbesitzern in Kontakt stand. »Ohne sie hätte es den Wanderweg nicht gegeben. Mein bester Rat an alle, die markierte Wanderwege anlegen wollen, ist, mit den Grundbesitzern zu beginnen und einen guten Dialog mit ihnen zu führen. Alles hängt von ihnen ab.«

Wir betreten einen neuen Wald mit schönen Kiefern und Fichten, weichem Moos und hier und da einer knackigen Rentierflechte. Er heißt Algar, wie ein Name aus einem Märchen. Der Wind raschelt in den Bäumen, während wir ein einfaches Mittagessen in der Gasküche zubereiten.

Schmerzende Füsse und atemberaubende Sicht

Das zweite Bad des Tages genießen wir am leeren, weißen Strand ein Stück vom Campingplatz von Bergafjärden entfernt. Wir könnten auf dem Campingplatz bleiben – die Zeltplätze sind schön. Aber wir haben einen Berg und eine Aussicht im Visier, über die wir schon Gerüchte gehört haben.

Doch der Weg dorthin fühlt sich lang an, und die Sonne hat ihren sanften Abstieg begonnen. Vielleicht sind es die schmerzenden Füße und die Müdigkeit, die uns an diesem Abend ein paar Mal vom Weg abkommen lassen. Wir suchen nach geeigneten Zeltplätzen, während unsere Energie schwindet. Aber wir gehen trotzdem weiter, und das zum Glück. Im Fischerdorf Juniskär biegen wir vom Weg ab, weg vom Meer und den Wohngebieten, hinein in den Wald, hoch, hoch.

Nylandsberget, wie er genannt wird. Die Aussicht ist die schmerzenden Füße, die zwei Kilometer Wanderung in der Hitze und die hungrigen Mägen wert. Es gibt eine verfallene Schutzhütte an einem herrlichen Ort. Aber Wanderer sollten sich nicht auf den Windschutz verlassen, denn der ist undicht. Wir sind froh, dass wir das Zelt haben. Wir bauen es am Hang auf und breiten uns auf dem Berg aus. Es gibt Gnocchi mit Gruyère und Frühlingszwiebeln, gekocht in der Gasküche. Der Himmel färbt sich wieder lila. Irgendwo da unten liegt Juniskär, mit einem Café, einem Restaurant und Möglichkeiten zum Angeln und Kanufahren. Wir blicken weit aufs Meer hinaus, während der Wald uns von hinten umarmt und der Berg unter uns ruht.

So lässt sich der Botnialeden ganz gut zusammenfassen. Wir stellen fest, dass er leicht zu gehen ist, manchmal auf Asphalt und in Wohngebieten, aber die Wege und der Blick aufs Meer entschädigen dafür. Bis spät in die Nacht sitzen wir am Feuer, und nachdem wir ins Zelt gekrochen sind, kommt der Regenguss. Am nächsten Morgen riecht die Welt wie frisch gewaschen, und wir wandern in nebligen Vorhängen weiter den Berg hinunter, weiter entlang des Ljungan und nach Kvissleby. Hier führt der Botnialeden weiter nach Södra Berget, aber wir beenden unsere Tour diesmal. Ein Taxi bringt uns zum Bahnhof in Sundsvall, weil der Bus nicht zu unserem Zug passt. »Ihr scheint ein Abenteuer gehabt zu haben, sagt der Taxifahrer. Ah! Lasst mich raten, ihr seid den neuen Wanderweg gelaufen?«

Botnialeden
48 Kilometer von Södra Berget nach Galtström, markiert  mit orangefarbenen Punkten und Schildern über Natur und Geschichte. Man wandert auf Waldwegen und Naturpfaden, manchmal durch Wohngebiete und auf Asphalt. Übernachtungen auf dem Campingplatz Bergafjärden, in Kvissleby, Svartvik, Skatan, Juniskär und Galtström.

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