Radpartie voller Kontraste
Von schmelzendem Schnee und eisigen Nächten im Norden bis zu blühenden Kirschbäumen und Buchenwäldern im Süden. Dass Schweden ein langgestrecktes Land ist, wird uns bewusst, als wir zwischen April und Mai auf E-Bikes von der Ost- zur Westküste Skånes radeln wollen.

Es regnet Bindfäden, als wir an einem Montagmorgen am Kristianstads Vattenrike in Skåne stehen. Das Feuchtgebiet ist für die Aufrechterhaltung der Artenvielfalt von grosser Bedeutung und insbesondere Vögel, Frösche und Hechte fühlen sich hier wohl. Unser Plan ist es, das Landesinnere von Schwedens südlichster Region zu erkunden, indem wir von Kristianstad nach Ängelholm radeln. Nach einem kurzen Abstecher in das Naturzentrum und auf die Wanderwege des Vattenrike schwingen wir uns auf unsere Drahtesel und strampeln durch ein neu erwachtes Kristianstad, wo die Menschen es eilig haben, zur Arbeit zu kommen und sich die Hände am ersten Milchkaffee des Tages zu wärmen.
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Die Frühlingswärme ist Herbstwetter gewichen. Graue Wolken ziehen am Himmel auf, als aus der Stadt herausrollen, auf einem Weg, der am ehesten an einen Damm einer stillgelegten Eisenbahnlinie erinnert, der jetzt zu einem teilweise gepflasterten Radweg aufgestockt wurde. Am Stadtrand passieren wir ein hohes Getreidesilo und befinden uns plötzlich auf dem Lande, wo endlose Rapsfelder gelb gegen den grauen Himmel leuchten. Kalter Regen prasselt auf uns und die Landschaft nieder. Alles wird nass, aber wir halten durch und hoffen auf ein Wunder.
Die Äste der Weidenbäume ragen über das Wasser, während wir, umgeben von Schlüsselblumen und dichtem Grün, am Ufer des Sees Råbelöv entlang radeln. Vögel zwitschern in verschiedenen Tönen, grasende Schafe machen große Augen, als wir vorbeifahren. »Aus dem Weg!«, ruft ein verschwitzter Radfahrer in Lycrakleidung, der es noch eiliger hat als wir. Wir lassen offene Landschaften, blühende Apfelplantagen und gurrende Tauben hinter uns und fahren auf schmalen Straßen ins Hinterland des nordöstlichen Skåne. Steile Hänge und kleine Bauernhöfe mit leeren Scheunen reihen sich aneinander, wo gepflegte Blumenbeete ebenso häufig sind wie rostige Autowracks. Wir erschrecken, als wir eine Nachtigall aus einem Dickicht dröhnen hören.

Vögel zwitschern in verschiedenen Tönen, grasende Schafe machen große Augen, als wir vorbeifahren
In Knislinge halten wir bei einem kleinen Krämerladen namens Adrians Livsmedel, um unsere Vorräte aufzustocken. In den Regalen duften Gewürze und Süßigkeiten aus dem Nahen Osten. Adrian selbst heißt uns herzlich willkommen, als wir uns mit den Händen voller Früchte, Nüsse und je einer großen Tüte süßer Rosinen auf die nassen Stühle vor seinem Laden setzen.
Pause mit Kunst
Obwohl uns der Regen über den Rücken läuft und Schnecken mit Häusern auf dem Rücken auf die Straße lockt, die wir zu umfahren versuchen, fühlen wir uns immer wohler mit unseren gemieteten Elektrofahrrädern. Kein Jammern kommt uns über die Lippen. Der Snack bei Adrian hat die Energiedepots wieder aufgefüllt.

Der Weg führt uns über schmale Schotterpisten, gepflasterte Bahndämme, kurvige und hügelige Landstraßen, zwischen düsteren Fichten und durch üppige Buchenwälder. Der Frühjahrsanbau zeigt sich von seiner besten Seite. Skånes nährstoffhaltige schwarze Erde gibt und nimmt. Der Geruch von Dung ist deutlich wahrnehmbar. Wir passieren große Bauernhöfe mit riesigen Traktoren und kleine, gepflegte Höfe mit Pferden, Schafen und Hühnern.

Am Schloss Wanås halten wir an, lehnen unsere Räder an eine Steinmauer und gehen in den regengetränkten Skulpturenpark. Jedes Jahr werden internationale Künstler eingeladen, in diesem Park Kunst zu schaffen. Heute gibt es rund 70 permanente Kunstwerke zwischen den riesigen Laubbäumen. Ein Besuch lohnt sich, beschließen wir. Das Schloss stammt aus dem 15. Jahrhundert und spielte während des Schonischen Krieges im 17. Jahrhundert eine bedeutende Rolle als Stützpunkt der Snapphanar – dänisch gesinnter Guerillakämpfer, die gegen die schwedische Vorherrschaft kämpften. Nachdem wir ein paar Kilometer weiter geradelt sind, betreten wir das Gasthaus in Vinslöv, wo das Mittagessen gerade aufgefahren wird. Wir werden eingeladen, uns zu setzen und ziehen sofort unsere Schuhe und die nasse Regenkleidung aus. Während aus den Lautsprechern die Beach Boys, Björn Afzelius und Ulf Lundell laufen, bedienen wir uns am Buffet. Als wir satt und zufrieden und mit trockenen Kleidern klar zum Aufbruch sind, wurden unsere Gebete erhört: Der Regen hat aufgehört, und die Sonne lässt die Fahrbahn dampfen.
Ein angenehmes Gefühl von Freiheit stellt sich ein, als wir langsam in die kleinen schonischen Gemeinden einfahren
Ein angenehmes Gefühl von Freiheit stellt sich ein, als wir langsam in die kleinen schonischen Gemeinden einfahren, die wir unter einem weiten Himmel, der sich über Felder und Äcker bis zum Horizont erstreckt, passieren. Es ist das gleiche Gefühl wie beim Wandern in den Bergen. Oder als wäre man auf dem Meer unterwegs und liefe mit dem Boot einen neuen Hafen an. Freiheit. Neugierde. Man freundet sich sofort mit der kleinen Gemeinschaft an, kommt sich näher, lebt sich ein, wird willkommen geheißen, fühlt sich zu Hause.
So fühlt es sich an, als wir jetzt langsam nach Hässleholm radeln, wo wir den Abend verbringen werden. Man sagt, dass sich hier, am Ufer des Finjasees, die ersten Menschen im heutigen Schweden niederließen. Und in einer Eilmeldung auf unserem Handy lesen wir, dass die Polizei in Hässleholm ein Känguru jagt, das auf der Flucht ist. »Wahrscheinlich suchen sie ein Weibchen«, erklärt ein Polizist ernst. Wir schlafen sanft ein und schlafen lange.
Am Morgen ist es zwar kühl, aber Sonnenschein und blauer Himmel versprechen etwas ganz anderes als der gestrige Dauerregen.

Liebe zur Routine
Das Vorbereiten auf die Tagesetappe wird zur geliebten Routine: Gepäcktaschen füllen, am Rad befestigen, Reifen prüfen, Helm aufsetzen, in den Sattel schwingen und losfahren. Wir haben noch einen ganzen Tag vor uns, und wir wissen nicht, wie er enden wird. Mit vielen Überraschungen und einem Weg, der nie offensichtlich geradeaus führt, sondern uns auf kleinen Straßen in verschiedene Richtungen und an merkwürdige Orte führt. Jemand hat sich ein Erlebnis für uns ausgedacht, gewürzt mit dem Duft frisch geschnittener Hecken. Nur der Flieder hat seine süss duftende Note noch nich entfaltet.
An der Badestelle des Sees Finja steigt ein Frühaufsteher aus dem Wasser. Und als wir ihn mit einem Handtuch um die Hüfte auf ein gut beladenes Fahrrad zusteuern sehen, drehen wir uns sofort in seine Richtung. Es macht immer Spaß, eine Weile mit Gleichgesinnten zu plaudern, Entfernungen, Fahrräder und Routenwahlen zu vergleichen.

Tero Mononen aus Helsinki ist ein Bergsteiger aus Helsinki, der auf dem Weg nach Malmö ist. Früher lebte er in einem Wohnmobil, jetzt, wo es fast Sommer ist, ist sein Zuhause ein Fahrrad und ein Zelt. »Weniger Emissionen«, lautet seine Erklärung. Ehrbar, denken wir, und sehen ihm zu, wie er sich auf den Radweg Richtung Malmö begibt.
Wir werden auf neue Umwege gelockt, als wir an den weiß gekalkten Mauern der Burg Hovdala vorbeikommen, wo wir einen Abstecher machen, um mehr zu erfahren. Wie Wanås hat auch das Schloss eine Geschichte, die bis ins 17. Jahrhundert und in den Krieg mit Dänemark zurückreicht. Heute ist es ein gut besuchtes Denkmal mit Opernaufführungen, Märchenabenden, Mittelaltertagen und einem Erntefest.
Die Schotterstraße, die uns über den Berg nach Tyringe führen wird, ist nun steil und kurvenreich. Nichts, was man in Skåne zu erleben glaubt. Trotz des Elektromotors müssen wir uns ganz schön ins Zeug legen, um nicht absteigen zu müssen. Oben auf dem Kamm angekommen, machen wir eine Pause und sehen dann einen älteren Mann, der den Berg hinauffährt, allerdings aus der anderen Richtung. Auf einem Fahrrad. Ohne Gangschaltung. Und er zieht es nicht, sondern fährt sitzend auf dem Sattel. Er hält an und erzählt uns beiläufig, dass er auf dem Heimweg von einem Gesundheitscheck im Ärztezentrum ist. Dass er normalerweise Rad fährt und einkauft. Und dass er 84 Jahre alt ist. Dass es im Gesundheitszentrum gut gelaufen ist, muss man wohl nicht hinzufügen.

Tausend schimmernde Frühlingstöne
Wir rollen nun den Berg hinunter, der Laubwald schimmert in tausend Frühlingsgrüntönen, vorbei an Löwenzahnfeldern und kilometerlangen Steinmauern, die jemand im Schweiße seines Angesichts aufgeschichtet hat, um Platz für mehr essbare Pflanzen zu schaffen.
Wir rollen nun den Berg hinunter, der Laubwald schimmert in tausend Frühlingsgrüntönen, vorbei an Löwenzahnfeldern
In Tyringe finden wir ein Kurhotel und eine Heilquelle, aber auch eine gemütliche Thai-Bar mit einem Mittagessen, das die Geschmacksnerven verwöhnt. Selbst in den kleinsten und entlegensten Winkeln unseres Landes hat sich das gastronomische Angebot unbestreitbar vervielfältigt, wofür wir dankbar sind.
Eine weitere schmale Schotterstraße führt uns durch eine Landschaft, die Erinnerungen an die Vergangenheit weckt. Mit noch geschlossenen Eisdielen, aber sanft geschwungenen Wiesen, einem krähenden Hahn, Kühen, die ruhig auf einer Weide grasen, und wachsame Augen für ihre verspielten Kälber haben, die sich auf immer längere Ausflüge von ihren Müttern entfernen.

Die Dörfer hier tragen Namen wie Hissmossa, Mammarp und Hultet. Auf einer Weide treffen wir auf Alpakas mit großen Ohren und neugierigen Augen, die uns aus dem frisch gemähten Grün beobachten. Wir radeln noch ein paar Kilometer auf einer geraden Straße, vorbei an einem weiteren riesigen Rapsfeld, durch Perstorp, bekannt für Essig und Laminatplatten.

In Klippan halten wir am Norrehus, einer Unterkunft, einem Restaurant und einem entspannten Konzertveranstalter, der mit einem Fuß im 50er-Jahre-Rock und mit dem anderen im Punk steht. Außerdem liegt es direkt neben dem Söderåsen-Nationalpark. Das Haus hat eine lange und nicht immer makellose Geschichte, die Zimmer sind wenige, aber neu renoviert, großzügig und geschickt eingerichtet.

Am nächsten Tag blüht endlich der Flieder. Wir radeln ehrfürchtig duftend durch Kvidinge und Åstorp, arbeiten steile Hügel und lange Geraden mit Sonne und Wind im Rücken ab, addieren im gemütlichen Marschtempo Kilometer um Kilometer und sind plötzlich ohne große Anstrengung in Ängelholms Wohngebiet geradelt. Langsam finden wir unseren Weg zur Brücke von Carl XV, die uns über den Fluss Rönne führt, der wiederum in die Bucht Skälderviken mündet. Hier endet unsere Fahrradtour. Wir haben keine Zeit, um im Meer zu baden, und die Zeit, um den Zug zurück nach Kristianstad zu erreichen, ist zu kurz. Wir stellen jedoch fest, dass die Radtour durch die nördlichen Teile von Skåne abwechslungsreicher war, als wir es uns vorgestellt hatten, mit mehr Wald, mehr Hügeln und weniger Rapsfeldern. Es war eine Reise der Kontraste, die sich lohnt, wiederholt zu werden.

Mehr Info zum Radwanderweg Skåne unter cykelledenskane.se