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Schnee von Morgen: Klimaneutraler Skiurlaub in Pyhä

Ein Skiurlaub, ganz im Einklang mit Natur und Umwelt? NORR wollte herausfinden, wie das geht, und reiste dafür in das Freeride-Fjällgebiet Pyhätunturi im finnischen Teil Lapplands.

Dicke Schneeflocken schweben durch den Lichtstrahl, der die Fassade erleuchtet, und der Berg Pyhätunturi ist schon seit Stunden in das nächtliche Gewand gehüllt, als wir erschöpft und glücklich unser Hotel erreichen. Seit dem frühen Morgen sind mein Fotograf Hendrik und ich schon unterwegs. Begonnen hatte die Reise am Bahnhof von Henriks Heimatstadt Vaasa. Dort packten wir Fatbikes, Skier und anderes dickes Gepäck in den Zug und fuhren nach Rovaniemi. Dann ging es weiter mit dem Bus Richtung Kemijärvi, wo schließlich der härteste Teil unserer Reise auf uns wartete: Eine knapp sechzig Kilometer lange Radtour über die verschneite Landstraße.

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Der Pyhätunturi ist ein bis zu 540 Meter hohes Fjäll in Finnisch Lappland. Zusammen mit dem Luosto- Fjäll bildet es den Pyhä-Luosto- Nationalpark. Das Skisportzentrum Pyhä mit neun Liften und vierzehn Abfahrten befindet sich am Berg Kultakero und ist das erste klimaneutrale Skigebiet Finnlands. Neben Freeride-Skitouren werden hier Eisklettern, Schneeschuh- und Fatbiketouren angeboten. Mehr auf pyha.fi

Stundenlang fuhren wir hinter einander her, rechts und links die tiefen finnischen Wälder, vor uns die endlose weiße Gasse und ein Schwarm aus kristallenen Flocken. Viel gesprochen wurde nicht. Nur bei den kleinen Verschnaufpausen machten wir uns bei lauwarmer Blaubeersuppe Mut und versicherten uns, dass diese sportliche Herausforderung schließlich Teil unserer Mission sei: Wir wollen bei unserem Wintersportabenteuer Umwelt und Klima so wenig wie möglich belasten – eben nicht einfach das Flugzeug in die Alpen nehmen, um dort auf präparierten Kunstschneehängen rumzurutschen. Wir wollen die arktische Natur erleben, wie sie ist und nicht mehr als unsere Fußabdrücke im Schnee zurück lassen.

Klimafreundliche und kraftraubende Anreise mit Zug, Bus und Fatbike. Otto und Hendrik hellen so ihre CO2- Bilanz deutlich auf.

Unsere alternative – wenn auch leicht kraftraubende – Anreise hellt unsere CO2-Bilanz bereits erheblich auf. Im finnischen Durchschnitt entfallen allein auf die Anfahrt siebzig Prozent des Kohlendioxidausstoßes eines Skiurlaubs. Motiviert durch dieses Wissen strampelten wir also unserem Ziel entgegen: Pyhä in Finnisch Lappland.

Den Ort am Rande des Nationalparks Pyhä-Luosto haben wir uns ganz bewusst ausgesucht, denn er gilt nicht nur unter Freeridern als einer der besten Spots Finnlands, sondern ist auch das erste klimaneutrale Skigebiet des Landes. Perfekt.

Vom Winde verweht

Nach einer erholsamen Nacht machen wir uns am nächsten Tag früh auf, um mit einer kleinen Gruppe um die ortskundigen Skilehrer Jussa und Taneli die Offpist-Möglichkeiten der Region zu erkunden. Vor der Hütte am See Karhunjuomalampi schnallen wir uns die Felle unter die Skier und wandern in einer Reihe den schmalen Bergrücken entlang. Der erste Rast- und Aussichtspunkt liegt an der mächtigen Pikkuru-Schlucht.

Die Hütte am See Karhunjuomalampi ist Ausgangspunkt der Freeride-Tour.

Fasziniert blicken wir auf die blanken Felsen, die am Rande der Rinne im winterlichen Licht schimmern. Jussa und Taneli erklären, dass der Wind den Schnee immer in einen bestimmten Bereich des Fjälls weht. Die Abhänge in Pyhä seien vielseitig und voller Senken – und gerade in diesen Vertiefungen sammle sich der vom Wind verwehte Schnee. Um solche Stellen zu finden, müsse man sich »nur ein bisschen auskennen und der Richtung des Winds folgen«.

Unsere Route führt weiter nach Südosten auf den Ukonhattu. Neben mir marschiert Saara Azbel aus Helsinki, seit einigen Jahren begeisterte Freeriderin, die bereits in der japanischen Powder-Hochburg Hokkaido unterwegs war, aber dennoch auf Pyhä schwört. Gerade für Einsteiger, meint sie, sei das Gebiet perfekt. Wie recht sie hat, spüren bei der Abfahrt. In leichten Schwüngen gleiten wir hinab bis zur Schlucht Isokuru am Rande des Nationalparks.

Wir wollen nicht mehr als unsere Fußabdrücke im Schnee zurück lassen.

Am Nachmittag sind wir wieder zurück im Skigebiet und erkunden nach einer kurzen Essenspause klassische Abfahrten abseits der präparierten Pisten. Immer wieder biegen wir in die entscheidenden Waldöffnungen ab. Die anfänglich holprigen Schwünge auf den großen Skiern werden leichter und leichter. Schließlich wagen wir sogar, über kleinere Hügeln zu springen, werden immer schneller und gleichzeitig vertrauter mit dem Gebiet. Neue Orte und Routen auf diese Weise kennenzulernen, das macht das Freeriden aus.

Hartes Los mit milden Wintern

Doch was ist Skifahren ohne Schnee – ein Problem, mit dem man sich in Pyhä genauso beschäftigt wie in anderen Wintersportorten. Der Klimawandel beschert vor allem der nördlichen Erdhalbkugel wärmere Winter. In ganz Europa wird die Schneeunsicherheit für Skizentren zum Problem. Die Gletscher ziehen sich immer weiter zurück. Viele Skigebiete im Süden setzen vermehrt auf Sommersportarten und verwandeln Skiabfahrten in Mountainbiketrails. Man tut, was man kann, um sich über Wasser zu halten.

Die Gleichung geht aber nur schwer auf. Die milden Winter erfordern eine künstliche Beschneiung, für die wiederum eine enorme Menge an Strom benötigt wird. Wenn dieser Strom nun aus fossilen Brennstoffen erzeugt wird, entsteht ein Teufelskreis. Für Jusu Toivonen, Entwicklungsleiter des Pyhä-Skiresorts, ist es deshalb eine Notwendigkeit, den Strom für den Skibetrieb aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. »Jedes Skizentrum sollte auf erneuerbare Energien setzen. Das ist unsere moralische Verpflichtung«, sagt er.

Deshalb wurde hier bereits zu Beginn des Jahrtausends ein ökologischer Masterplan entwickelt, dem es zu verdanken ist, dass Pyhä heute der erste klimaneutrale Skiort Finnlands ist. Seit 2009 setzt man komplett auf Ökostrom und Fernwärme aus Biomasse. Die Lichtanlagen im ganzen Gebiet wurden optimiert und die CO2-Emissionen im Pistenbetrieb halbiert. Wo noch Treibhausgase entstehen, gleicht man diese durch Kompensationszahlungen aus.

Besonders wichtig für die Umweltbilanz ist der Einsatz von Schneezäunen, rund zwei Meter hohe Holzkonstruktionen überall im Skigebiet, an denen sich der verwehte Schnee sammelt und dann zur Pistenpräparation eingesetzt wird. »Die Kunstschneeerzeugung macht rund sechzig Prozent unseres gesamten Energiebedarfs aus – da gibt es viel einzusparen«, erklärt Jusu. Zurzeit arbeitet man an mobilen Zäunen, um in Zukunft noch besser Naturschnee sammeln zu können.

»Ein nachhaltiger, wertorientierter Betrieb ist ein wichtiges Argument, will man naturbewusste Gäste anlocken«, so der Entwicklungsleiter. Immer mehr Reiseveranstalter fragen heute auch genaue umweltbezogene Informationen ab. Als dem Schweizer Reiseveranstalter Kontiki das Eisenminenprojekt im Umland des Skiortes Ylläs zu Ohren kam, drohte der Veranstalter gar mit einer Einstellung seiner Reisen in die Region, sollte die Mine gebaut werden.

Muskelkraft statt Motorschlitten

Zum Nachhaltigkeitskonzept gehört auch ein breiteres Angebot an Aktivitäten, bei denen die Möglichkeiten der Natur bewusst und umweltverträglich genutzt werden: Hunde- oder Rentierschlittenfahrten, Fatbike- und Schneeschuhtouren oder Eiskletterkurse. Pyhä setzt laut Jusu gerade auf Aktivitäten, bei denen Muskelkraft, Einsatz und Energie gefragt sind. Der Ort will Skifahrer und andere Outdoor-Begeisterte anziehen. Gruppen, die in Lappland tagen und feiern möchten, steuern für gewöhnlich andere Skigebiete an.

Und so erwartet mich am zweiten Tag in Pyhä eine echte Kraftprobe: Meine Eiskletterpremiere steht bevor. Wie eine riesige Orgel baut sich der Tajunkangas vor mir auf, ein rund zwanzig Meter hoher gefrorener Wasserfall. Hier zwischen Steigeisen und Eispickeln zu hängen hat mit dem mir vertrauten Felsklettern recht wenig gemein. Unser Guide hat zwei wichtige Tipps für uns: die Beine breit an die Wand und die Eispickel nah beieinander. Außerdem sollte man versuchen, das oben zur Sicherung verankerte Seil weder mit Steigeisen noch mit Eispickel zu berühren.

Beik Eisklettern am gefrorenen Wasserfall Tajunkangas braucht Otto Mut, Muskeln und Konzentration.

Schon nach ein paar Metern vergesse ich Lektion Nummer eins. Ich setze meinen Fuß so ungünstig auf, dass das Steigeisen meine Hose einreißt. In der Mitte der Wand schlage ich die Eispickel schräg ein und ein handflächengroßes Stück Eis springt aus der Eiswand direkt auf meine Oberlippe. Der metallische Geschmack in meinem Mund geht gut mit der Anstrengung einher.

Oben angekommen lässt die angestaute Euphorie nicht nach. Meine Muskeln übersäuern und nur die ruhige Konzentration kann meinen Adrenalinrausch zügeln. Mein Geist ist klar, der Zustand meditativ. Trotz der vielen Ausrüstung erscheint mir das Eisklettern auch für Kletteranfänger geeignet. An der Eiswand sind die eigentlichen Kletterbewegungen leichter durchzuführen als am Felsen, der viel Griffkraft und eine feine Technik erfordert.

Freeride-Tradition seit den Dreißigern 

Nach dem anstrengenden, aber wundervollen Wintersporttag treffen wir uns auf ein verdientes Bier im Huutuhippu-Pub. Wie ich es aus dem Skigebiet Levi nahe meiner Heimatstadt kenne, habe ich mich auf etwas Après-Ski-Gaudi eingestellt. Gemeinsam mit Hendrik betrete ich den vollen Pub, in dem gerade andächtiges Schweigen herrscht.

Immer mehr Reiseveranstalter fragen heute auch genaue umwelt- bezogene Informationen ab.

Eine Männerstimme liest Zahlenkombinationen vor und die Gäste toben und fluchen an ihren Tischen. Schnell wird klar, dass hier Bingo gespielt wird. Am Tresen erhalten wir Getränke und eine Bingokarte. In der Menschenmenge erkenne ich schon nach ein paar Tagen Aufenthalt in Pyhä bekannte Gesichter, die uns an ihren Tisch rufen. Der kleine Ort schweißt zusammen.

Freeriden hat hier eine lange Tradition, wenn auch lange Zeit unter dem trendfreien Begriff Fjäll-Skifahren. Bereits in den Dreißigern unternahmen die finnischen Maler Aale Hakava und Uuno Särkelä hier Skiausflüge, hielten die Landschaft auf der Leinwand fest und erzählten begeistert ihren Bekannten davon. Wenige Jahre später berichtete die Zeitschrift Suomen Kuvalehti über das Variantenfahren in Pyhä. Die Grundidee und die Routen waren vor fast einhundert Jahren schon dieselben wie heute. Damals war die Anreise wohl genauso unbequem wie unsere. Es gab keine Straße und der Bus fuhr nur bis ins benachbarte Pelkosenniemi.

Freeriden hat lange Tradition in Pyhä – und hat sogar die Künstler der Region inspiriert.

Von dort ging es dann mit der Pferdekutsche weiter ins Dorf Pyhäjärvi. Die letzten fünf Kilometer mussten per Ski zurückgelegt werden. Die Belohnung ist nach wie vor die beeindruckende Natur – eine sanfte schneebedeckte Hügellandschaft durchzogen von steilen Schluchten. Und was einst die Künstler mit ihren Pinseln festhielten, landet heute in den Instagram-Accounts der Freeride-Generation.

Was einst die Künstler mit ihren Pinseln festhielten, landet heute in den Instagram-Accounts.

Diese kommt regelmäßig in Pyhä zusammen, wo während des Winters verschiedene Freeride-Events veranstaltet werden. Ein Höhepunkt ist das Freekend, das im Laufe der Jahre zu einer breit gefächerten Veranstaltung mit Programmpunkten für verschiedene Zielgruppen herangewachsen ist. Jusu Toivonens Traum ist es, Pyhä einerseits als Finnlands Zentrum für Freeride-Anfänger zu etablieren, andererseits eine »Kundschaft« aufzubauen, die dem Ort treu bleibt.

Ein wolkenloser Abschied

Es ist Mittag, der Himmel wolkenlos. Hendrik hat schon am frühen Morgen seine Heimreise angetreten. Mich zieht es noch einmal in das Gelände. Mit dem Lift fahre ich hoch auf das Fjäll und von dort in Richtung des Sees Karhunjuomalampi. Der gestrige Wind hat neuen weichen Schnee auf die mir bekannte Strecke geweht. Die Schwünge klappen gekonnt und ohne große Mühe.

Zum Schluss fahre ich noch einmal zur Hütte am Karhunjuomalampi. Ich setzte mich auf die Bank und blicke auf den Ukonhattu, wo zwei muntere Gestalten graziöse Bögen in den trockenen Schnee zeichnen. Zum ersten mal in diesem Winter spüre ich, wie die Sonne mein Gesicht wärmt. Ich fühle mich entspannt und nach all den puren Naturerlebnissen in Pyhä voller Kraft. Und Kraft kann ich gebrauchen – schließlich wartet morgen die klimafreundliche Heimreise auf mich.

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