Leseraktion Höga Kusten: Die High-Coast-Hikerinnen
LENA
Der Wasserfall
Nachdem wir gestern ein gutes Tempo angeschlagen hatten – getrieben durch das nasse Wetter und unseren anfänglichen Ehrgeiz – genießen wir jetzt unsere Pausen im warmen Schein der Sonne. Und so stehen wir schon bald vor einem neuen Problem: Die Wasserreserven schwinden und sind nach dem Aufstieg zum Slåttdalsberget schließlich komplett aufgebraucht. Statt mit feuchten Klamotten kämpfen wir nun mit dem Durst. Der Weg vom Zwischenstop Kälsviken hinein in den Skuleskogen verläuft oberhalb eines schwer erreichbaren Flusses, dessen Plätschern uns immer wieder an unsere trockene Kehle erinnert. Nicht nur einmal sind wir kurz davor, einfach die steile Böschung hinab zu klettern.
Gerade als ich Ausschau nach einer geeigneten Stelle für den Abstieg halte, höre ich etwas: Fröhlich, plappernde Wanderer und ein lauteres Plätschern als zuvor. Die Trinkflasche ist schnell gezückt. Der langersehnte, erfrischende Schluck bahnt sich seinen Weg durch meinen Körper und ich fühle mich wieder stark genug, den verbleibenden Weg zügig voran zu gehen. Konsequent setzen wir einen Schritt vor den anderen– wir wollen nur noch ankommen. Das letzte Schild das behauptete, Dal sei noch 2,5 Kilometer entfernt, scheint schon eine Ewigkeit her zu sein. Der Pfad zieht sich in die Länge und fordert wieder meine ganze Kraft.
Und dann geht es endlich bergab. Wir stehen an einer großen Lichtung. Ich sehe die blaue »Höga Kusten Hike«-Fahne, die im Wind flattert. Erleichterung macht sich breit. Nicht nur der schwere Rucksack war mir eine Last heute. Die Belohnung für diesen Tag: eine Erfrischung unterm Dalsjöfallet. Ganz unscheinbar führt der Weg durch einen verwilderten Pfad zum 800 Meter entfernten Wasserfall. Über moosbedeckte Felsbrocken sucht sich das Wasser seinen Weg durch den Wald. Ich überlege nicht lange, streife meine Kleidung ab und bahne mir den Weg über die glitschigen Felsen. Das Wasser ist kalt, aber nach den heutigen Anstrengungen ist mir das egal. Ich halte meinen Kopf unter den Fall. Zwei Tage Wildnis und Müdigkeit fließen hinunter ins Tal und ich fühle mich so sauber wie lange nicht mehr. Später kuschle ich mich zufrieden in meinen Schlafsack – gespannt, was mich morgen erwartet.
ANUSCHKA
Der Skuleberg ruft
Das Abenteuer ist fast bestanden, nur der allerletzte Berg trennt uns noch von unserem Ziel. Wir haben uns absichtlich für die schwerere Route entschieden, schließlich kommen nur die Harten in den Garten. Aber dann, kurz vor dem Aufstieg, bietet Hike-Organisator Jerry uns an, die Rücksäcke auf seinen Anhänger zu laden und zum Camp zu fahren, so dass wir ohne zusätzliches Gewicht nach oben klettern könnten. Die knapp 600 Höhenmeter ohne den großen Rucksack zu bewältigen, das klingt fantastisch. Aber Lena und ich sehen uns an und ich weiß, dass sie dasselbe denkt wie ich: »Wir packen das!«
Wir bedanken uns bei Jerry, ziehen die Trageriemen straff und machen die ersten Schritte Richtung Gipfel. Je höher wir kommen, desto mehr wird aus Wind Sturm, und der Regen peitscht uns seitwärts ins Gesicht. Wir krallen die Finger in glitschige Felsspalten, suchen mit den Füßen Halt auf rutschigen Wurzeln. Manchmal droht mich das Gewicht des Rucksacks nach hinten zu ziehen, unter uns biegen sich die Bäume unter den heranrasenden Böen. Innerlich verfluche ich unseren Stolz, weiß aber gleichzeitig, dass wir uns richtig entschieden haben. Denn ich wollte ein Abenteuer, unbedingt, und nichts anderes ist diese Wanderung.
Und endlich, endlich sehe ich sie: Die schwedische Flagge, die wild auf der Bergspitze flattert. Da hält mich nichts mehr, nicht einmal der schwere Rucksack. Mit ein paar schnellen Schritten bin ich da, umklammere den Fahnenmast und breche in fanatisches Triumphgeheul aus. Auf dem einsamen, sturmumtosten Bergplateau fallen Lena und ich uns in die Arme. Wir haben es geschafft. Und es hat sich gelohnt!