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Schwedischer Fjällherbst entlang des Kungsleden

Als Sandra und Roger sich auf eine neuntägige Wanderung auf den Kungsleden begeben, ahnen sie noch nicht, dass sich der schwedische Herbst nicht immer an die Spielregeln hält.

»Hej hej« – durchgefroren und nass werden wir herzlich in der Fjällstation Blåhammeren empfangen. Wie sehr wir uns auf einen heissen Tee und ein leckeres Stück Karottenkuchen gefreut haben! Draussen ist es kalt, stürmisch und neblig und die Sicht beschränkt sich auf einige wenige Meter. Herbst eben. Diese Jahreszeit hatten wir uns für unser Vorhaben auch bewusst ausgesucht. Nur war der nordschwedische Herbst in unserer Vorstellung wesentlich romantischer: mystischer Morgennebel, konstant blauer Himmel, leuchtend verfärbte Flora, Weitsicht ohne Ende, klare, frische Luft – kombiniert mit Einsamkeit. Dem skandinavischen Jedermannsrecht sei Dank, dass wir zumindest von Letzterem so viel bekommen können, wie uns lieb ist. So nehmen wir gerne die Mühe auf uns, unsere ganze Zeltausrüstung auf dem Rücken zu buckeln – jeglichem Wetter zum Trotz. Wie lässt sich das Gefühl von grenzenloser Freiheit besser erleben? »Ab Mittwoch habt ihr Traumwetter«. Diese Aussage des Hüttenwarts lässt uns aus unseren Gedanken aufschrecken. Vielleicht erleben wir doch noch »unseren« Herbst? So wagen wir uns nach dieser kleinen Verschnaufpause wieder hinaus in den nordischen, kaltfeuchten Herbst. Schliesslich liegen noch rund 100 km unserer neuntägigen Trekkingtour auf dem südlichen Kungsleden vor uns. Dieser wird uns von Storlien durch das Jämtlandsfjäll ins Härjedalsfjäll führen, vorbei an den Massiven Sylarna und Helags.

Mystische Momente

Nur 36 Stunden später wissen wir, dass der Hüttenwart recht hatte: stahlblauer Himmel undreichlich Sonnenschein. Dieses Hoch wird für ganze drei Tage andauern. Erst jetzt erkennen wir, in welch imposanter Umgebung wir gestern Abend in sturmdickem Nebel unser Zelt aufgeschlagen haben. Das Sylarna-Massiv ist unglaublich beeindruckend. Mit seinen Schneeresten, den baumlosen Hängen und den davor verlaufenden eiskalten Flüssen verleiht es einem fast das Gefühl, hoch oben in den Schweizer Alpen zu sein. Die enormen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht lassen uns dies auch deutlich spüren. Der Streckenabschnitt vom Sylarna-Massiv bis zur Hütte Fältjägarenstugan zählt für uns zum Eindrücklichsten überhaupt. Wir wandern vor uns hin träumend, die absolute Ruhe und grandiose Szenerie geniessend. Wir lassen die atemberaubende, nicht zu enden scheinende Weite auf uns einwirken, versinken vollständig darin. Besser kann es einem nicht gehen. So wagen wir kaum einen Gedanken daran zu verschwenden, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Nordlicht-Sichtung auf diesen Breitengraden in der jetzigen Jahreszeit bereits relativ hoch ist. »Raus mit dir!« ertönt es voller Euphorie. Kaum eine Minute ist vergangen, seit Roger mitten in der Nacht das Zelt verlassen hat. Sofort stehen wir unter freiem Himmel und bestaunen wortlos das Naturspektakel. Die Nordlichter tanzen für uns. Schlichtweg mystische, unbeschreibliche Momente. Die gefühlte Eiseskälte ignorieren wir unbewusst. Der nordische Herbst zeigt sich uns so ausgeprägt in all seinen Facetten. Je mehr Tage vergehen, umso weiter schreitet die herbstliche Verfärbung des Fjälls in grossen Schritten voran. Ihren Gefallen an dieser pflanzlichen Kost finden auch die zahlreichen Rentiere. Diese sind, je weiter südlich wir uns begeben, fast die einzigen Lebewesen, die uns den Weg kreuzen. Nach neun Tagen, 108 Kilometern und unzähligen bleibenden Eindrücken in der schwedischen Wildnis erreichen wir unser Ziel Fjällnäs. Keine Minute möchten wir missen, auch jene in den stürmischen Momenten nicht!

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