Weiter zum Inhalt

Der Weg nach Norden: Mit dem Bus durch Norwegen

Weiterlesen mit NORR+

Ab 1 Euro/Monat erhältst du Zugang zu allen Artikel und exklusiven Aktionen. Jetzt registrieren und einen Monat lang kostenlos testen.

Regionalbusse, die auf gewundenen Straßen in Norwegens Norden fahren, sind für die einen das tägliche Transportmittel. Für andere aber ein langsames, reizvolles Abenteuer. Barbara Schaefer aus Berlin fuhr mit dem Bus nach Norden, auf der E6.

Das Norwegische Eisenbahnnetz reicht nur bis Narvik. Nördlich davon fährt, wer nicht mit dem eigenen Auto unterwegs ist, mit dem Bus. Norwegens Fjorde sind schön, ziehen eine Busfahrt aber recht in die Länge. Am Wasser entlang hinein ins Land, auf der anderen Seite wieder heraus, so windet sich die E6 gemütlich Richtung Norden. Wer als Reisender unterwegs ist, genießt die Fahrt, die geschenkte Zeit, die Muße, Landschaft und Mitreisende zu betrachten. Wie in einem altmodischen Diavortrag ohne Überblendtechnik ziehen Wasser, Wiesen und Berge vorbei. Immer wieder zeigt sich ein neues Bild. Links Wasser, bleigrau, mit roten Bootshäusern auf vom Eiszeit-Gletscher abgeschliff enen Felsen, bunte Boote schaukeln leise. An der Abzweigung nach Hamaroy reicht der Blick weit aufs Meer. Dahinter warten wieder Inseln mit hohen Bergen und Schnee, hier aber ist alles grün, ein Campingplatz bietet Hütten direkt am Wasser, man möchte sofort aussteigen. Bei Ebbe sehen die Felsen grau und geriffelt aus, wie ein gestrandeter Wal. Alle paar Stunden hält der Bus für eine Weile an. Ein klassischer Bus-Stopp ist das „Kafé E6“. Fünf Teenies drängen als erste aus dem Bus, sie müssen jetzt dringend eine rauchen und das auch zeigen. Danach essen sie Eis und Schokolade, eingekauft in der Butik. Ein Mädchen aus dem Dorf springt herbei, offensichtlich waren sie verabredet, Umarmungen und Küsse wollen gar nicht mehr aufhören. Alle Freundinnen sind so gerade in die Pupertät gerollt. Sie sind etwas rundlich, grell überschminkt, im kalten Wind zeigen sie viel Bauch und Dekolleté, alles an ihnen ist übertrieben, sie wissen nicht wohin mit sich und ihren neuen Gefühlen, also tragen sie zur Vorsicht mal dick auf, mit Lachen, Lidschatten und Lässigkeit. Aber es ist ja nicht so, dass diese Dinge mit den Jahren nachlassen. Ein Allrad-Auto kurvt heran, allzu schnittig parkt es vor der Butik. Hard-Rock tönt laut aus dem Fenster, ein Easy-Rider-Typ steigt aus, die Musik läuft weiter, harte Töne schallen durchs Abendrot, als wolle er damit sagen: Klar Mann, schön hier, aber Idylle ist was für Spießer. Der Busfahrer hupt, die Mädchen steigen ein, zur Freundin fliegen Kusshändchen aus dem Bus.

NOCH MEHR GRANIT-ZACKEN!

Man schaut noch träumerisch nach links in den Wald, doch der ganze Bus hat schon den Kopf nach rechts gedreht: Noch mehr Granit-Zacken! Noch mehr endlose senkrechte Wandabstürze. Wäre der Fotograf Ansel Adams, der bis heute unser Bild des Yosemity-Valleys formte, je hier gewesen, vielleicht wäre dieser kleine Ausschnitt Hinter ihrem Kindergesicht wartet eine ernsthafte Frau. Konzentriert schaut sie aus dem Fenster oder in ihre Comic-Heftchen.Norwegens heute genauso bekannt wie der amerikanische Nationalpark. Der Fahrer liefert Zeitungen aus, wirft aus seinem Fenster die plastikverpackten Stapel der Verkäuferin im Kiosk in die Arme. Wenn niemand da ist, plumpsen sie auf die Straße vor der Türe.
Drei Frauen aus Somalia steigen zu, sie fahren nach Storslett, da leben sie. Umgeben von Taschen und Tüten richten sie sich wohnlich ein. Die Frauen sehen aus dem Fenster, blicklos über den Fjord. Ob sie ihre heimatliche Landschaft vorbeiziehen sehen? Braun gegen Grün, zu viel Sonne gegen sehr viel Regen? Kurz vor dem Aussteigen holt auch die jüngste, etwa 18jährige ihr Tuch hervor und verhüllt ihren Kopf. Ein junges Mädchen reist mit seinen Großeltern, sie ist vielleicht neun, sie ist ganz entschieden noch ein Kind, ohne Kokettereien, und ohne unreine Haut. Sie hat ein Gesicht von ungewöhnlicher Schönheit, nicht rundlich, wie die meisten Mädchen hier, sondern mit gefassten Zügen. Hinter ihrem Kindergesicht wartet eine ernsthafte Frau. Konzentriert schaut sie aus dem Fenster oder in ihre Comic-Heftchen. Die Augen haben das klare, helle Grau eines Fjords bei leichtem Regen. Einmal lacht sie ihrer Großmutter zu, ihre schmalen Züge scheinen sich zu weiten, ihr Gesicht öff net sich, sieht für Sekunden aus wie die Stelle auf einer Wiese, auf die der Regenbogen trifft. Mitten an der Strecke, an drei Häusern, steigt sie mit ihren Großeltern aus. Ihre langen locker geflochtene Zöpfe hüpfen hellbraun und kraus auf ihrem Rücken.

SCHIFFFAHRT INKLUSIVE

Wieder einmal fährt der Bus auf eine Fähre. Alle steigen aus, lassen sich die frische Luft um die Nase wehen. Einen jungen Mann packt der Mitteilungsdrang. Trotz großem Rucksack ist er kein Wanderer, sondern ein Backpacker, was eine völlig andere Art des Reisens bezeichnet. Er kommt aus England, er redet nicht von der Natur, er redet nur vom Geld. Das ist das anstrengende an der weltumspannenden Traveller-Gemeinde: Sie kenne zwischen Laos und den Lofoten kein anderes Thema als das, wieviel sie diese Reise gekostet hat. Genauer gesagt: Wie wenig. Er schläft im Zelt, nicht, weil es schön ist, sondern weil es nichts kostet. Sein Ziel heißt: In 21 Tagen rund um Skandinavien. Immer noch ärgert er sich, dass er in Bodø kein Schild gefunden hat, das belegt, man befinde sich nun nördlich des Polarkreises. Er hätte sich darunter fotografieren lassen, jetzt hofft er auf Schweden, wenn er bei der Rückreise den Polarkreis erneut quert. So macht er Fotos um 14 Uhr und um 2 Uhr nachts, was seine Digitalkamera belegt, um zu zeigen, dass die Sonne nicht untergeht. In der Ferne zieht ein Frachter vorbei, das Wasser ist also ein Fjord und kein See. Felsen und Berge glänzen in der Sonne wie Gletscher. Immer wieder fällt das Licht auf kräftiges Falunrot. So dünn besiedelt die Region ist: Der Norden erscheint wie eine endlose Abfolge einzeln stehender roter Holzhäuser, in Wald und Wiese, an See und Fjord.