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Rintala baut gegen den Strom

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Der finnische Architekt und Künstler Sami Rintala bezeichnet sich als »Widerstands-architekt«. er hat ein Boot voll Abwasser auf der Biennale in Venedig ausgestellt und eine Skipiste mit Flaggen dekoriert, deren Stoff aus einer psychosomatischen Klinik stammt.

Nach einigen Aufsehen erregenden Installationen ist der Architekt Sami Rintala nun dabei, im äußersten Norden von Norwegen ein eigenes Haus zu bauen. »Es wird noch eine Weile dauern, bis alles fertig ist«, sagt Rintala als NORR ihn in Bodø besucht. Er möchte jedoch so bald wie möglich in sein neues Haus, das sowohl Wohn- als auch Arbeitsräume beinhaltet, einziehen. Rintala ist gebürtig aus Finnland, wohnt jedoch seit einigen Jahren in Bodø. Gemeinsam mit dem Isländer Dagur Eggertsson betreibt er das Architekturbüro »Rintala Eggertsson«, mit Niederlassungen in Oslo und Bodø.

  Abbildung – Sami Rintala

 

Viele seiner bisherigen Projekte thematisierten den Lebensstil des modernen Menschen und die Rolle der Architektur. »Es gibt zwei Arten, zu kommunizieren: durch das, was wir sagen und das, was wir bauen.« Rintala ist kein Öko-Architekt, dem es darum geht, die CO2-Emissionen auf Null zu senken. Lieber will er Häuser bauen, die dem Leben eine poetische Note verleihen. Sein eigenes Haus soll »atmen«. »Häuser, die am Meer liegen haben diese Eigenschaft. Man kann nicht behaupten, mein Haus sei zu hundert Prozent funkti- onell. Das soll es auch gar nicht sein. Es soll mich daran erinnern, dass ich in einer richtigen Welt lebe, nicht nur in einem Haus.«

Das Haus hat eine Fläche von 136 Quadratmetern und die größte Fläche liegt im Souterrain. Um von der Küche im Obergeschoss ins Erdgeschoss fünfzehn Meter weiter unten zu gelangen, muss man erst die Innen- und Außentreppen überwinden. Es war schwer, eine geeignete Baufirma für das Projekt zu finden: »Die Kombination aus Architekt, Ausländer und Ökophilosoph war wohl ein bisschen viel. Und als ich endlich eine Firma gefunden hatte, ging die kurze Zeit später in Konkurs«, erzählt Sami Rintala und lacht.

»Die Architekten der Zukunft, die echten Pfadfinder, sind die, denen es nicht primär um Stil geht, sondern um das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur – oder mit anderen Worten: ums Überleben«, schreibt Rintala in einem Artikel für die Zeitschrift Topos, einer internationalen Fachzeitschrift für Design und Landschaftsarchitektur. »Unser Zuhause, das in früheren Zeiten ein Zufluchtsort war, ist zu einer Art Dauerausstellung über unser Leben geworden. Oft ist die Toilette der einzige Ort, an dem man noch in Ruhe denken kann. Das ist ein Paradox der modernen Architektur«, schreibt er weiter.

Jussi Tiainen Jan Erik Svendsen

 Fotos: Jussi Tiainen und Jan Erik Svendsen

 

»Heute geht es beim Thema Wohnen in der westlichen Welt vornehmlich um Sicherheit. Wir genießen den höchsten Lebensstandard, den die Menschheit je hatte. Die Konsequenzen, die unsere Konsumkultur mit sich bringt, nehmen wir gerne in Kauf, scheint es. Gleichzeitig bemühen wir uns aktiv darum, das zu verdrängen, was wir mit unserem Verhalten verursachen, um unseren exzessiven Lebensstil ohne schlechtes Gewissen genießen zu können«, sagt Rintala. Er hat in Helsinki Architektur studiert und hat heute eine Professur an der NTNU, der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens in Trondheim und an der Hochschule für Architektur in Oslo. Außerdem ist er Gastdozent an der renommierten Architekturschule in Bergen.

»Ehrlich gesagt war das Architekturbüro bis jetzt ein ziemlich teures Hobby, doch dank der Zusammenarbeit mit Dagur geht es nun in die richtige Richtung mit dem Büro.« Seine erste große, international beachtete Installation war »Land(e)scape«, die er 1999 gemeinsam mit dem finnisch-italienischen Architekten Marco Casagrande aus Protest gegen die Agrarpolitik in Finnland in Savonlinna gestaltete: Drei alte Scheunen, die auf Holzbeinen auf einer Wiese zehn Meter über dem Erdboden schwebten.

Aufgrund der großen Landflucht in Finnland verödeten viele Landstriche. Nur die alten Scheunen blieben zurück.Noch im gleichen Jahr wurden Rintala und Casagrande in der »Architectural Review« auf Platz zwei der talentiertesten Architekten der Zukunft gelistet. Ihr nächstes Werk war eine Installation auf der Biennale in Venedig im Jahr 2000 mit dem Titel »Sixty Minute Man«. Auf einer verfallenen Empore füllten sie ein Boot mit einer unansehnlichen Masse, die dem Volumen der Abwässer entsprach, die pro Stunde aus den Kloaken der Stadt ins Meer gespült wurden. In einem Park pflanzten sie 22 Eichen, die sich für den Rest ihres Lebens von den Abwässern aus der Kloake ernähren könnten.

In der Zeitung »New York Times« wurde »Sixty Minute Man« als einer der besten Beiträge der Biennale bezeichnet. Im finnischen Koli-Nationalpark protestierte das Architektur-Duo im gleichen Jahr gegen den Bau einer Skipiste, indem sie tausend Friedensflaggen in den Berg rammten, deren Stoff aus einer nahen psychosomatischen Klinik stammte. Viele von Rintalas eigenen Projekten sind einfache Häuser in der Natur. Die Sternwarte im japanischen Kyosho beispielsweise, die einer Ohrenschnecke nachempfunden ist, die die Geräusche des Waldes sammelt. In der Nähe von Seoul steht das »Element House«, ein Platz der Stille, an dem man Erinnerungen nachhängen und träumen kann. In der Osloer Galerie »Rom« wurde Rintalas »BoxHome«ausgestellt, ein 19 Quadratmeter großes mobiles Minihaus, das weltweit in der Presse Beachtung fand. Und in der nordnorwegischen Stadt Kirkenes bauteder »Widerstandsarchitekt« das kleinste Hotel der Welt: zwei Zimmer und eine Rezeption auf 27 Quadratmetern.

Das »BoxHome« baute Rintala, um auf den überheizten Immobilienmarkt in Oslo aufmerksam zu machen. Die Kosten betrugen nur ein Viertel von einer entsprechenden Wohnung in der Osloer Innenstadt – obwohl die Fassade aus Aluminium und Glas war und das Interieur aus fünf verschiedenen Holzsorten bestand, um das Innere lebendig zu halten und das Raumgefühl zu optimieren. Leider kam die Debatte um die Immobilienpreise nicht so recht in Gang, doch der Schriftsteller Erland Loe schrieb eine Novelle über das »BoxHome« und alle renommierten Architektur- zeitschriften berichteten über das Projekt des Wahl-Norwegers. Sami Rintalas Marktwert stieg daraufhin schlagartig in die Höhe. Doch das kümmert ihn nicht wirklich. Ihm geht es ganz einfach um gute Architektur – und sinnvolle Formgebung.