Weiter zum Inhalt

Kalte Pfoten: Hundeschlitten-Tour in Nord-Norwegen

Bei zweistelligen Minustemperaturen begibt sich NORR-Redakteurin Karen auf eine Hundeschlitten-Expedition in die Weite des norwegischen Fjells und erlebt, wie eng eisige Verzweiflung und stürmische Glücksgefühle beieinander liegen.

Frostige Windböen peitschen unerbittlich über das Eis und modellieren eine starre Maske auf mein Gesicht. Jegliche Mimik ist unmöglich. Die vor meinem Schlitten jagenden Hunde scheint das nicht weiter zu irritieren. Sie blicken sich nur in Ausnahmefällen um. Während meine eisigen Klauen erfolglos versuchen, den steif gefrorenen Schal noch einen Millimeter weiter ins Gesicht zu ziehen, muss ich an jenen leichtfertigen Satz denken, den ich ein knappes Jahr zuvor gegenüber meinem Kollegen Philipp Olsmeyer fallen ließ: »Was du kannst, kann ich schon lange.«

Weiterlesen mit NORR+

Ab 1 Euro/Monat erhältst du Zugang zu allen Artikel und exklusiven Aktionen. Jetzt registrieren und einen Monat lang kostenlos testen.

Im Winter 2016 wandte sich Björn Klauer aus dem norwegischen Innset mit der Bitte an NORR, ihm bei der Suche eines Nachfolgers für seine Huskyfarm behilflich zu sein. In der NORR-Winterausgabe veröffentlichten wir Björns Anliegen unter dem Aufruf Huskyfarm sucht Huskyfarmer, um schließlich, in der Winterausgabe 2017, von dem Casting auf Björns Farm zu berichten. Philipp, der die Bewerber ein Wochenende lang begleitete, prahlte nach seiner Rückkehr ausgiebig von seiner ersten Fahrt auf einem Hundeschlitten, auf der er die zahlreichen, vermeintlich schwierigen Herausforderungen im verschneiten Fjell bestens gemeistert hätte. Dass es bei seinem Besuch in Innset im sonnigen Mai aber bereits T-Shirt-Wetter war und er zudem die meiste Zeit sorglos und warm, bei Würstchen und Wein, im gemütlichen Lavvu der Huskyfarm verbrachte, erwähnte er nur beiläufig. So setzte ich mir einen Gedanken in den Kopf: Ich wollte mit Björn Klauer auf eine richtige Hundeschlittenexpedition aufbrechen, das Fjell im harten Winter kennenlernen und mir gemeinsam mit den Vierbeinern tagelang eigene Wege durch die unberührte Weite Norwegens bahnen. Eine achttägige Expedition durch den Øvre-Dividal-Nationalpark, in dem das Thermometer im Februar mit Leichtigkeit die Minus-40-Grad-Marke knackt, schien mir dafür gerade recht.

Schon am Vortag unseres Abenteuers überkommen mich allerdings die ersten Zweifel. Björn weist unser Team, bestehend aus meiner Freundin Ina von den Åland-Inseln, Barbara, Hochschulprofessorin aus Österreich, und Florian, Radmechaniker aus Deutschland, in die Sicherheitsvorkehrungen ein, die eine mehrtägige Expedition in das wettertechnisch unberechenbare Fjell erfordern. »Solltest du in einem Schneesturm von der Gruppe getrennt werden, feuerst du zu jeder vollen Stunde Leuchtraketen in die Luft. Ist es zu bedeckt, übernachtest du im Schlittensack, bis die Sicht wieder klar wird und wir eine Chance haben, dich zu finden«, sagt Björn. Der Handyempfang endet schon ein paar Kilometer hinter der Farm. Unser einziges Kommunikationsmittel ist ein Satellitentelefon, um im größten Notfall einen Rettungshelikopter zu ordern. Dass wir bei dieser Tour auf das Miteinander aller Beteiligten angewiesen sind, um uns, nur mit unseren Hunden und den Utensilien, die wir in unseren Schlitten transportieren, durchzuschlagen, ist spätestens zu diesem Zeitpunkt klar.

Auch mein Herz schlägt heftig, als ich die Hand das erste Mal zur Sicherungsleine führe, um den Hundeschlitten zu starten. Denn auch für mich ist es die erste Hundeschlittenfahrt meines Lebens. So jage ich, wie Philipp, über die hölzerne Brücke vorbei an der verschneiten Kapelle den Abhang hinunter auf den zugefrorenen Fluss. Im Gegensatz zu meinem Kollegen aber, der mit seinem Gefährt umkippte, vor Schreck erschlagen im Schnee landete und bald umkehrte, um sich, zurück auf der Huskyfarm, im Lavvu von seiner nervenaufreibenden Tour zu erholen, jagen unsere fünf Gespanne weiter hinein in die endlose Landschaft, in der wir für die kommenden acht Tage gänzlich verschwinden.

Kampf auf dem Eis

Verschneite Berge türmen sich am Ufer des Altevatnet auf. Das Eis knirscht unter den Kufen, während wir den 60 Kilometer langen See queren. Mittlerweile habe ich kein Gefühl mehr in meinen Zehen. Feine Schneeflocken garnieren meine Wimpern und gefrieren langsam zu Mini-Eiszapfen. Wie es Ina hinter mir wohl ergeht? Ob ihr die frostigen Temperaturen ebenfalls sämtliche Gesichtszüge geraubt haben? Hat Barbara auch eher Klauen als Hände? Sind Florians Zehen ebenso steif wie meine? Nur um Björn, der einige hundert Meter vor mir stoisch mit seinem Gespann über das Eis gleitet, mache ich mir keine Sorgen. Er wirkt irgendwie, als würde er niemals frieren.

Jäh werde ich aus meinen frostigen Gedanken gerissen. Mein Leithund Banaq und seine Gespannpartnerin Socke haben sich in ihren Leinen verheddert. Jetzt muss ich schnell handeln, aber mein Gehirn ist auf Sparfunktion heruntergekühlt. Als ich den Vierbeinern zurufe, dass sie stehen bleiben sollen und dabei kräftig auf die Bremse trete, passiert überhaupt nichts. Dass das Halten auf der spiegelblanken Oberfläche des Sees nicht einfach werden würde, hatte ich schon befürchtet. Und auch mein Rufen wird vom Wind in die Weite getragen. Langsam gerate ich in Panik. Auf einer kleinen Schneewehe finde ich plötzlich etwas Halt, sodass die Bremsefasst. Den Anker ins Eis gerammt, drehe ich den Schlitten auf die Seite, um die Hunde am Wegfahren zu hindern und Banaq und Socke aus dem Gewirr zu befreien. Die anderen Huskys zeigen kein Verständnis für die Zwangspause und ziehen ungeduldig an den Leinen. Als ich den Schlitten zitternd wieder zurückdrehe, schießt mein Hundegespann ungebremst los. Gerade noch kann ich mit den verfrorenen Zehen meines linken Fußes eine Kufe erwischen. Die letzten Kilometer lege ich nicht nur steif vor Kälte, sondern auch starr vor Schreck zurück.

Rettende Wärme

Als unser 132-pfotiges Team an einem Lavvu eintrifft, ist mein Schal an meinem Gesicht festgefroren. Meine Nase ist kreidebleich und auch Florians Nase und Inas Finger weisen erste Erfrierungserscheinungen auf. Mit den eisigen Händen ist es eine fast unmögliche Aufgabe, die Hunde aus ihren Geschirren zu befreien. Dennoch müssen wir uns zunächst um die tapferen Huskys kümmern. Die Vierbeiner rollen sich augenblicklich im Schnee zusammen und gönnen sich einen Erholungsschlaf. Mit ihrem Fell aus dichter Unterwolle und robustem Deckhaar macht ihnen die Kälte, im Gegensatz zu uns, so schnell nichts aus. »Ich war nie zuvor so froh, ins Warme zu kommen«, sagt Barbara, als wir endlich das Lavvu entern. Am Ofen tauen unsere Zinken und Pranken langsam wieder auf. »Die Inuit nutzen die Grönland-Huskys als Transport- und Jagdhunde«, erzählt Björn. »Vor den Schlitten gespannt, denken sie instinktiv, dass wir auf der Jagd sind.« Theoretisch haben sie damit nicht Unrecht. Abends werfen wir ihnen die vermeintlich ergatterte Beute zum Fraße vor. Auch wir lassen uns unser Abendessen, Nudeln mit Elchhack, schmecken. Später schöpfen Barbara und ich Schnee, um diesen zu schmelzen und die Thermoskannen zu füllen. Hundemüde rollen wir uns schließlich auf den Rentierfellen zusammen und fallen in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen hat Florian bereits seines Amtes als Wärmebeauftragter gewaltet, sodass ein gemütliches Feuer im Ofen knistert. Björn braut Kaffee, bevor wir uns zum Aufbruch bereit machen. Einem Vierbeiner nach dem anderen lege ich das Geschirr um, während mir, dank meiner vielen Bekleidungsschichten, die Schweißperlen von der Stirn tropfen. Björn und ich haben bereits einen knappen Kilometer zurückgelegt, als wir bemerken, dass die anderen nicht folgen. Dann taucht Inas Schlitten auf, jedoch unbemannt. Björn macht sich bereit, das Geistergespann abzufangen. Da entdecken wir Ina, die an der Sicherheitsleine festgekrallt auf dem Bauch hinter dem Gefährt herschlittert. »Ich bin runtergefallen und die ganze Strecke liegend gefahren«, keucht sie und ich kann mir einen Lachanfall nicht verkneifen.

Grenzenloses Fjell

Fast lautlos gleiten wir durch die menschenleere Märchenwelt. Aufgeregt schnatternde Schneehühner fliegen über unseren Köpfen. Ihre orangefarbenen Brillen bilden den einzigen Kontrast zum weißen Himmel. Die Weite hier draußen überwältigt uns, sodass wir nur staunen können über die endlose unberührte Schneelandschaft. Immer weiter geht es in den nächsten Tagen ins mächtige Gebirge. Und immer wieder stockt uns der Atem vor den gigantischen Ausblicken. Bergauf ernte ich stets kontrollierende Blicke von meinen Hunden, die sich davon überzeugen, dass ich mich nicht einfach hinauf chauffieren lasse, sondern kräftig mit anschiebe. Die heftigen, schweißtreibenden Anstiege sorgen dafür, dass wir vergleichsweise warm bleiben. Plötzlich ertönen Florians Schreie und wütendes Gebell. Seine Hunde haben sich beim Aufstieg derartig in ihren Leinen verheddert, dass sie sich uns in Form eines Knäuels nähern und dabei lautstark miteinander kämpfen. Björn rennt Florians Schlitten entgegen, schlichtet den Streit und entwirrt die Huskys. Florian steht völlig paralysiert da. »Ich hätte nicht gedacht, dass das so krass ist«, sagt er. »Mir macht die Kälte extrem zu schaffen. Und jetzt diese Steigung, das ist einfach zu viel für mich.« So helfen wir mit vereinten Kräften, seine Hunde zu versorgen. »Bei so einer Tour darf keiner ausfallen, sonst schaffen wir es nicht«, sagt Björn. Wir stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Können wir uns weiter ins Fjell wagen? Hier draußen kann uns niemand helfen. Keiner wird uns abholen. Jeder Kopf, jede Hand und jede Pfote wird gebraucht.

Am nächsten Tag strahlt die Sonne vom stahlblauen Himmel. Barbara hat Florian ein Extrapaar Handschuhe und eine Wollmaske geliehen. Er hat neuen Mut geschöpft. Der Schnee glitzert auf der sanften Fjelllandschaft zwischen Schweden und Norwegen, die wir mit unseren Schlitten queren. Das Gebirge dient den Rentieren im Sommer als Weide. »Der Altevatnet trennt die beiden Sami-Gemeinschaften Saarivuoma und Talma. Unweit der Huskyfarm werden im Sommer die Rentierkälber markiert«, sagt Björn. Im Herbst, wenn das Gras hier oben welk wird, ziehen die Rentiere zurück in die schwedische Moorebene, wo sie die langen dunklen Winter verbringen. Nachdenklich blicken wir in die Ferne. Am Abend kehren wir in eine kleine Sami-Hütte am Store Kamas ein. Als Barbara, Ina und ich noch einmal vor die Tür treten, tobt das Polarlicht über uns und malt grüne Schlieren ans Himmelszelt, die wie von Geisterhand verschwinden, um an anderer Stelle erneut aufzutauchen. Die Hunde stimmen unter dem magischen Nordlicht ein gemeinschaftliches Heulen an. »Ich habe Gänsehaut«, flüstert Ina.

Im Auge des Drachen

Einmal jagen wir über ein buckliges Bergplateau, auf dem unsere Schlitten immer wieder mit einem Satz in die Luft springen, um dann unsanft auf der harten Schneekruste zu landen, sodass wir Schwierigkeiten haben, die Balance zu halten. Als wir nach Stunden endlich eine Ebene erreichen, können wir aufatmen. Mir scheint es, als würden jegliche Überlegungen, die sich in meinen Kopf einschleichen, direkt zu Frost erstarren und mich überkommt ein meditatives Gefühl der inneren Ruhe und Zufriedenheit. Ein lilafarbenes Licht überzieht den Himmel, als wir nach sechs Tagen den äußeren Zipfel unserer Expedition, eine Holzhütte in den Bergen, erreichen. Die obersten Hautschichten von Florians, Inas und meiner Nase pellen mittlerweile in groben Streifen. Wie so oft in diesen Tagen beginnt es erst sanft, dann immer heftiger zu schneien. Mit eisigen Gliedern machen wir uns mit einer Axt alle fünf auf den Weg hinab zum See, um an Wasser zu gelangen, das wir mit einer Kelle in Kanister schöpfen. Der Mond blitzt wie das Auge eines Drachen zwischen den Wolken hervor. Mittlerweile können wir vor dicken Flocken kaum noch den Weg zurück zur Hütte erkennen. Wir retten uns ins Warme und kochen ein reichhaltiges Abendessen mit Lachs und Reis. Draußen wird der Schneesturm immer heftiger. Vielleicht sitzen wir hier für die kommenden Tage fest? In der Nacht rüttelt der Wind an der Hütte, als möchte er sie packen und mit sich davontragen.

Unter einer dicken Schneeschicht verborgen, sind unsere Hunde am nächsten Morgen kaumzu erkennen, aber Björn gibt grünes Licht für die Weiterfahrt. Ein Hochdruckgebiet hat sich auf seinem Messgerät angekündigt. Es ist, wie so oft, bitterkalt, als wir einer nach dem anderen mit unseren Gespannen starten. Nur Barbara, die normalerweise das Schlusslicht unserer Karawane bildet, taucht nicht auf. Mit allen Hundeschlitten umzudrehen und nachzusehen, wo sie bleibt, ist auf diesem Gefälle nicht möglich. So achtet Björn auf meine Hunde, während ich mich Schritt für Schritt im Tiefschnee versinkend, die Anhöhe zurück zur Fjellstuga kämpfe. In meinen dicken Klamotten und schweren Stiefeln komme ich nur in Zeitlupe vorwärts. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als die Hütte endlich wieder in Sichtweite kommt. Die Silhouette von Barbaras umgekipptem Schlitten kann ich schon aus der Ferne erkennen und hoffe inständig, dass ihr nichts zugestoßen ist. Mit Erleichterung sehe ich wenige Sekunden später, dass sie versucht, ihr Gefährt aus einem Schneehaufen zu befreien. Scheinbar ist sie beim Start daran hängen geblieben. Als ich sie endlich erreiche, um ihr bei den letzten Aufräumarbeiten zu helfen, ist sie zwar kreidebleich vor Schock, aber gänzlich unversehrt. »So was Dummes«, schimpft sie. »Naja, nichts wie weiter.«

Kleine Eisnadeln prasseln in unsere Gesichter, als wir schließlich das Gebirge verlassen. Himmel und Erde verschwimmen in einem einheitlichen Weiß. Fast blind steuern wir unsere Gespanne hinab. Nach gefühlten Stunden hat sich der letzte Schneesturm unserer Expedition verabschiedet und frostige Zapfen in den Bärten von Florian und Björn hinterlassen. Als wir nach acht Tagen schließlich unten im Tal ankommen, lässt der Wind nach und die endlose, verschneite Ebene liegt im Sonnenschein vor uns. Die fleißigen Hunde, die uns in den letzten Tagen so unerschrocken durch die Weite gezogen haben, spüren, dass es nach Hause geht und legen noch einen Zahn zu. 250 Kilometer liegen hinter uns. Kilometer, die so bedrohlich wie wunderschön waren. Eine Tour, die uns alle an unser Limit gebracht und gleichzeitig die höchsten Glücksgefühle beschert hat. Meine Muskeln gewinnen gegen die starre Eismaske und sprengen diese zu einem breiten Lächeln. Und ohne mich umzudrehen, weiß ich in diesem Moment ganz sicher, dass wir alle über das ganze Gesicht strahlen.

Mehr für dich