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Wasserweg in die Wildnis

Die Bergwelt ist voller sprudelnder Wasserläufe. Jonatan Martinsson macht sich auf ins wilde und nasse Skäckerfjällen, um mehr über das Bergwasser zu erfahren und darüber, wie es vom Klimawandel beeinflusst wird.

Die Lufttemperatur liegt bei sieben Grad, der Regen fällt stetig und der Wind pustet uns direkt ins Gesicht, als wir eine Landzunge umrunden. Dennoch machen wir halt. Vor uns breitet sich der See Äcklingen aus und dahinter erhebt sich das Bergmassiv. Wir befinden uns am Rande des Skäckerfjälls in Jämtland. Wenn die Aussicht besser wäre, hätten wir im Süden den Berg Åreskutan noch einmal sehen können. Vom Dorf Kolåsen, wo wir mit dem Kanu gestartet sind, sind es nur ein paar Vogelmeilen bis in die jämtländische Metropole Åre.

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Aber davon ist jetzt nichts mehr zu spüren. Obwohl immer noch Hochsaison für Herbstwanderungen ist, sind wir bislang keiner Menschenseele begegnet. Im Dorf und draußen am Äcklingen sind wir völlig allein. Eine Lücke in der Wolkendecke lässt ein paar Sonnenstrahlen hindurch und plötzlich schimmert der steile Berghang in allen Farben. Nachdem wir dieses Schauspiel bewundert haben, paddeln wir weiter gegen den Wind und auf die Mündung des Flusses Rutsälven zu, aber vor allem in Richtung der Gipfel des Skäckerfjälls.

Im fliessenden Wasser des Rutsälven

Normalerweise bewegt man sich mithilfe seiner Füße fort, raus in die Bergwelt. Während all meiner Trips in Schwedens Fjällwelt bin ich entweder gewandert oder Ski gefahren. Doch dieses Mal haben wir eine Paddeltour ins Gebirge geplant. Der Fluss Rutsälven, der seinen Zufluss tief im Skäckerfjäll hat, wird unser Weg sein in die Weite des unberührten Naturgebiets im westlichen Jämtland, direkt an der norwegischen Grenze.

Ich weiß nicht, wie weit wir mit dem Kanu kommen werden. Aus Gesprächen mit den Besitzern der Bergstation Kolåsen, die wir hinter uns gelassen haben, erfuhren wir, dass wir wohl mindestens sechs Kilometer paddeln können, bevor wir auf die ersten Wasserfälle treffen. Ich hoffe, dass es möglich ist, das Kanu an ihnen vorbeizutragen und unsere Paddeltour dann weiter flussaufwärts fortzusetzen. Unsere erste Herausforderung aber ist es, den Äcklingen zu überqueren. Mitten im See krachen die Wellen über das Kanu und es dauert eine Ewigkeit, bis wir den Strand am anderen Ufer erreichen. Sobald wir im Fluss sind, wird das Wasser ruhiger. Langsam fließt es, während wir weiter paddeln.

Rund um den Rutsälven breitet sich ein Flussdelta aus. Es riecht nach Sumpf, als wir in Zeitlupe gegen den Strom paddeln. Hier und da erscheinen mit Bäumen bewachsene Inseln. Üppige Tannen ragen über das Wasser. Schaut man nach oben, trifft der Blick auf bunte Berghänge. Nach ein paar Kilometern ruhigeren Paddelns, ist das Geräusch von fallendem Wasser zu hören, aber es wird noch eine Weile dauern, bis wir es tatsächlich sehen.

Später wird der Strom stärker und bald entdecken wir den ersten Wasserfall. Wir beschließen, an den Strand zu paddeln und das Kanu an Land zu ziehen. Nach einem schnellen Mittagessen beginnen wir mit der Wanderung flussaufwärts, um zu prüfen, wie die Möglichkeiten aussehen, um unseren Weg oberhalb des Wasserfalls im Kanu fortzusetzen. Wir wenden uns vom Fluss ab und ein kleiner Trampelpfad führt hinein in einen dichten Nadelwald. Bald mündet er in den einzigen Weg, der durch das Skäckerfjäll führt. Das Rauschen der Wasserfälle begleitet uns, bevor wir abbiegen, um uns wieder zum Fluss durchzuschlagen. Nach ein paar Hundert Metern erreichen wir einen Steinstrand oberhalb einer der Wasserfälle. Stromaufwärts verbreitert sich der Fluss und sprudelt zwischen Felswänden weiter. Fünfhundert Meter weit können wir noch sehen, bevor er sich wieder in eine andere Richtung schlängelt.

Stromaufwärts verbreitert sich der Fluss und sprudelt zwischen Felswänden weiter.

Das Wasser sieht definitiv zu rau aus zum Paddeln. Mir wird klar, dass das einzig Richtige wäre, das Kanu am Ufer zu lassen und die Reise zu Fuß fortzusetzen. Wir schultern unsere Rucksäcke und machen uns auf den Rückweg. Bald gelangen wir aus dem Fichtenwald heraus auf offeneres Sumpfgebiet. Vor uns breitet sich ein wunderschönes U-Tal aus, in dem der Fluss Rutsälven schimmert. Auf der rechten Seite ragt der Berg Dörrsvalen empor und links die charakteristische Silhouette des Skäckerfjälls mit den Bergspitzen Opmedstjahke, Mehkentjahke und Gihperegaejsie.

Einzigartige und nasse Natur

Selbst auf dem Weg bringt sich das Wasser in Erinnerung. Es dauert nicht lange, bis es sich bei jedem Schritt schmatzend in den Wanderstiefeln bemerkbar macht. Die Topografie lässt einen Großteil der Niederschläge über dem Skäckerfjäll fallen und das Wasser sucht sich schließlich seinen Weg ins Tal. Das Skäckerfjäll ist ohnehin ein ungewöhnlich nasses Gebiet. Der Niederschlag beträgt hier etwa 1 500 Millimeter pro Jahr, was das Gebirge zu einem der niederschlagsreichsten Orte Jämtlands macht. Auch wenn das vielleicht nicht bei allen Wanderern für Verzückung sorgt, so verleiht der Regen dem Skäckerfjäll dennoch seinen unverwechselbaren Charakter. Es befindet sich nur wenige Meilen von der Küste Norwegens entfernt und viele ozeanische Flechten- und Moosarten sind hier zu finden. Das maritime Klima sorgt auch dafür, dass es in den tiefer liegenden Teilen riesige Moorflächen gibt, die auf die großen Mengen an Regen und Schnee, die hier jedes Jahr fallen, angewiesen sind.

Unterwegs im Skäckerfjäll

Fakten

Das 470 km² grosse, zu der Gemeinde Åre gehörende Fjällgebiet und sein Reservat liegen etwa fünf Kilometer nordwestlich von Åre an der Grenze zu Norwegen.

Das Skäckarfjället besteht aus einem Naturschutzgebiet und  einem Natura 2000-Gebiet, das fast das gesamte Bergmassiv und die umliegenden Wälder umfasst. Skäckerfjällens höchster Gipfel, Sandfjället, liegt nur 1.230 Meter über dem Meeresspiegel, dennoch fühlt man sich wie im Hochgebirge: Die Berghänge sind steil und es gibt große Höhenunterschiede zwischen den verschiedenen Ebenen. Die Nähe zur norwegischen Küste und das Meeresklima haben dazu geführt, dass es in den unteren Teilen große Moorgebiete gibt.

Rentiere im Gebiet

Das Gebiet ist vom Leben und Werk der Sami geprägt. Das Sami-Dorf von Kall betreibt hier Rentierhaltung. Die meiste Zeit des Jahres halten sich Rentiere in fast dem gesamten Reservat auf. Es ist wichtig, Rücksicht auf die Tiere zu nehmen. Besonders empfindlich sind die Rentiere Ende März, April und Mai, wenn sie kurz vor der Geburt ihrer Kälber stehen, und auch, wenn sie zum Markieren oder Schlachten bewegt werden. Man sollte immer einen Abstand zu den Toeren halten, um sie nicht zu stören- 

Outdooraktivitäten 

Es gibt einen markierten Sommer- und Winterwanderweg durch das Naturschutzgebiet. Entlang des Weges gibt es zwei Rastplätze. Die Rastunterkünfte sind für Besucher geöffnet. Sowohl Wandern als auch Skifahren ist im Skäckarfjäll möglich.

Märchenhafter Urwald 

In Skäckerfjällen gibt es drei Urwaldgebiete: Strådalen, Rutsdalen und Lågsjön. Sie sind sehr unterschiedlich. Im Strådalen an der norwegischen Grenze gibt es einen dichten Fichtenwald.Rutsdalen teilt das Bergmassiv in zwei Teile: Auf der Südseite wächst üppiger Fichtenwald, während die Nordseite von spärlichen, gemischten Nadelwäldern bedeckt ist.

Rund um Lågsjön ist der Wald ebenfalls spärlich, aber hier findet man überwiegend knorrige und abgestorbene Kiefern.

Bedrohung für das Leben im Wasser

Im Zusammenhang mit unserer Tour im Skäckerfjäll rufe ich Willem Goedkoop an, Professor an der Schwedischen Universität für Landwirtschaft, um mehr zu erfahren über die Rolle des Wassers in der Ökologie der Berge.

»Das charakteristische Merkmal der Berggebiete ist die Menge Wasser in der Natur. Je weiter man nach Norden kommt, desto mehr Gewässer gibt es, in Form von Eis, aber auch Seen und Wasserläufen. In den Bergen ist das Wasser sehr in die Natur integriert. Selbst die Moore sind voll von Wasser«, sagt Willem. »Im Zuge des Klimawandels sind die Gewässer zum einen wärmer geworden, zum anderen fällt mehr Niederschlag als zuvor. Im Norden schreitet der Klimawandel schneller voran als an anderen Orten. In arktischen Umgebungen ist mit einem Temperaturanstieg von drei bis vier Grad zu rechnen.Die Folgen des Klimawandels für das Wasser der Berge ist bereits sichtbar.«

In der Forschung, die Willem leitet, wurde gesehen, dass die Seen viel Phosphor verloren. »Die Konzentration von Phosphor, dem Hauptnährstoff in Bergseen, hat sich seit den 1980er Jahren halbiert. Wir nehmen an, dass die Nährstoffe, die früher in die Seen rannen, heute in der Vegetation bleiben«, sagt Willem. Mit dem wärmeren Klima ist es auch zu einem Wandel in der Vegetation gekommen. Die Baumgrenze kriecht jedes Jahr ein Stück höher und Bereiche, die früher offen waren, wachsen jetzt zu. Satellitendaten zeigen, dass die Berglandschaft grüner wird, was sich wiederum auf die Seen auswirkt. Wenn der Phosphorgehalt im Wasser geringer wird, beeinflusst dies auch das Algenwachstum und die Arten, die am Boden leben. Das wärmere Klima führt zudem dazu, dass sich die Seen erwärmen und sich jene Arten, die früher in tiefer gelegenen Gebieten zu fin-den waren, heute in den Bergseen ansiedeln.

»Die Kaltwasserarten wie zum Beispiel Saiblinge und die Kiemenfußkrebse, die es bereits seit der Eiszeit in diesen Seen gibt, haben es schwieriger. Jetzt bekommen sie eine steigende Konkurrenz durch Individuen, die an wärmere Temperaturen angepasst sind. Sie wollen also noch weiter nach oben in kältere Gewässer umziehen. Doch irgendwann ist Schluss, dann können sie nirgendwo mehr hin«, sagt Willem.

Beruhigendes Plätschern

Wir setzen unsere Wanderung im Sumpfgebiet von Rutsdalen fort. Der Weg ist von zackigen Tannen und mürrischen Kiefern mit platten Kronen gesäumt – ein Hinweis darauf, dass sie hier schon seit Langem wachsen. Nach ein paar weiteren Wanderkilometern müssen wir durch den Fluss waten. Obwohl das Fjäll hier nicht sonderlich steil ist, vermittelt es das Gefühl einer hochalpinen Landschaft, vor allem dank der heftigen Anstiege und der kantigen Gipfel, die die Landschaft prägen. Auf dem Weg nach oben halten wir an einer kleinen Schlucht, in der sich das Wasser über Jahrtausende von Jahren in den Boden eingegraben hat. Jetzt peitscht es über Stromschnellen durch die ausgehöhlten Felsen nach vorne, bevor es sich den steilen Hang hinunter ins Tal stürzt.

Das charakteristische Merkmal der Berggebiete ist die Menge Wasser in der Natur.

Wir entscheiden uns, unser Mittagessen auf den Felsplatten zu kochen. Das unbeständige Wetter des Morgens bringt nun endlich Sonne zum Vorschein. Es ist beruhigend, dem vorbeirauschenden Wasser auf seinem Weg ins Tal zuzuhören. In der Geschichte der Menschheit war es schon immer von entscheidender Bedeutung, daher ist es vielleicht nicht so verwunderlich, dass wir magisch angezogen werden von dem Plätschern eines Baches und dem Rauschen eines Flusses.

Langsam wird es Zeit, weiter nach oben auf das Bergplateau zu gehen. Unser Ziel ist der Gihperegaejsie, auch Zuckerhut genannt, die vielleicht charakteristischste Bergspitze des Skäckerfjälls. Das Wasser kreuzt in Form von kleinen Wasserläufen ständig unseren Weg. Die Farben hier sind gedämpfter als unten im Tal: braun, lila, rostrot und grau. Auch wenn bald wieder November ist, sind noch einige Schneeflächen vom vergangenen Winter übrig.

Es ist beruhigend, dem vorbeirauschenden Wasser auf seinem Weg ins Tal zuzuhören.

Bald verschwindet die Sonne vollständig hinter der Wolkendecke und ein peitschender Regen setzt ein. Nass und kalt bauen wir schließlich das Zelt mit Blick auf den Berg auf und schlafen ein, zum Prasseln des Regens, der auf das Zelttuch fällt.

Sehnsucht nach Entdeckungen

Nach dem morgendlichen Porridge-Frühstück steigen wir auf den Gipfel. Das letzte Stück folgen wir einem Fluss, der sich in immer kleinere Bäche verästelt. Am Ende ist es schwer zu erkennen, ob sich das Wasser überhaupt noch bewegt. Von oben können wir in das Rutsdal sehen, das sich in einer Biegung nach Nordwesten erstreckt, fast ganz hinein nach Norwegen. Auch der Rutsälven setzt seinen mäandernden Lauf in gleicher Richtung fort.

Weil ein Sturm aufziehen soll, suchen wir am Abend Schutz im Nadelwald. Er ist einer der drei Urwaldgebiete des Skäckerfjälls. Die Tannen hier wachsen hoch und während der Wind auf den Gipfeln tost, schlagen wir die Zelte auf dem Waldboden auf. Es ist ruhig und eigentlich auch ziemlich trocken – verglichen mit unseren bisherigen Erfahrungen im Skäckerfjäll.

Am letzten Tag der Tour schnüren wir erneut die Wanderstiefel und folgen dem Rutsälven hinunter ins Tal. Wie immer ist Was- ser ein sicherer Leitfaden. Das Kanu ist noch dort, wo wir es zurückgelassen haben. Nach der Zeit, die wir in dieser Gegend verbracht haben, können wir resümieren, dass der Rutsälven zwar paddelbar ist, die vielen Wasserfälle es jedoch schwierig machen. Man benötigt mehr Kraft, um sein Gefährt zu tragen, oder ein geeigneteres Forbewegungsmittel als unser schwerfälliges Kanu. Als wir zurückpaddeln, öffnen sich die Flussufer zu Nebenflüssen in die Deltalandschaft, die sich hier unterhalb der Gipfel ausbreitet. Mich packt die Sehnsucht, auf einem von ihnen weiterzupaddeln.

Nach ein paar nassen Tagen fühlt es sich seltsam an, darüber nachzudenken, ob Wasser in Zukunft einmal zu Mangelware in den Bergen werden könnte. »Es wird ein extremeres Wetter mit längeren Regen- und Dürreperioden geben«, sagt Willem. Im Fjäll sind wir so ver- wöhnt, dass wir frisches Wasser direkt aus den Bächen trinken können. Das wird sich in naher Zukunft wohl auch erstmal nicht ändern. »Doch die Prozesse, die jetzt in der Bergwelt stattfinden, gehen in hohem Tempo vonstatten, auch wenn wir als Menschen die Veränderungen kaum mit eigenen Augen wahrnehmen können«, sagt Willem. » Man vergisst leicht, wie es vorher aussah. Es sind irreversible Prozesse und es ist nur sehr schwer möglich, eine Tendenz wie diese umzukehren. Das Fjäll ist eine Landschaft in schnellem Wandel.«

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