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Blick in den Himmel

Die Dunkelheit ist ein seltenes Gut geworden. Auf der dänischen Ostseeinsel Møn würdigt man sie mit einem extra eingerichteten Dark Sky Park, der uns Menschen zwischen Milchstraße und wirbelnden Sternenwolken die Erlebnisse einer finstereren Nacht näherbringen soll.

Im Dunkeln zu gehen, ist eine ganz andere Erfahrung, als tagsüber unterwegs zu sein. Manche Menschen sind es nicht gewohnt, im Dunkeln zu sein. Dann macht es Angst. Aber ihr könnt euch entspannen. Ich werde zuerst gehen und kenne die Gegend sehr gut. Spürt eure Füße und hört auf die Geräusche, damit ihr auf dem Weg bleibt.« Die Stimme gehört Naturguide Susanne Rosenild, doch ihr Gesicht ist in der Dunkelheit, die sich über den östlichen Teil der Insel Møn gelegt hat, kaum zu erkennen. Kopenhagen ist nur sieben Kilometer Luftlinie entfernt, aber die Großstadt fühlt sich weit weg an. Im Westen kann man noch den orangefarbenen Schein der untergehenden Sonne sehen. Sonst gibt es keine Lichtquellen. »Normalerweise sage ich den Leuten, dass sie ihre Handys nicht herausholen sollen. Wenn man sich keinem Licht aussetzt, gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit. In 20 Minuten kann man viel mehr sehen«, sagt Susanne.

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Botschafter der Dunkelheit

Dänemarks Dark Sky Park

Das Camp Møns Klint im Osten von Møn ist so konzipiert, dass seine Gäste Sternenhimmel und Dunkelheit erleben können. An mehreren Stellen auf der Insel gibt es Windschutzhütten, die für kostenlose Übernachtungen genutzt werden können. moensklint.dk

Wir wandern durch den Laubwald, der die Ost- küste Møns bedeckt. Die weißen Kalksteinklippen von Møns Klint fallen bis zum Strand hinab und erstrecken sich über sieben Kilometer entlang der Küste. Das ganze Jahr über zieht das Gebiet einen ständigen Strom von naturbegeisterten Touristen an, aber um neun Uhr abends ist es leer. Die Feuchtigkeit, die mit der Dämmerung kommt, bringt Düfte von Erde, Blättern und Pilzen mit sich. Bald verschwindet der Weg unter dem dichten Blattwerk des Buchenwaldes. Dämmerung wird durch Dunkelheit ersetzt. Ein Schwindelgefühl stellt sich ein und unter Susannes Führung bewegen wir uns zaghaft weiter.

Spürt eure Füße und hört auf die Geräusche, damit ihr auf dem Weg bleibt.

In den Baumkronen kann man das Licht des Himmels erahnen. Unten auf dem Weg ist die Dunkelheit hingegen so dicht, dass man nichts erkennen kann. Von Zeit zu Zeit ist ein Rascheln im Wald zu hören. An einer Lichtung angekommen, funkelt der Sternenhimmel über uns. Mit einem breiten Pinsel ist die helle Farbe der Milchstraße über den Himmel gemalt. »Seit Ewigkeiten blicken die Menschen in den Nachthimmel. Ich finde es schön, darüber nachzudenken«, sagt Susanne, bevor sich die Stille wieder über den Wald legt.

Der märchenhafte Küstenwald ist ständiger Begleiter bei einer Wanderung an der Møns Klint.

Einen Sternenhimmel zu erleben, wie man ihn von Møn aus sehen kann, ist nicht mehr alltäglich. Seit Beginn der Massenproduktion der Glühbirne Ende des 19. Jahrhunderts hat sich das Licht allmählich gegenüber der Dunkelheit durchgesetzt. Die Bedrohung der Dunkelheit durch unseren modernen Lebensstil war der Grund, warum Ende der 1980er Jahre in den Vereinigten Staaten die International Dark-Sky Association gegründet wurde. Seitdem setzt sie sich für die Erhaltung von Orten ein, an denen das Licht noch nicht überhand genommen hat und der Sternenhimmel noch in vollem Umfang erlebt werden kann.

Ziel der Organisation ist es, das Bewusstsein für die Bedeutung der Dunkelheit für alles Leben auf der Erde zu schärfen, indem sie Städte und Regionen auf der ganzen Welt ermutigt, die Auswirkungen des Lichts zu verringern und Botschafter der Dunkelheit zu werden. Im März 2017 wurden Møn und die benachbarte kleine Insel Nyord offiziell zum Dark Sky Park ernannt. Die Auszeichnung birgt auch die Pflicht, Lichtverschmutzungen zu minimieren und die Dunkelheit auf der Insel dauerhaft zu erhalten.

Im Reich des Klippenkönigs

Nachdem sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, begeben wir uns zu den weißen Kalksteinklippen. Vor 145 Millionen Jah- ren begannen sie sich zu bilden, und während der letzten Eiszeit traten sie hervor. Wenige Stunden zuvor waren wir noch im Hellen auf dem Klintekongens Rige (dt. Königreich des Klippenkönigs) gewandert, einem 14 Kilometer langen Pfad, der oft als der spektakulärste Dänemarks bezeichnet wird. Im Inneren des Waldes reckten sich die Buchen an den Hängen empor, und unter ihnen entfaltete sich ein üppiges Blätterdach. Am Strand war der Horizont ungebrochen und die Sonne beleuchtete die weißen Felsen. Zusammen mit dem grün schimmernden Meerwasser bot sich ein fast exotischer Anblick.

Obgleich wir tagsüber an ihnen entlanggelaufen sind, nähern wir uns der Höhe nun im Dunkeln mit etwas wackeligen Beinen. Vorsichtshalber schaltet Susanne ein schwaches rotes Licht ein, um den Weg zu beleuchten, damit wir nicht über Wurzeln oder Steine stolpern. Bald hören wir das Rauschen der Wellen, die weit unter unseren Füßen an den Kiesstrand schlagen. Ein Geruch von Seetang und Salzwasser steigt auf. Die weißen Felsen leuchten schwach, obwohl es heute Nacht kaum Mondlicht gibt. Bald ertönt ein klagendes Rufen aus dem Wald. Obwohl es sich so anfühlt, als wären wir allein in der Dunkelheit, so sind wir doch in Gesellschaft vieler verschiedener Tiere, die die Nacht zu ihrer aktivsten Zeit machen. »Eine Schleiereule«, sagt Susanne, und wir spitzen unsere Ohren noch ein wenig mehr.

Ein wenig Licht wirft der Leuchtturm und genächtigt wird im Dachzelt.

Ich fühle, dass ich mich in der Dunkelheit entspannen kann, dass ich von ihr umhüllt bin.

Als wir eine etwas größere Lichtung erreichen, entfernt sich Susanne ein paar Schritte vom Weg. Hier liegt eine große Buche, die zu Boden gefallen ist. Obwohl wir sie nicht sehen, können wir ihren Stamm mit unseren Füßen und Händen ertasten. Unter Susannes Anleitung lassen wir uns auf dem dicken Baumstamm nieder. »Warum versuchen wir nicht, ganz still zu sein und die Atmosphäre eines nächtlichen Waldes zu erleben?«, fragt Susanne. Wir verstummen und lassen unsere Augen auf den Tausenden von Sternen ruhen, die am schwarzen Himmel über den Baumkronen glitzern. Um uns herum schnaufen und rasseln die Waldbewohner, die sich ihren Weg durch die Dunkelheit suchen. Ein sanfter Wind weht durch die Blätter und in der Ferne hören wir eine Amsel, die ein paar Strophen singt.

Susanne fasst das Gefühl gut zusammen, als wir aus dem Wald kommen und die Nachtwanderung mit einer Tasse heißer Schokolade beenden. »Ich fühle, dass ich mich in der Dunkelheit entspannen kann, dass ich von ihr umhüllt bin. Es ist ein schönes Gefühl, sich an die Bedingungen der Nacht anzupassen. Wir Menschen sind so klein im Vergleich zur Natur. Das spüre ich stark, wenn ich nachts im Wald bin. Ich denke, es ist gut, wenn wir von Zeit zu Zeit daran erinnert werden.«

Einfach nach oben schauen

Die nächste Nacht wollen wir gänzlich draußen verbringen. Auf dem Campingplatz Møns Klint, der sich einige Kilometer weiter nördlich befindet, empfängt uns Ole Eskling, der diesen seit 25 Jahren betreibt. »Es gibt keine Zäune um das Gelände, wir wollen ein Teil der Natur sein«, sagt er. Viele, die auf den Campingplatz kommen, möchten den berühmten Sternenhimmel erleben. Und wie viele Orte auf Møn ist der Campingplatz so angelegt, dass keine unnötigen Lichtquellen das Erlebnis stören.

»Das wenige Licht, das wir hier haben, strahlt nach unten. Viele Gäste fragen, wo sie den Dark Sky Park finden können, also bitte ich sie, einfach nach oben zu schauen«, lächelt Ole.

In den Wipfeln der Bäume weht der Wind, während es unten ruhig ist.

Unsere Unterkunft für den Abend besteht aus einem Land Rover mit Dachzelt, das Ole an diejenigen vermietet, die ein noch eindrucksvolleres Dunkelheitserlebnis wünschen. Ole fährt uns zu einem einige Kilometer entfernten Feld. Hier schmiegen sich Hügel in die Landschaft, bevor das Meer die Oberhand gewinnt. Wir entzünden ein Feuer. Bald zeigen sich die ersten Sterne. Die Dunkelheit senkt sich über die Wiesen. In den Wipfeln weht der Wind, während es unten am Feuer ruhig ist. Wir lauschen gerade dem Knistern der Flammen, als sich die Milchstraße immer deutlicher am Himmel abzeichnet. Wann wir den Blick von diesem faszinierenden Schauspiel abwenden können, steht in den Sternen.

Fakten über Møn

Auf Møn und der kleinen Nachbarinsel Nyord können Sie einen Nachthimmel erleben, der weniger durch künstliches Licht beeinträchtigt wird. Die beiden Inseln sind ein so genannter Dark Sky Park, ein Gebiet, in dem die Lichtverschmutzung minimiert wurde, um der Dunkelheit Platz zu machen. Es gibt auch mehrere Wanderwege, darunter den Camøno und das Königreich der Clintons.

Auf der Insel gibt es viele verschiedene Herbergen, Campingplätze und Hotels. Im Osten von Møn liegt das Camp Møns Klint, das seinen Gästen die Möglichkeit bietet, den Sternenhimmel und die Dunkelheit zu erleben. Außerdem gibt es an mehreren Stellen auf der Insel Windschutzhütten, die für kostenlose Übernachtungen genutzt werden können.

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