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Ein Lied vom Sarek

Låddebákte ist ein mächtiger Felskoloss im Herzen von Rapadalen. Bei seinen früheren Touren durch den Sarek-Nationalpark lag unser NORR-Autor Henrik Witt am Fuß des Berges und dachte sich: Eines Tages werde ich ihn erklimmen. Jetzt ist die Zeit gekommen.

Lichtstrahlen, die durch die Risse in der Wolkendecke dringen, bedecken hier und da kleine Teile der vergilbten Landschaft. Der Regen kommt und geht. Die Füße schreiten über Rentierpfade. Rutschige Blöcke und Weidendickicht. Kleine Hügel rauf und runter. Blaubeeren und ein paar kleine Blumen klemmen sich stoisch dazwischen. Ein Regenbogen, verdoppelt sich und wird unsichtbar. Ich raste auf einem Stein und lege den viele Kilo schweren Rucksack auf mich. Der große Zeh verkrampft sich ein wenig in den nassen Stiefeln.

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Die Berghänge zeigen sich in den verschiedensten Charakteren: Die mürrischen Schwarzen mit den spitzen Steinen. Die grünen hobbitartigen mit Mooren und kleinen Wasserfällen, die nach vorne springen und sich in Bäche verwandeln. Ich knabbere langsam an den getrockneten Mangostücken, Rosinen und den zu wenigen Schokoladenstückchen, während die Wolken vom Gipfel abziehen.

Im Sarek Nationalpark gibt es über 2.000 Meter hohe Berge und fast 100 Gletscher. Tiefe enge Schluchten und wilde Sturzbäche sowie schlängelnde Gewässerlandschaften.

Alles andere als touristenfreundlich

Wir wandern im Sarek, dem Nationalpark, der Schwedens größtes Hochgebirgsgebiet umfasst. »Das innerste Heiligtum des schwedischen Outdoor-Lebens« So beschrieb FN-Generalsekretär und Schriftsteller Dag Hammarskjöld seinen Sarek. Keine Hütten oder Cross-Trails. Gerade das Wilde und Unberührte ist das, was den Park ausmacht. Dag Hammarskjöld, der sich unter anderem im Schwedischen Touristenverein STF engagierte, wollte keinen touristenfreundlichen Sarek sehen und ihm grauste vor dem Tag, an dem Zelt, Schlafsack und Kompass auch im Sarek zur Überschussware würden. Doch so sollte es nicht kommen: Der Sarek kann noch immer als unwegsam und unnahbar eingestuft werden. 

Das Gebiet ist aus mehreren Richtungen erreichbar. Der prächtigste Eingang befindet sich im Süden. Hier schneidet das Ráhpavuobme (dt. Rapa-Tal) fünf Meilen direkt in das Hochgebirge hinein; vielleicht das Schönste und Wildeste, was wir in Nordeuropa haben. Unten im Tal schlängelt sich der Fluss Ráhpaädno nach Süden, um in einem Mosaik aus Zuflüssen und Sandbänken in den Láitaure-See zu münden. Von der Aktse Fjällstuga am Ufer kann man einen Bootsshuttle zur Parkgrenze bestellen. Im Nationalpark ist jeglicher Wasserverkehr verboten.  Beim Bergblock Nammásj beginnt der Weg am Flussufer entlang: durch dschungelartige Vegetation, über Sümpfe und Sandbänke. 

Vom Norden aus geentert

Dieses Mal sind wir jedoch von Norden in den Sarek eingereist. Wir haben die Grenze vom Nationalpark Stora Sjöfallets an der Gukkesvagge-Brücke im Nordwesten überquert. Wir erklommen den Sarektjåkkå, das Massiv mit 20 Gletschern und 35 Gipfeln, von denen vier über zweitausend Meter hoch sind. Mit zitternden Knien standen wir auf einem Kamm, 2010 Meter über dem Meeresspiegel. Dort beschlossen wir, den anderen Gipfeln den Rücken zu kehren und wieder abzusteigen, da das Wetter zu unsicher war. Nun aber haben wir uns weiter nach Süden begeben, hinunter nach Ráhpavuobme mit Blick auf den Berg Låddebákte (dt. Vogelfelsen).Wie ein großer Block, um den sich der Fluss Ráhpaädno langsam windet, liegt Låddebákte mitten im Tal.

Tielmavadet liegt hier, wo sich der Fluss teilt und zum Rapaselet wird. Auf vielen Winterausflügen lag ich unter den steilen Hängen des Låddebákte, schaute nach oben und dachte, dass ich eines Tages dorthin gehen werde.Nun wird es geschehen. Es wird ein Tagesausflug von unserem Lager weiter oben am Eingang des Snávvávagge-Tals sein. Hier können wir einem Pfad folgen – das ist im unwegsamen Sarek reiner Luxus.Am Berghang ist es steil und der Weg führt auf und ab durch den Weidenhain. Wir kommen auf der anderen Seite des Abhangs heraus und jetzt liegt eine Landschaft voller purer Schönheit vor uns, bis zum See auf der Rückseite von Låddebákte, wo wir weiter hinaufsteigen wollen.

Bären und Bergkönige

Die Wolken verschieben sich und die Sonne kommt von Zeit zu Zeit durch. Ein hartnäckiger Regenbogen steht wie ein Portal über dem Tal hinter uns. Ein paar Rentiere begrüßen uns und gehen emsig weiter. Wir essen am See zu Mittag und beobachten, wie der Weg weiter nach unten in Richtung des unteren Ráhpavuobme führt. Hier im Tal leben alle vier großen Raubtiere: Bär, Wolf, Luchs und Vielfraß. Und genau befinden wir uns auf Bärenland. Der alte Parkwächter Edvin „Sarek“ Nilsson erzählte mir, dass er gesehen habe, wie Wanderer auf dem Weg hinauf in Richtung Låddebákte fast direkt an Bären vorbeikamen, ohne sie zu entdecken.Der Gipfel Skårkigubben, eins mit der Bergekette Skoarkki, schaut mürrisch auf uns herab und Magnus beginnt langsam das Lied »I Bergakungens sal« (dt. Im Saal des Bergkönings) zu summen. Denn genau so fühlt es sich an – als würden wir uns im Land des Bergkönigs bewegen.

Dann geht es über die Felsen nach oben. Manchmal rutschige, manchmal ziemlich steil. Langsam bahnen wir uns den Weg und haben schon bald ein paar hundert Höhenmeter gewonnen. Wir gehen an den Rand und schauen direkt nach unten, auf die Stromschnellen. »Licht!«, schreit Fredrik.Die Sonnenstrahlen scheinen durch die Wolken und die Schlingen des mäandernden Flusses funkeln wie silberne Schlangen. Silber und Gold, wo wir stehen und uns auf unsere Wanderstäbe stützen. Die wattigen Wolken über dem Gipfel Bielloriohppe auf der anderen Seite und der grün schimmernde See an seinem Fuß. Ich habe es schon einmal auf Bildern gesehen, aber das ist hier ist viel großartiger. Da wir alle fotografisch interessiert sind, bricht jetzt eine fieberhafte Aktivität aus. Fotomotive wie »Typ auf einem Felsen«, »Typ, der durch ein Fernglas schaut« und »Typ, der am Felsenrand liegt glücklich aussieht«.

Getreu seiner Gewohnheit holt Fredrik eine Flöte heraus. Er erzählte uns vorhin, dass seine Eltern oft hierher waren und dass sein Vater die gleiche Vorliebe dafür hatte, in den Bergen Flöte zu spielen. Sie müssen hier in Snávvávagge gezeltet und Flöte gespielt haben, also möchte Fredrik jetzt auch ein wenig spielen. Ehrlich gesagt klingt es mittelmäßig, da der Wind viele Noten wegweht. Aber es ist schön, wenn er da am Rand steht und der Sarek unter ihm funkelt.Das geht noch eine Weile so und dann geht es weiter bergauf. Nach vielen weiteren Fotopausen erreichen wir schließlich den Gipfelgrat. Es handelt sich nicht um einen echten Gipfel, sondern eher um ein Plateau. Nun ist leider die Sonne in die Wolken verschwunden, sodass die Begeisterung für das Fotografieren etwas gedämpft wird. Wir sitzen da, schauen in die grüne Talwelt hinuter und versuchen, einen Elch zu erspähen.

Im Rapadalen herrschen die großen Sarekelche, die einem beim Vorbeigehen nur einen müden Blick schenken. Aber jetzt fallen sie durch ihre Abwesenheit auf.Wir erkunden das Sarvesvágge-Tal und klettern hinauf zum Ålkatj-Massiv und seinen schmelzenden Gletschern. Ein Bild der Gletscher von damals sehen wir später, als wir ein altes STF-Jahrbuch durchblättern. Das Bild wurde vom Sarek-Forscher Axel Hamberg Anfang des 20. Jahrhunderts aufgenommen und der Unterschied zu heute ist groß.Direkt neben uns beginnt auch die Låddebákterrennan. Ein steiler Skiabhang, den wir in einigen Reiseguides gesehen haben und auf dessen Ende wir im Jahr zuvor sogar selbst in das Tal hinunterfuhren. Wir haben bereits am Schreibtisch festgestellt, dass diese steile Strecke völlig verrückt ist. Und es ist nicht so, dass wir unsere Meinung ändern, als wir sie in ihrer vollen Länge in der Realität sehen. Wir werden diesen Winter wahrscheinlich darauf verzichten, hierher zu kommen.

Bald wird es kalt, also beginnen wir mit dem Abstieg. Jetzt gehen wir an der Nordseite herab, von der wir bereits bemerkt haben, dass sie gut funktionieren könnte. Steinig, aber schön, auch wenn wir körperlich etwas steif sind im Körper, nach einer Woche im Terrain des Sarek. Magnus hinkt hinter mir her und sein Knie scheint bereit zu sein, sich auszuruhen.Als wir vom Berg herunterkommen, beginnt es bald zu dunkeln und wir eilen trotz müder Beine und schwierigem Gelände durch Snávvávagge. Die Dunkelheit bricht schnell herein und wir haben noch einen langen Weg vor uns. Aber wir orientieren uns gut und kurz bevor das ganze Licht verschwindet, stoßen wir auf unser Lager.Zurück im Zelt gibt es zum Nachtisch Risotto mit flüssigem Schokoladenpudding.

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