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Durch Gischt & Gipfel

Hoch zu Ross in der Dänischen Südsee schwimmend und die gehypte Miniversion der Alpen durchquerend, entdeckt NORR die Elemente der Ostseeinsel Fünen mit ganz neuem Blick.

Hufe donnern über den sandigen Boden. Mähnen von Zwei- und Vierbeinern flattern im Wind. In unseren Wimpern hängen Tränen. Melanie, Victoria und ich können die tief hängenden Zweige, die uns hin und wieder heimtückisch ins Gesicht peitschen, nur schemenhaft ausmachen. Dennoch kann nichts unsere Glücksgefühle trüben, als wir, mit dem Duft von blühenden Feldern in der Nase, den Tredjeberg hinaufgaloppieren. Fast nichts. Dass mein Pferd auf den Namen Visír hört und noch weniger sieht als ich, versuche ich auszublenden. »Wäre er ein Mensch, hätte er eine starke Brille gebraucht«, hatte mir Dorte Mehr, der das Østrup Turridning gemeinsam mit ihrem Mann John gehört, vor Beginn der Tour als Info über das Ross mit auf den Weg gegeben.

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Der Ruf des Meers

Eine Stunde zuvor waren wir auf dem Reiterhof in Faaborg eingetroffen, auf dem Dorte und ihr Mann John seit 1995 Ausritte am Südfünischen Inselmeer anbieten. Zu ihrem Stall gehören 21 Islandpferde. Einige davon, wie Visír, sind ehemalige Problemfälle, die Dorte aus schwierigen Verhältnissen gerettet hat. Die meisten hatten das Vertrauen in Menschen ver- loren. Mit viel Liebe und Geduld hat Dorte ihre Tiere wieder reitbar gemacht. Hier auf Fünen sollen sie eine Chance auf ein besseres Leben bekommen. Melanie, Victoria und ich wollen uns in den kommenden zwei Tagen auf Dortes und Johns Pferden nicht nur ins Meer, sondern auch auf die Hügel von Svanninge Bakker wagen und die Historie dieses von Künstlern, Naturschützern und Outdoor-Sportlern gleichermaßen verehrten Landstriches verstehen.

Mit Tabea an der Spitze, die bei Dorte und John Touren guidet, passieren wir den aus dem 14. Jahrhundert stammenden Bauernhof Østrupgård und erfahren, dass es sich um das älteste Herrenhaus Fünens handelt. Wir sind beeindruckt von dem prächtigen Steingebäude mit seinem imposanten Reetdach. Im Tölt, der Spezialgangart der Isländer, geht es durch hübsche Ortschaften, auf deren Asphaltwegen die Hufe wie tüchtige Nähmaschinen rattern.

Nachdem wir den Tredjeberg, mit 128 Meter die zweithöchste Erhebung Fünens, wohlbehalten erklommen haben, genießen wir die Aussicht auf Kornfelder. Ähren wiegen sich sanft im Wind. Wildblumenwiesen schmiegen sich bis ans Meer. Wir erspähen vereinzelte Gehöfte, auf deren Weiden Schafe grasen.

Die Luft ist frisch und die Pferde schnauben zufrieden. Der Weg bergab führt uns in einen üppigen Laubwald. Auf einer Lichtung machen wir halt und lassen die Tiere unter einer Buche grasen. Victoria kuschelt sich in das Fell ihrer Islandstute Siv. Eine Brise trägt den Geruch von Tang und Salz. Das Meer lässt uns wissen, dass es nun nicht mehr weit entfernt ist.

Schwerelos in der See

Wenig später gelangen wir an die Küste. Visír erschreckt vor einem Felsen, den er zunächst als Gefahr identifiziert, stapft aber wenige Sekunden später fröhlich durch den Spülsaum. Im Schritt reiten wir die Ostsee entlang. Über uns kreischen Möwen, während die Pferdehufe von anrollenden Wellen umspült werden.

Es ist fast tropisch warm, als wir den Sandstrand von Falsled erreichen. Wir nehmen den Tieren die Sättel ab, um barfuß und nur in Bademontur wieder auf ihre Rücken zu springen. Immer weiter reiten wir hinein in das Meer, bis die Pferde mit allen Vieren zu paddeln beginnen. Es ist gar nicht so einfach, die Balance zu halten uns wir klammern uns an ihre langen Mähnen. Hier draußen mit den großen Vierbeinern zu schwimmen, macht ehrfürchtig, vor den Tieren und dem Element, in dem wir uns fortbewegen. Erfüllt von diesen fast surrealen Minuten schreiten wir gemächlich zurück ans Ufer, wo sich die Pferde ausgiebig schütteln. Auch sie haben die Abkühlung sichtlich genossen. Victorias Stute Siv will weiter baden. Doch wir müssen aufbrechen, um unser Lager für die Nacht aufzuschlagen.

Das Meer lässt uns wissen, dass es nun nicht mehr weit entfernt ist.

Auf einer Waldlichtung an einem Shelter spannt John, der uns hier trifft, einen Zaun um die Pferde. Nachdem wir uns von ihm und Tabea verabschiedet haben, entzünden wir ein Lagerfeuer und grillen Heringe, Würstchen und Brote, die uns Dorte als Abendessen in einen Picknickkorb gepackt hat. Langsam wird es dunkel. Um uns herum ist es gänzlich still. Nur die Flammen knistern, begleitet von dem zufriedenen Kauen der Vierbeiner. So sitzen wir hier, an die Sättel gelehnt unter dem klaren Himmel, an dem sich die ersten Sterne zeigen. An diesem Ort zu verweilen, im Hier und Jetzt, erfüllt uns mit einer tiefen Ruhe. Später, im Windschutz in unsere Schlafsäcke gekuschelt, fallen uns alsbald die Augen zu.

In der Nacht werde ich von einem Geräusch wach. Ein Schauer läuft mir über den Rücken und ich fahre kerzengerade in die Höhe. Auch die Pferde scheinen etwas bemerkt zu haben und schnauben unruhig. »Habt ihr das gehört?«, frage ich in Richtung der schnarchenden Schlafsäcke zu meiner Linken, bereits ahnend, dass ich auf wenig Gehör stoßen werde. Ich lausche ein paar Minuten in die Nacht hinein. Das Funkeln der Sterne, das mich in den Bann zieht, lässt meine Gänsehaut verschwinden. Auch die Isländer haben sich beruhigt und gönnen sich einen Grassnack. Wahrscheinlich war es nur ein nachtaktiver Vogel, der mit seinen Schwingen das Gebüsch hinter uns gestreift hat, oder ein Reh, das sorglos durch die Zweige gehuscht ist.

Liebe zu den Alpen

Die Sonne steht hoch am Himmel, als wir uns gähnend aus den Schlafsäcken schälen. Wir entfachen ein Feuer, kochen Kaffee, rösten Brot und schmausen, neugierig beäugt von unseren Vierbeinern. In der Ferne vernehmen wir Hufgetrappel. Hastig schlingen wir die letzten Bissen hinunter. Maria aus Odense naht. Sie ist ebenfalls als Guide bei Dorte und John tätig und will uns heute zu den Svanninge Bakker, einem landschaftlich und historisch besonders spannenden Fleckchen der Insel, führen.

Es ist fast tropisch warm, als wir den Sandstrand von Falsled erreichen.

Schnell klauben wir Hab und Gut zusammen und füllen die Satteltaschen mit Proviant. Zusammen mit John, der zeitgleich mit Maria eintrifft, um sich zu vergewissern, dass Zwei- und Vierbeiner die Nacht wohlbehalten überstanden haben, räumen wir das Lager. Dann satteln wir die Pferde und brechen auf.

Auf Feldwegen geht es Richtung Süden. Immer weiter erklimmen wir eine Anhöhe. Unsere Isländer balancieren mittlerweile auf schwindelerregenden Pfaden. Ich kann nur hoffen, dass Visír den Weg blind kennt. Schließlich erreichen wir die Svanninge Bakker, die mit Svanninge Bjerge und Sollerup Skov das größte zusammenhängende Naturgebiet Fünens bilden. Die Hügel entstanden am Ende der letzten Eiszeit, als vor 20 000 Jahren massive Eismassen in die Ostseebelte drangen und sich zwischen den Gletschern Sand und Kies anhäufte. Die Rinnen, die das Schmelzwasser in sie hineinriss, können wir nun als Schluchten ausmachen.

Von Maria erfahren wir, dass Svanninge Bakker im 18. Jahrhundert immer beliebter bei Kopenhagenern wurde, die begeistert zwischen den über 100 Meter hohen Bergen, die den Namen »Fünische Alpen« erhielten, umher- wanderten. Die Faszination der Dänen für Hochgebirge spiegelt sich auch in der am Horizont thronenden Kirche wieder. Sie wurde von dem Architekten Gustav Friedrich von Hetsch nach österreichischem Vorbild designt.

Wir reiten weiter über die unzähligen grünen Hügel. Sanftere nehmen wir bergauf im Galopp, während wir steilere gemächlich Huf für Huf erklimmen. Die geschwungene, mit Furchen durchzogene Landschaft erinnert uns mehr und mehr an ein Hobbitland. »Die echte Erklärung für den Ursprung der Landschaft ist aber der Troll Finn«, sagt Maria, als könne sie unsere Gedanken lesen. »Er grub ein Loch, das den Arreskov-See, den größten See Fünens, bildet und stapelte mit der gewonnenen Erde die Svanninge Bakker.«

Der Bildhauer Thorkild Hoffmann Larsen hat eine Statue des Trolls geschaffen, die nun in den Hügeln thront. Doch nicht nur er fühlte sich hier inspiriert. Der Maler Fritz Syberg schuf am selben Ort das Werk Aftenleg i Svanninge Bakker (dt. Abendspiel in Svanninge Bakker), das im Faaborg Museum hängt.

Streit um die Bäume

Die bei den Künstlern für helle Euphorie sorgenden Weidelandschaften sind keine Selbstverständlichkeit. Ursprünglich bedeckten dunkle Wälder die Hügel. Doch als die Bevölkerung wuchs und damit auch der Bedarf nach bestellbaren Böden, wurden die Bäume Mitte des 18. Jahrhunderts gerodet und die Svanninge Bakker zu Ackerland umgewandelt.

»Ihr könnt die Felder noch erahnen, die hier bis Anfang des 19. Jahrhunderts bestellt wurden«, sagt Maria und deutet auf Flächen, die immer wieder von Erdwällen unterbrochen sind. »Die Bauern benutzten damals schwere, von Pferden gezogene Pflüge. Das hat Spuren hinterlassen.« Wir strecken uns aus unseren Sätteln um einen besseren Blick auf die Rudimente dieser Bewirtschaftung zu erhaschen.

Die Böden in den Svanninge Bakker erwiesen sich jedoch, wie wir von Maria erfahren, als mager und die Ernten fielen mehr als spärlich aus. So ließ man, stattdessen Schafe in den Hügeln weiden und versuchte sich lediglich im Tal noch an dem Anbau von Kartoffeln.

Unsere Pferde balancieren mittlerweile auf schwindelerregenden Pfaden.

Durch die daraufhin spartanisch mit Heidekraut und Ginster bewachsenen Weiden kam es aber immer häufiger zu Sandverwehungen, die die Straße zwischen Faaborg und Odense gänzlich blockierten. So begann man wieder damit, die Hügel aufzuforsten, auch um Brennholz und Baumaterialien zu gewinnen. Obgleich die Kiefern und Fichten auf den windgepeitschten Böden zunächst kaum Fuß fassen konnten, bedeckte gegen Ende des 19. Jahrhunderts dann doch erneut dunkler Nadel- wald die Svanninge Bakker – zum Unmut der Künstler wie dem Maler Johannes Larsen und dem Karikaturisten Achton Friis, die die Land- schaft dadurch als völlig zerstört empfanden.

Weide und Wanderland

Die Grafschaft Fünen kaufte später zusammen mit dem Umweltministerium größere Flächen in Svanninge Bakker, um die offene Landschaft wiederherzustellen. »Am 3. Dezember 1999 wurde Dänemark von einem Orkan heimgesucht, der 75 Prozent des Baumbestandes zerstörte«, erzählt Maria. Anstelle der umgestürzten Nadelbäume pflanzte man nun Eichen und Buchen, während man an anderen Stellen damit begann, die Bäume und Büsche zu entfernen. Seit 2005 gehört Svanninge Bakker nun zu einem Renaturierungsprojekt, das von EU Life und dem dänischen Staat finanziert wird, um insgesamt 70 Hektar Weideland wiederherzustellen, ein Landschaftstyp der mit seiner speziell angepassten Flora und Fauna europaweit gefährdet ist.

Als wir weiterreiten, beäugen uns neugierige Galloway-Rinder. »Sie sind sehr robust und leben hier das ganze Jahr über draußen und vertilgen nährstoffarme Gewächse«, sagt Maria. »So kann Sonnenlicht bis zur Erdoberfläche dringen und ermöglicht es auch sensiblen Gräsern und Kräutern, Fuß zu fassen. Das lockt wiederum seltene Schmetterlinge und andere Insekten an. Aber auch viele Frösche, Dachse, Füchse, Damhirsche und Hasen fühlen sich hier wohl«, sagt Maria.

Auf den Trampelpfaden begegnen wir anderen Reitern, Wanderern und Familien, die ein Sonntagspicknick auf einer der luftigen Anhöhen genießen. Immer wieder legen auch wir eine Pause ein, um diese malerische Kulisse gänzlich auf uns wirken zu lassen. Es duftet nach Kräutern. Mohnblumen punkten die Täler rot und bilden einen schillernden Kontrast zum pastellblauen Himmel.

Visír, dem ich mittlerweile auch ohne Brille blind vertraue, und ich machen uns bereit für einen letzten gemeinsamen Galopp. Bald schon werden sich unsere Wege wieder trennen müssen. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein Dänemark, das wir mit einzigartigen Vierbeinern ganz neu kennenlernen durften. Und Glücksgefühle, die wir über die Hügel hinweg und das Meer hinaus auf unseren ganz eigenen Pfaden immer bei uns tragen werden.

Südfinnische Inselwelt

Svanninge Bakker befindet sich im Südwesten Fünens. Østrup Turridning bietet Touren auf Islandpferden durch die eiszeitliche Landschaft am Inselmeer mit Schwimmritten, Tages- oder Wochenendritten durch die Fünischen Alpen.

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