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Plötzlich nur noch Weiß

Was geschieht, wenn man in einen Schneesturm gerät, erfahren Simon und seine Freundin Anni am eigenen Leib. Im norwegischen Skarvheimen werden alle ihre Pläne ordentlich durchgewirbelt

8. FEBRUAR, 20:55 UHR

Mutterseelenallein stehen wir auf dem Riksveien 52, der Straße, die von Hemsedal aus hoch ins Gebirge Skarvheimen in Norwegen führt. Es ist stockdunkel und die Rücklichter des Busses, der uns von Oslo aus hierhergebracht hat, verschwinden in der Nacht. Etwa 100 Meter entfernt sehen wir etwas Licht in den Fenstern der Hütte Skarvheimen des norwegischen Wanderverbandes schimmern. Vier Norweger und Norwegerinnen haben es sich dort bereits gemütlich gemacht und sind etwas erstaunt, als wir aus der dunklen Nacht eintreten. Der Rest ist über die Jahre eingeübte Routine.

Wir verstauen unsere Ausrüstung, beziehen eines der Zimmer, gesellen uns mit dem Abendessen zu den anderen im gemütlichen Wohnzimmer. Wir stoßen an. Die Anreise verlief ganz entspannt – und das mit dem großen Skisack und der sperrigen Pulka im Schlepptau. Beim Zähneputzen in der dicken Daunenjacke vor der Hütte verzaubern uns Polarlichter am Himmel.

19. FEBRUAR, 10:00 UHR

Heute geht es los. Einen richtigen Winter erleben, mit viel Schnee, mit klirrender Kälte und mit der Stille, die nur das winterliche Fjell einem bieten kann, deswegen sind wir hier unterwegs. So früh im Jahr auf eine längere Tour zu gehen, ist eher ungewöhnlich. Erst einige Wochen später werden die Strecken zwischen den Hütten mit Stöcken im Abstand von 20 Metern markiert. Ohne Markierung ist es mitunter anspruchsvoll, vor allem dann, wenn das Wetter schlecht ist.

Egal ob Sommer oder Winter, ob zu Fuß mit Rucksack oder mit Ski und Pulka – vor einigen Jahren hat Simon das norwegische Friluftsliv im Fjell kennen und lieben gelernt. Über seine Touren berichtet er auch auf seinem eigenen Blog. simonpatur.de

Aber das schreckt uns nicht ab, haben wir doch schon Erfahrung mit solchen Bedingungen sammeln können. Die langen Felle unter den Skiern verschaffen uns an den steilsten Hängen die Möglichkeit, voranzukommen. Unermüdlich geht es hinauf. Wir erreichen eine weite Ebene und sind fasziniert von der Ruhe und den spektakulären Ausblicken in diese fast unwirkliche Welt. Die Landschaft ist tief verschneit. Die Sonne zeigt sich dann und wann und sorgt für zauberhafte Lichtstimmungen.

19. FEBRUAR, 16:30 UHR

Gegen Nachmittag haben wir die Bjordalsbu-Hütte des DNT erreicht und machen es uns gemütlich. Der Ofen bollert, langsam steigt die Temperatur in der Hütte vom Minus- in den Plusbereich und irgendwann können wir ohne Daunenhose und -jacke gemütlich dasitzen und das Abendessen genießen. Die Kerzen leuchten, der Duft von Kaffee liegt in der Luft.

22. FEBRUAR, 13:00 UHR

Wir schreien uns an. Was ist hier bloß los? Verdammt, woher kommt denn plötzlich dieser Sturm? Die Konturen der Landschaft verschwinden in Schneeflocken, die uns waagerecht entgegen peitschen. Die Geräuschkulisse ist ohrenbetäubend, Die letzten zwei Tage waren wir bei bestem Wetter unterwegs und sind gerade auf der Mitte unserer heutigen Tour, als uns der Sturm so unvermittelt trifft. Die Hand vor Augen wird das Maß der Orientierung. Wo ist oben, wo ist unten? Es ist alles weiß und das ohne Markierungen, die einem den Weg weisen. Wir sind allein auf uns und unser GPS-Gerät gestellt. Wenn sich das White-out über einen legt, dann spielt der Kopf schnell verrückt. Der Blick hat keine Marken mehr, an denen er sich festhalten kann.

Alles um uns herum fängt langsam an, sich zu drehen. Wir tasten uns mit starrem Blick auf das GPS-Gerät voran, stets in Alarmbereitschaft. Geht es jetzt gleich eine Kuppe hinab? Oder geht es plötzlich bergan? Es geht rund 150 Höhenmeter über ein Felsmassiv. Immer wieder spielt uns der Kopf Streiche. In der Ferne erscheinen riesige Felsen, die sich als kleine Steine entpuppen. Plötzlich geht es steile Hänge hinauf oder es tun sich vom Sturm ausgeblasene Abhänge vor uns auf. Aber ist es wirklich so steil? Sind die Abhänge so tief? Oder ist das alles doch nur eine optische Täuschung?

22. FEBRUAR, 15:00 UHR

Jetzt heißt es, Ruhe zu bewahren, einen Schritt vor den anderen zu setzen und sich mit Vorsicht voranzukämpfen. Solche Situationen kenne ich zum Glück bereits – aber für meine Freundin Anni ist es das erste Mal, dass sie sich in einem solchen White-out und dann auch noch in so kompliziertem Gelände wiederfindet. Ich kann in ihren Augen Panik und Ratlosigkeit sehen, das kenne ich, kann nachfühlen, wie sie sich gerade fühlt, verletzlich und schutzlos. Zum Glück haben wir schon einige Touren mit auch teils brenzlichen Situationen erlebt und wissen, dass wir uns zu 100 Prozent aufeinander verlassen können. Im äußersten Notfall haben wir ein stabiles Zelt dabei und wettern den Sturm darin ab. Auch wenn es Mühe kosten würde, bei dem Wetter ein Lager zu errichten, mit der richtigen Ausrüstung ist es möglich. Und ich habe es schon gemacht. Dazu müssten wir aber den richtigen Zeitpunkt abpassen. Treffen wir die Entscheidung zu spät, haben uns unter Umständen bereits die Kräfte verlassen.

22. FEBRUAR , 16:00 UHR

Wir erreichen eine Anhöhe und entdecken sogar einen Wegweiser, der im Sommer wohl den richtigen Pfad weisen soll, jetzt aber nutzlos in der Gegend steht. Nun kommt der schwierigste Teil: Es geht bergab. Ganz langsam tasten wir uns vor, versuchen den Konturen, die sich ab und an abzeichnen, eine Route den Hang hinab abzutrotzen. Ich will gerade vorsichtig weiter gehen, als sich vor mir der Boden auftut. Eine weitere Sekunde später falle ich zwei Meter nach unten. Direkt neben mir schlägt meine Pulka ein. Das Adrenalin pumpt durch meinen Körper, der Puls rast. Zum Glück bin ich in weichem Schnee gelandet und habe mich nicht verletzt.

22. FEBRUAR 17:00 UHR

Eine mühselige Stunde später haben wir dem Sturm endlich die letzten Meter zur Hütte abgerungen. Die Geiterygghytta liegt vor uns. Einen Haken aber gibt es noch, und von dem wussten wir schon vor unserer Tour. Die Hütte ist noch geschlossen. Genau deswegen haben wir ein Zelt, Schlafsäcke und die entsprechende Ausrüstung im Schlitten dabei. Und so ist es tatsächlich, die Hütte ist verriegelt. Wie gewonnen, so zerronnen. Bevor wir uns daran machen, eine einigermaßen windgeschützte Stelle für das Zelt zu finden, schauen wir uns kurz in den Nebengebäuden um. Und siehe da, wir haben Glück. Eine Tür ist unverschlossen und dahinter verbirgt sich ein kleiner, ungeheizter Raum mit einem Stockbett. Es gibt keinen Strom, kein Licht und keinen Ofen, für uns aber ist es das Paradies auf Erden. Wir ziehen den Schlitten in den Vorraum und richten uns ein. Mit leerem Blick nehmen wir uns in die Arme. Wir haben es geschafft, raus aus der Gefahr. Eine stabile Tür hält uns den Sturm vom Leib.

22. FEBRUAR, 18:00 UHR

Die Gemütlichkeit in diesem kleinen, ungeheizten Kabuff kommt eher von innen. Wir verlieren nicht viele Worte und sind froh darüber, warme Klamotten und Schlafsäcke dabeizuhaben. Heute morgen noch sind wir voller Vorfreude aufgebrochen, haben die Hütte in Kongshelleren mit ihrem warmen Ofen hinter uns gelassen und waren uns sicher, bald schon am Ziel in Hallingskeid anzukommen. Jetzt stellt sich die Frage, wie wir so schnell wie möglich aus dem Schlamassel herauskommen.

22. FEBRUAR, 20:00 UHR

Der Blick auf die Karte beim Abendessen zeigt uns die Optionen, die auf dem Tisch liegen. Mithilfe des GPS können wir die Wettervorhersage abrufen. Der Sturm soll nicht abflauen. In nur drei Kilometern Entfernung aber gibt es eine Straße und auch einen Tunnel, in dem wir gut geschützt abwarten können, bis uns jemand mitnimmt. Das wird der Plan sein. Fürs Erste sind wir in Sicherheit. Gut, dass wir noch nicht wissen, dass der morgige Tag der kräftezehrendste der gesamten Tour werden wird (ein Höllenritt bei dem uns immer wieder das Herz in die Hose rutscht, bevor wir unsere Ski endlich in ein Räumfahrzeug wuchten können). Denn dann hätten wir heute sicher nicht so seelig geschlafen.

7 Tipps und Tricks von Simon

  1. Kenne deine Ausrüstung: Teste vorher, wie du dein Equipment anwenden und ggf. reparieren kannst.
  2. Qualität geht vor: Die beste Ausrüstung ist gerade gut genug – dein Leben kann davon abhängen.
  3. Mut zur Farbe: Farbige Kleidung sorgt für Sicherheit – du wirst im Notfall gut gesehen.
  4. Behalte stets den Überblick: GPS oder Karte und Kompass solltest du immer dabeihaben und benutzen.
  5. In der Ruhe liegt die Kraft: Esse und trinke regelmäßig – einmal stündlich solltest du pausieren.
  6. Sorgfalt beim Zeltaufbau: Nutze möglichst alle Abspannleinen und verschließe alle Ritzen gegen den Wind.
  7. Clever in den Tag starten: Packe so, dass du nichts suchen musst. Sichere dein Equipment vor dem Wetter.

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