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Amphibien im Adrenalinrausch

Wie fühlt es sich an, im Neoprenanzug über Stock und Stein zu wetzen, um sich dann in voller Montur ins Wasser zu stürzen und durchs kühle Nass zu kraulen? NORR-Chefredakteurin Karen Hensel will es wissen und testet einen schwedischen Swimrun.

Die Motivation

Es war Sommer 2014. Ich war gerade nach Stockholm gezogen und saß mit einer deutschen Freundin auf ein paar Felsen im Schärengarten, als diese plötzlich aufschrie: »Was ist das denn?!« Wenige Meter vor uns im Wasser näherten sich Kreaturen in schwarzen Anzügen, die direkt auf uns zusteuerten, um sich geschmeidig an Land zu ziehen und laufend im angrenzenden Wald zu verschwinden. Dieses amphibienartige Grüppchen wirkte zwar zunächst bizarr, aber ihre Art, sich derartig unbegrenzt fortzubewegen, hatte es mir angetan.

Die Recherche

Wie ich herausfand, trainierten die in Neoprenmontur gehüllten Gestalten füreinen Swimrun, einem ursprünglich aus Schweden stammenden Wettkampf, bei dem man in Zweierteams während eines ständigen Wechsels von Land und Wasser darum kämpft, schnellstmöglich gemeinsam ins Ziel zu gelangen.

Die Wahl

Da ich mich weder beim Laufen noch Schwimmen mit einem herausstechenden Talent rühmen kann, habe ich für meinen ersten Swimrun die Stadt Sigtuna auserkoren, die mich mit dem Slogan »Sigtunas Swimrun ist für alle, egal ob du Swimrun-Neuling bist, oder zur Elite gehörst!« hoffen lässt, den Tag zu überleben, ohne körperlich gänzlich zu entkräften oder vor Schmach im Erdboden versinken zu müssen: Insgesamt 2,2 Kilometer im Wasser und 8,5 Kilometer an Land sollen zurückgelegt werden.

Der Swimrun in Sigtuna ist auch für Anfänger geeignet. Aber das heisst nicht, dass er nicht ganz schön an die Kräfte geht.

Die Landschaft

Sigtuna liegt 50 Kilometer nordwestlich von Stockholm am Mälaren und ist eine der ältesten noch erhaltenen Städte Schwedens. Der Swimrun führt durch den historischen Ortskern, entlang des Mälaren-Ufers und durch seine Seitenarme Sigtunafjärden und Garnsviken.

Das Equipment

Liegt die Wassertemperatur unter 17 Grad, ist ein Neoprenanzug vorgeschrieben. Auch eine farbenfrohe Badekappe muss getragen werden, um im Wasser erkennbar zu sein. Zudem sind leichte Laufschuhe ratsam, in denen es sich gut schwimmt und die sich nicht vollsaugen. Eine Schwimmbrille, um beim Kraulen den Durchblick zu behalten, und eine farbige Boje pro Team, die einen für den Bootsverkehr sichtbar macht, sind ebenfalls ratsam. Weiterhin gibt es Ausrüstung, die zugelassen, aber nicht vorgeschrieben ist, wie eine Partnerziehleine, Schnorchel, Handpaddel, Finnen, Schwimmhilfen oder eine Wasserblase.

Die Vorbereitung

Mein Teampartner ist mein ehemaliger Mitbewohner und guter Freund Patrik, ebenfalls blutiger Swimrun-Anfänger. Zehn Wochen vor dem Wettkampf beginnen wir, uns einmal wöchentlich zum Trainieren zu treffen. Von der NORR-Redaktion aus starten wir auf die zehn Kilometer lange Laufstrecke um die Bucht Årstaviken – nur, dass wir jetzt einige Abschnitte schwimmend zurücklegen wollen. Das erste Mal in voller Montur ins Wasser zu steigen, ist befremdlich. Schon nach wenigen Metern muss ich feststellen, dass meine Schuhe zu schwer sind und sich bereitwillig mit Wasser vollsaugen. Patriks Schwimmbrille beschlägt derart, dass er blind im Zickzack schwimmt. Nach dem Training gehen wir zwecks Trost und Belohnung anfangs immer auf ein Bier in unsere Lieblingsbar auf Söder. Nach und nach aber justieren wir das Equipment, wagen längere Schwimmdistanzen und verzichten auf Kneipenabende. Das Training beginnt, richtig Spaß zu machen.

Am Start

Mir ist übel vor Aufregung, als ich aus Patriks Auto und in meinen Neoprenanzug schlüpfe. Wir haben uns „Team Eichhörnchen“ genannt, weil Patrik als Schwede dieses Wort extrem witzig findet. Ich fühle mich gerade eher wie ein verhuschtes Eichhörnchen. Waren wir zu übermütig zu denken, dass wir hier mit unserem einmal wöchentlichen Spaßtraining einfach aufkreuzen können? Werden wir wohlmöglich mittendrin aufgeben müssen? Fünf Schwimmstrecken und sieben Laufstrecken sind es und ich hoffe, dass sich Patrik die Wegführung
aufmerksamer einprägt als ich. Bei peppiger Aerobikmusik werden alle Teilnehmer dazu animiert, zu hüpfen, sich zu
schütteln und rythmisch mit den Armen zu kreisen, während eine Lautsprecherstimme die Minuten runterzählt, die bis zum Start verbleiben.

In enghäutigen Neoprenanzügen geht es nach Startschuss inmitten einer motivierten Truppe auf die Strecke.

Das Erlebnis

Dann ertönt es, das Startsignal meines ersten Swimruns und wie in Trance rennen wir inmitten der 24 anderen Teilnehmer unserer Klasse durch Sigtunas Gassen hin zur ersten Schwimmstrecke. Der Mälaren kühlt Körper und Gemüt und mit heruntergelassenem Neo beginnt dieser unbegrenzte Flow von Land zu Wasser ab der zweiten Laufdistanz richtig Freude zu machen. Das Feld zieht sich mittlerweile weit auseinander. Teilweise sind Patrik und ich gänzlich allein auf kleinen grünen Pfaden unterwegs und ernten irritierte Blicke von Spaziergängern, an denen dieses Event scheinbar vorbeigegangen ist. Im historischen Ortskern werden wir von euphorischen Passanten zu Höchstleistungen motiviert. Im Rausch spüre ich weder Temperatur noch Müdigkeit. Nur einmal werden wir aus dem Amphibienzustand gerissen, als uns ein versehentlich von der Strecke abgekommenes SwimrunPärchen nach dem Weg fragt. Dann taucht es wie aus dem Nichts auf: Das Ziel, in das wir mit vor Nässe schmatzenden Schuhen glücklich einschlurfen.

Das Fazit

Nachdem wir wortkarg einige Energieriegel in uns hineinstopfen, mündet die Erschöpfung in einen Lachkrampf. Wir staunen nicht schlecht, auf dem 7. Platz von 14 gemischten Teams gelandet zu sein. Ein Swimrun kann jeder auch mit humanem Training und ohne gänzlich asketischen Lebensstil erleben. Und es lohnt sich, denn der unbegrenzte Flow hat seine eigene amphibische Magie.

Patrik und Karen würden es wieder tun. Zwei glückliche Amphibien nach Einlauf ins Ziel.

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