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Die dunkle Bekannte

NORR-Chefredakteurin Karen wird zur Nachtschwärmerin.

Mit klammen Fingern versuchte ich neulich, das Packfach meines Kajaks zu öffnen, um meine Stirnlampe hervorzuangeln. Wie im schwedischen Winter üblich, hatte sich die Sonne um drei Uhr bereits für den heutigen Tag verabschiedet und die Dämmerung war heimlich über das Land gezogen.

Schön dunkel. Dank Stirnlampe und Lagerfeuer vermisst Karen die Sonne fast überhaupt nicht.

Das Ufer des Sees in Södermanland, auf dem ich mit einem Freund unterwegs war, konnten wir mittlerweile nur noch schemenhaft erahnen und mussten uns voll und ganz darauf konzentrieren,nicht mit den Felsen zukollidieren, die hier und da ausdem Wasser ragten. Während ichSchlag für Schlag mühsam gegenden Wind anpaddelte, dachteich kurz an meine Mitbewohner,die es sich mit Pepperkakor undGlögg in unserem warmen Wohnzimmerbequem gemacht hatten.

Die dunkle Jahreszeit ist wie eine kauzige alte Dame. Keine Sympathieträgerin auf den ersten Blick. Sie empfängt einen nicht unbedingt mit offenen Armen, deshalb ist man versucht, einfach gleich zu Hause zu bleiben. Die Kunst ist es, sich mit ihr anzufreunden. Lernt man sie einmal richtig kennen, hat sie ihren ganz eigenen Charme. Sie ist großzügig und erlaubt einem fast alles. Man muss sich nur richtig vorbereiten.

Ich werde in diesem Winter noch öfter mit klammen Fingern nach meiner Stirnlampe kramen.

Karen Hensel, NORR-Chefredakteurin

Liegt kein Eis auf dem Wasser, kann man weiterhin Kajak fahren und mit einem warmen Schlafsack im Gepäck lässt es sich problemlos draußen übernachten. In einer klaren Winternacht zeigen sich die Sterne am Himmel besser als zu jeder anderen Jahreszeit. Außerdem lädt sie zu ganz neuen Sinneserlebnissen ein. In der Dunkelheit nimmt man die Geräusche hier draußen, wie den Wind in den Bäumen, das Knistern eines Lagerfeuers oder das Fallen der Schneeflocken auf das Zelt, viel intensiver wahr als am helllichten Tag.

Dennoch haben wohl nicht allzu viele bislang mit ihr Freundschaft geschlossen. Jedenfalls trifft man in der Natur nur wenige Gleichgesinnte, die sich von ihrer Grobheit nicht abschrecken lassen. Begegnet man einem, so fühlt man sich im stillschweigenden Einvernehmen miteinander verbunden. Immerhin hat man eine gemeinsame Bekannte ins Herz geschlossen.

Die dunkle Jahreszeit macht es einem nicht immer leicht. Hände und Füße sind kälter, man stolpert häufiger und wählt vermutlich hier und da die falsche Abzweigung. Aber ein Abenteuer mit ihr macht definitiv auch ein Stück glücklicher. Ich werde in diesem Winter noch öfter mit klammen Fingern nach meiner Stirnlampe kramen. Vielleicht sehen wir uns ja beim nächsten mal draußen.

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