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Ab auf die Hasenjagd

In der kühleren Jahreszeit beginnt in Finnland die Jagdsaison. NORR-Leserin Sarah Kringe streift durch Lapplands Wälder und bewundert die naturverbundene lokale Lebensweise.

Poncho ist im Jagdfieber. Seitdem sein Herrchen Jorma ihm eine Schrotflinte vor die Schnauze gehalten hat, flitzt der kleine Beagle wie ein Irrwisch durch den nordfinnischen Wald. Die Nase tief am Boden, den Schwanz kerzengerade in die Luft gestreckt, rüsselt er sich grunzend durchs Unterholz. Ponchos Leidenschaft ist die Hasenjagd, sein Job das Aufstöbern der – tagsüber schlafenden – Langohren. Hat er einen Hasen gefunden, bellt er laut und sein Herrchen weiß, dass er die Flinte bereit machen muss.

Mein Freund Mathias und ich begleiten Jorma und Poncho an diesem kalten Herbsttag auf der Jagd in den finnischen Wäldern rund um ihr Zuhause. Ich habe mich den Jungs mit etwas gemischten Gefühlen angeschlossen, da ich dem Jagen skeptisch gegenüberstehe und vielleicht etwas zu zart besaitet bin, um dabei zuzuschauen, wie ein Hase von einer Schrotflinte erwischt wird. Aber letztendlich siegt die Neugier. Und so stapfe ich nun von der Herbstfrische leicht fröstelnd neben Jorma her, der uns erzählt, dass man in Finnland sowohl eine Jagdlizenz braucht als auch einem Jagdverein angehören muss. In den vergangenen Wochen habe ich den Eindruck bekommen, dass Jagen hier eine Art Volkssport ist. Jung und Alt, Frauen wie Männer: Das finnische Äquivalent zum Fußballplatz ist es, sich im Wald an einer kleinen Hütte zu treffen, Würstchen am Feuer zu grillen und Hasen, Elche oder Vögel zu jagen.

Leuchtende Wälder und Bären

Zumindest den ersten Teil kann ich gut nachvollziehen: Die Wälder Lapplands leuchten zur »Ruska«-Zeit in allen Farben, die der Herbst zu bieten hat, und die goldenen Birken, die sich in den klaren Seen spiegeln, sind ein atemberaubender Anblick. Bevor wir Anne und Jorma in ihrem falunroten Haus am Ufer des Sees Kemijärvi besucht haben, hatten wir Finnlands Herbst bereits auf der kleinen Bärenrunde inhaliert. Auf der Wanderung oberhalb von Kuusamo, nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt, überquerten wir einen rauschenden Fluss auf einer Hängebrücke, wanderten durch tiefen Wald, über Bohlen durchs Moor und bückten uns hin und wieder für eine Handvoll Preiselbeeren. Dazwischen immer wieder Laavus, die finnischen Grillhütten, die von den vielen Wandernden zum Innehalten und für die obligatorische Kaffeestunde am Lagerfeuer genutzt werden. Die kleine Bärenrunde kreuzt im Oulanka-Nationalpark ihre Schwester, Karhunkierros, die große Bärenrunde, Finnlands wohl berühmteste Mehrtageswanderung.

Plötzlich hören wir Ponchos schrilles Bellen aus dem Wald. Jorma nimmt die Flinte vom Rücken und beobachtet aufmerksam den Waldrand. Doch dann verstummt der Hund wieder. »Er hat nur etwas gerochen«, erklärt sein Herrchen. Wenn er tatsächlich einen Hasen gefunden hätte, hätte er nicht mehr aufgehört zu bellen. Ein klein wenig erleichtert gehe ich weiter.

Nur wildes Fleisch

Mathias und ich reisen seit vier Monaten in unserem Camper durch Europa und sind seit zwei Tagen zu Gast bei Jorma und seiner Frau Anne. Seitdem wir hier sind, bewundere ich die Naturverbundenheit und die Lebensweise dieser Leute, die 35 Kilometer vom nächsten Supermarkt entfernt wohnen und sich meist selbst versorgen. Das Abendessen, das uns die beiden tags zuvor gekocht haben, könnte kaum regionaler sein: Gemüse aus dem eigenen Garten, Hecht aus dem See vor dem Haus und als Nachtisch Vispipuuro, eine Art Grießbrei mit Preiselbeeren, die wir vorher im Wald gesammelt haben. Sogar Poncho, der eifrige Hasenjäger, ernährt sich hauptsächlich vegetarisch und regional: Er liebt Gemüse, vor allem Kartoffeln und Karotten, und bekommt als Highlight die Reste vom Fisch. In diesem Kontext kann ich mich auch mit der Hasenjagd anfreunden: Jorma erklärt uns, er und seine Familie äßen nur wildes Fleisch aus den heimischen Wäldern. Ökologischer und nachhaltiger als hier, im finnischen Nirgendwo, lässt es sich wohl kaum leben.

Einen Hasen haben Poncho und Jorma an diesem Vormittag nicht mehr geschossen. Stattdessen ist der kleine Hund unbemerkt in Mathias‘ Rucksack gekrochen und hat eine halbe Packung Schokoladenkekse stibitzt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Auch zum Hechtfang im See direkt vor der Haustür darf Sarah ihren Gastgeber Jorma begleiten. Anschließend geht es zum Pilze- und Preiselbeerensammeln, um mit Letzteren den traditionellen finnischen Grießbrei zu garnieren.

NORR-Leserin Sarah Kringe ist mit ihrem Freund Mathias seit vier Monaten im Camper quer durch Europa unterwegs. In Nordfinnland sind sie zu Gast bei Jorma und seiner Familie, die ihnen die traditionelle Lebensweise der Einheimischen näherbringen und verstehen lassen, welche Vorteile die Hasenjagd und der Verzehr von wildem Fleisch mit sich bringen.

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