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Kalte Wasser – Ein klimaneutrales Segelabenteuer im Norden

Klimaneutral die Welt besegeln – unter dem Motto »Saling Naked« haben sich zwei Hamburger einen Traum erfüllt. Ein grünes Abenteuer, von Deutschland zwischen Dänemark und Schweden hindurch über Oslo, die Färöer und Island bis Grönland.

Blick auf Aappilattoq

»Als ich mit Joscha einen Berg bestieg, kroch ein Schnaufen den Hang hinauf – und es kam nicht von Joscha. Unten in der Bucht zog ein Buckelwal seine Kreise um unser Boot, tauchte unter seinem Rumpf hindurch und prustete munter Wasser aus dem Blasloch. Unser Boot wirkte erbärmlich klein gegenüber dem majestätischen Giganten. Ein wunderschöner Anblick«, erinnert sich Niklas.

Ein riesiger Wal direkt neben dem Segelboot, inmitten einer einsamen, tiefblauen Bucht in der zerklüfteten Fjordlandschaft der grönländischen Küste. Es ist einer der vielen Höhepunkte der Reise des Fotografen Niklas Marc Heinecke. Gemeinsam mit seinem Freund Joscha Brörmann bricht der Hamburger im Frühjahr dazu auf, den Nordatlantik zu überqueren. Die Idee: Die Natur Skandinaviens und des Nordatlantiks in ihrer Ursprünglichkeit erleben – und das auf so klimaneutrale Art und Weise wie nur möglich.

Kräutergarten an Deck

Dafür bauen die Jungs die »Ju Mar«, so der Name ihres Boots, in Tausenden von Arbeitsstunden um: Für Strom sorgen Solarmodule, eine eigene Windkraftanlage und ein Hydrogenerator. Anstelle eines Gasherds wird ein Induktionsfeld in die Bordküche eingebaut. Das Trinkwasser gewinnen die Jungs mittels einer Entsalzungsanlage direkt aus dem Meer. Um die Selbstversorgung so perfekt wie möglich zu machen, pflegen sie unter Deck sogar einen kleinen Kräutergarten. Als Motto für ihren Trip wählen sie den Slogan Sailing Naked: »Natürlich sind wir nicht nackt gesegelt. Wir wollten einfach nur unabhängig von der Außenwelt sein, uns von Zwängen befreien, einfach treiben lassen und dabei immer offen bleiben für die Welt und ihre Menschen«, erzählt Niklas.

Während Joscha als erfahrener Segler seit frühester Kindheit auf dem Wasser zu Hause ist, ist Niklas eher Landratte als Seebär. Das nötige Know-how lernt er auf zahlreichen Vorbereitungstörns. Schon bald ist den beiden klar, dass sie nicht den direkten, viel befahrenen Weg über den Atlantik einschlagen wollen. Stattdessen wollen sie sich in den hohen Norden wagen, auf die Gewässer, auf denen schon die Wikinger den weiten Ozean bereist haben. Über Oslo und die Färöer soll es nach Island und Grönland gehen, um von dort aus nach Neufundland und schließlich in die Karibik überzusetzen. »Wenn man die Standardroute nimmt, ist man 20 bis 30 Tage unterwegs. Die nördliche Variante dauert zwei bis drei Monate, aber da man hier von Insel zu Insel segelt, sieht man mehr«, sagt Niklas, der schon immer eine Faszination für die raue Natur am Polarkreis hegte.

»Die Sauna liegt in einer winzigen Bucht, in der wir vor Anker gegangen sind. Das Wasser für den Aufguss mussten wir mit einer Pumpe aus dem Meer saugen, die Scheite haben wir mit dem Bunsenbrenner angezündet. Und als es uns zu heiß wurde, sind wir ins vier Grad kalte Wasser gesprungen«, schwelgt Niklas in seinen Erinnerungen.

Als Testtörn wählen Niklas und Joscha eine Route durch die Ostsee – die Feuertaufe, die es direkt in sich hat: Vor Bornholm geraten sie im April in eine Flaute und müssen auf dem wie ein glattes Laken bis zur Küste gespannten Wasser auf Wind warten. Im Stockholmer Schärengarten werden sie Anfang Mai von einem Wintereinbruch überrascht: »Als wir eines Morgens aufgewacht sind, war das Boot mit 20 Zentimeter Schnee bedeckt. Zu allem Überfluss fiel die Heizung aus – das war die erste Kostprobe dafür, dass man auf See oft improvisieren muss«, sagt Niklas. Für Wärme sorgen die zahlreichen auf den Schären verstreuten Saunen – und die Notreparatur im Hafen von Helsinki, damit sie für den Rest der Reise nicht erneut frieren müssen.

Die Einsamkeit des Nordens

Der Startschuss für die eigentliche Atlantiküberquerung fällt im Juni. Von Großenbrode an der norddeutschen Küste aus geht es an der Ostseite von Fehmarn entlang, Peilung Nordnordwest, zwischen Dänemark und Schweden hindurch und ab in die Nordsee. Vorbei an Oslo, Haugesund und Bergen mit ihren bunten Häuserfassaden. Die teils raue Natur an der norwegischen Küste ist ein Vorgeschmack dafür, was die beiden einige Tage später auf den Färöern erwarten wird.

»Ich sitze am Steuerrad und starre auf den Horizont. Vor wenigen Augenblicken ist dort eine Insel aufgetaucht. Ich habe mir sofort das Fernglas geschnappt. Durch die Okulare konnte ich riesige graue Felswände erkennen, die in die Höhe klafften, mitten im Nirgendwo des Meeres. Der Tag war hell, die Luft rein, die Sicht klar. So klar, wie es nur bei Kälte möglich ist. Das müssen sie also sein: die Färöer!«, erinnert sich Niklas. Fragt man Niklas nach den faszinierends- ten Höhepunkten der Reise, nennt er die sich zwischen den Meeren immer wieder verändernden Wasserfarben. »In der Nordsee war das Meer unglaub- lich blau. Die Ostsee war dagegen eher grün. Der Atlantik teilweise sogar schwarz«, sagt er. Rund um die Färöer kommt noch Weiß hinzu – die Gischt des gegen die steilen Felsklippen aufpeitschenden Wassers. Hier gibt es keinen einzigen Baum, der Wind fegt gnadenlos über die nur spärlich bewohnten Eilande. »Manche Siedlungen sehen aus, als würden sie von den ständigen Stürmen an die steilen Berghänge gepresst«, erzählt er. Für den Fotografen sind die Färöer ein Paradies.

Die wollig-warmen Färöer-Schafe trotzen dem Wetter, ohne mit der Wimper zu zucken, während Niklas und Joscha bei ungeahnten Wintereinbrüchen die Zähne zusammenbeißen müssen.

Rettung nach Island

»Kaum hatte ich einem der Gäste, die auf dieser Passage mitsegeln, das Ruder übergeben, gab es plötzlich einen lauten Knall. Die Sicherungsleine zwischen Baum und Bug war gerissen, der Baum herumgeschlagen und durch die Wucht in der Mitte durchgebrochen«, erinnert sich Niklas an einen unglücklichen Moment während des Törns. Nicht immer läuft alles rund. Auf dem Weg nach Island gelangen sie in einen Sturm. Meterhoch türmen sich die Wellen des dunklen Atlantiks auf, als die Kräfte der Natur und ein Fehler auf dem Boot mitreisenden Gastes dafür sorgen, dass der Baum ihres Segelboots bricht – und dadurch fast sogar noch der Mast in Mitleidenschaft gezogen wird. Nur mit dem Vorsegel schleppen sie sich nach Island. Hilfe finden sie auf den der isländischen Küste vorgelagerten Vestmannaeyjar, den Westmännerinseln. Doch die Reparatur dauert. Vier Wochen sitzen sie auf Island fest, um auf die notwendigen Ersatzteile zu warten. »Also haben wir die Gelegenheit genutzt, um noch tiefer in die isländische Natur einzutauchen«, berichtet Niklas. Sie erkunden die blutroten und schwarzen Vulkanlandschaften, segeln weiter nach Reykjavík und bereiten die Überfahrt nach Grönland vor – das größte Abenteuer der Reise.

Wache mit Taschenlampe

Politisch zählt Grönland zwar zu Dänemark, geografisch wird es aber bereits dem nordamerikanischen Kontinent zugerechnet. Die größtenteils von Eis überzogene größte Insel der Erde ist eines der wenigen Gebiete der Welt, die noch nicht genau kartografiert sind. Mit der Taschenlampe bewaffnet, wechseln sich Niklas und Joscha in den Nächten ab, um in den Fjorden nicht in Untiefen zu geraten oder mit den im Wasser umhertreibenden Eisbergen zu kollidieren. Doch auch die Natur des Festlands flößt ihnen Respekt ein: Bis zu 1 000 Meter hoch türmen sich die Berge vom Ufer aus auf, nur unterbrochen von endlos langen Fjorden und in das Wasser kalbenden Gletschern. Kein Zeichen von Zivilisation, kein Hafen, nichts. Pure Einsamkeit. »Wir haben drei Tage gebraucht, bis wir uns an Land getraut haben – so eingeschüchtert waren wir von der gewaltigen Natur«, so Niklas.

Doch es sind nicht nur die gewaltigen Landschaften Skandinaviens und der nordatlantischen Arktisregion, die den beiden auf ihrer Reise unvergessliche Momente bescheren – es sind auch immer wieder die Begegnungen mit den Menschen, die hier leben. Auf Island werden sie vom Besitzer einer kleinen Privatinsel spontan in dessen Whirlpool eingeladen. Und in der kleiner grönländischen Siedlung Aappilattoq im Prins Christian Sund spielen sie Fußball mit den Dorfkindern und werden vom Vorsteher der Inuitgemeinde herumgeführt. Themo, so sein Name, erzählt, dass die meisten Menschen hier als Jäger arbeiten und manchmal als Guides für die wenigen Kreuzfahrtschiffe, die ab und an hier anlegen. Ansonsten sei das Leben sehr einsam. »Handyempfang gibt es allerdings – der Zivilisation zu entkommen, ist also nicht immer ganz einfach«, schmunzelt Niklas.

Aus dem Nichts türmen sich die Eisberge auf. Nachts müssen die Jungs mit der Taschenlampe wachen, um nicht mit einem der eisigen Ungetüme zu kollidieren.

Süchtig nach See

Trotz aller persönlichen Begegnungen – am Ende zieht es die beiden Hamburger Abenteurer immer wieder zurück in die Natur zu den einsamen Stränden, in die tiefen Meeresarme und unerschlossenen Küstengebiete. Es sind die Szenerien des unberührten, romantischen Skandinaviens und wilden, unberechenbaren Nordatlantiks, die selbst die anspruchsvollsten Schichten auf Deck jederzeit wert sind – wie der beeindruckende Moment in den grönländischen Fjorden, als ein majestätischer Wal direkt unter dem Segelboot durchtaucht – inmitten der unberührten Natur der Arktis. Ein Moment, den Niklas und sein Freund Joscha gerne wieder erleben würden.

Es kommt daher nicht überraschend, dass die beiden, als sie nach 10 000 Seemeilen in der Karibik das finale Ziel ihrer umweltfreundlichen Reise erreichen, direkt die nächste große Tour planen. Das Ziel soll wieder Skandinavien sein, genauer gesagt Spitzbergen. Schon im kommenden Jahr wollen sie den Anker in Richtung der kalten Wasser im hohen Norden lichten, um mithilfe von Solarenergie, Windkraft, Hydrogenerator, Entsalzungsanlage sowie dem bewährten eigenen Kräutergarten in der Kombüse so unabhängig und nackt wie nur möglich unterwegs zu sein.

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