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Dem Polarfuchs zu Diensten

Ein Haufen Freiwilliger, Forscher und Naturschützer arbeitet daran, dass Schweden sein einziges arktisches Raubtier behalten darf. NORR hat sie besucht.

Die Sonne steht hoch über dem Helagsmassiv. Es ist einer der ersten Julitage und das Hochdruckgebiet, das sich über den Bergen geparkt hat, lockt viele Wanderer auf die Wege. An der Bergstation Helags treffe ich Malin Hasselgren, Karin Alexandersson Ros und Špela Lemež. Die Taschen der drei sind vollgepackt. Es ist der erste Tag der diesjährigen Feldforschungssaison des Polarfuchsprojektes und sie haben sich auf einen langen Aufenthalt in den Bergen eingestellt. Karin und Špela werden vier Wochen lang hier draußen sein. Malin, die Doktorandin an der Universität Stockholm ist, wird ein paar Tage mit ihnen verbringen, bevor sie zu anderen Freiwilligenpaaren weiterzieht.

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Mitte der 1980er Jahre wurde das Projekt zur Rettung des Polarfuchses an der Universität Stockholm ins Leben gerufen. Die Idee war, das Verhalten der Füchse zu studieren und dadurch zu verstehen, warum die Art es so schwer hat, obwohl sie bereits seit über 50 Jahren unter Schutz steht. Jeden Sommer werden daher Freiwillige in die Bergkette ausgesandt, um Polarfuchsbaue zu besuchen und Daten für die Forschung zu sammeln. Karin und Špela sind zwei der diesjährigen Volontäre, die zum ersten Mal mit dabei sind.

Versteckt unter Gras

Wir folgen dem Wanderweg ein Stück, bevor wir abbiegen und weiter entlang einer Bergflanke laufen, die von Glockenheide gesäumt ist. Am Horizont zeichnet sich die stachelige Kontur der Berggipfel des Sylarnamassivs gegen das Blau des Himmels ab. Als wir auf eine Kuppe stoßen, zeigt Malin ins Tal. Ein paar hundert Meter weiter ist der Polarfuchs- bau. Das Einzige, was ihn verrät, ist, dass das Gras auf dem kleinen Hügel etwas üppiger wächst als im Rest des Tals. Das Fernglas wird gezückt, aber noch ist keine Bewegung sichtbar. Vermutlich ist es noch zu heiß. Die Polarfüchse sind am aktivsten, wenn die Sonne tief steht. Bald geht es durch ein Meer aus Berganemonen hinab ins Tal. Wir passieren den Bau und klettern weiter den Hang hinauf, um einen Platz zum Zelten zu finden.

Heutzutage ist der Polarfuchs ein ungewöhnlicher Anblick im schwedischen Fjäll. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts gab es viele der Tiere im Land, aber durch die intensive Jagd schrumpfte ihr Bestand schnell. 1928 wurde die Art unter Schutz gestellt, aber trotzdem erholte sich die Population nicht.

Der Polarfuchs ist eine der am längsten existierenden Säugetierarten Schwedens.

In den 1980er Jahren brach dann das nächste Unglück herein: Die Hauptnahrung des Bergfuchses sind Nagetiere, insbesondere Berglemminge. Und das Wohlergehen der Füchse ist eng an die Population der Lemminge geknüpft. Ist es ein schlechtes Lemmingjahr, vermehren sich die Polarfüchse überhaupt nicht. Normalerweise verläuft die Lemmingpopulation in Zyklen mit einem Höhepunkt alle drei bis fünf Jahre, aber in den 80er und 90er Jahren traten diese Spitzen nicht auf. Um die Jahrtausendwende herum war die Art hier in Helags weitgehend verschwunden.

Dabei ist der Polarfuchs eine der am längsten existierenden Säugetierarten Schwedens. Bereits als sich die Eisdecke nach der Eiszeit zurückzog, wanderten sie nach Skandinavien ein. Doch unklar war lange, ob die Art überhaupt eine Chance hat zu überleben.

Wachsame Blicke

Als die Zelte aufgebaut sind, greifen wir erneut zum Fernglas und blicken auf den Bau hinunter. Er ist immer noch ein paar hundert Meter entfernt. Üblicherweise müssen Bergwanderer einen Abstand von mindestens 300 Metern zu einem Polarfuchsbau einhalten und es ist verboten, die Füchse zu stören. Die Freiwilligenarbeit erfordert jedoch Kontakt zu den Tieren, denen Malin, Karin und Špela aus diesem Grund näher kommen dürfen.

Gefährdete Fuchskinder

Zunächst ist es ruhig. Ein sanfter Wind zieht über den Berghang und hinter uns sprudelt ein Bach, sonst ist es still. Nach einer Weile bewegt sich unten im Tal etwas im Gras. Ein ausgewachsener Fuchs taucht aus dem Bau auf – mit zwei Jungen im Schlepptau. Die beiden Kleinen haben dunkles Fell, während der erwachsene Polarfuchs weiß ist, mit graubraunen Elementen. Oben an den Zelten versuchen wir ruhig zu bleiben. Trotz unserer Bemühungen bemerken wir, dass der Polarfuchs mit wachsamem Blick zu uns hinüberschaut.

»Sie sind sich immer bewusst, dass wir hier sind«, sagt Malin. Dann verschwindet der Fuchs wieder im Bau, um kurze Zeit später erneut aufzutauchen. Diesmal pilgert eine ganze Schaar Welpen hinterher. Bis zu 16 Junge kann ein Polarfuchs bekommen. Nun streunen mindestens neun kleine Fuchskinder um ihre Mama herum. »Es ist wie eine Naturdokumentation, bei der man hautnah dabei ist«, bemerkt Karin. Als die kleinen Füchse fertig gespeist haben, legt sich ihre Mutter ins hohe Gras und ihre Welpen streunen neu- gierig umher. Ein paar verschwinden wieder im Bau, andere springen ausgelassen herum und spielen mit ihren Geschwistern.

Ein ausgewachsener Fuchs taucht aus dem Bau auf – mit zwei Jungen im Schlepptau.

»Auch wenn es vielversprechend aussieht – die Chance ist gering, dass alle Fuchskinder überleben. Wie viele es schaffen werden, hängt davon ab, wie viele Nager es in diesem Jahr gibt. Ist es ein Boomjahr für Lemminge, könnte die Hälfte der Jungen durchkommen – das wäre fantastisch. 20 Prozent wären auch schon gut. Die Fuchswelpen haben eine sehr hohe Sterblichkeitsrate. Auch von Steinadlern, Vielfraßen und Rotfüchsen werden sie oft geraubt und gefressen«, prophezeit Malin.

Als die Familie wieder im Bau verschwunden ist, beginnt die Arbeit der Freiwilligen. Die erste Aufgabe besteht darin, den Selbstfütterungsautomaten zu befüllen, der sich ein paar hundert Meter entfernt vom Bau befindet. Dann schnappen sich Karin, Špela und Malin einen Sack Fallen und beginnen, vom Bau aus nach Norden zu gehen. Neben der Inventur der Polarfuchspopulation werden auch die Nester von Nagetieren gezählt. Die Fallen sollen in zwei Reihen entlang des Tals platziert werden, um zu untersuchen, wie es um die Nagetierpopulation in diesem Jahr bestellt ist. In regelmäßigen Abständen halten wir an, um die Fallen inklusive Rosinen als Köder auszulegen. Um uns herum wird die Landschaft von der untergehenden Sonne golden gefärbt. Trotz der Nähe zu gut besuchten Wanderwegen und Bergstationen ist es hier völlig menschenleer.

Frische Gene als Chance

Špela ist das erste Mal in dieser Bergwelt unterwegs. Die Freiwilligenarbeit sieht sie als Möglichkeit, in Zukunft weitere Erfahrungen in der Feldforschung zu sammeln. »Ich freue mich darauf, die Polarfüchse hautnah zu erleben. Es sind faszinierende Tiere und es ist wichtig, ihnen durch die Forschung helfen zu können«, sagt sie. Karin hat zwar etwas mehr Bergerfahrung, gibt aber zu, dass es eine Herausforderung ist, so lange im Fjäll zu sein. »Es ist ein wenig beängstigend, wenn ich mir klar mache, dass ich einen ganzen Monat hier draußen sein werde, aber ich versuche in Etappen zu denken und beginne mit den ersten Tagen an diesem Bau«, sagt Karin.

»In der Feldforschung zu arbeiten, ist eine tolle Erfahrung und Herausforderung. Ich bin zwar noch etwas unsicher, wie es werden wird, aber ich bereue nicht, dass ich mich beworben habe und werde es sicher auch später nicht tun. Auch wenn es teilweise extrem anstrengend werden wird – wie jetzt mit den Mücken beispielsweise«, sagt sie und wehrt mit der Hand einige der hundert Moskitos ab, die blutrünstig um uns herumsurren.

Zurück in den Zelten ist es an der Zeit, sich auf die Aufgaben der Nacht vorzubereiten. Jeden Sommer versuchen die Freiwilligen, so viele Polarfuchswelpen wie möglich zu markieren. Ohrmarken sind eine Möglichkeit, den Überblick zu behalten, welche Individuen überleben und wie sie sich zwischen dem Bau und anderen Beständen bewegen, aber es ist auch eine Chance, die Genetik von Polarfüchsen zu untersuchen. »Wenn wir die Ohrmarke setzen, bekommen wir gleichzeitig ein kleines Stück Gewebe und damit alles mögliche an Informationen. Wir schauen uns unter anderem an, welche Rolle die Inzucht spielt. Wir haben gesehen, dass Füchse aus der Inzucht geringere Überlebenschancen haben und jetzt wollen wir herausfinden, welche Mutationen dabei eine Rolle spielen könnten«, sagt Malin. Denn die Polarfuchspopulation im Helagsfjäll ist eng miteinander verwandt. Nach ihrem starken Rückgang in den 80er und 90er Jahren ließen sich 2001 genau zwei Paare wieder in der Gegend nieder. In den Folgejahren siedelten sich noch drei weitere Fuchspaare an, bevor 2010 drei norwegische Polarfüchse hinzukamen.

»Durch die drei Einwanderer ging die Inzucht drastisch zurück, aber fünf Jahre später waren doch wieder 90 Prozent der Füchse aus allen Bauen miteinander verwandt. Es ist zwar effektiv, dass neue Füchse hinzukommen, doch es müsste ein größerer und konstanter Zufluss gewährleistet sein, damit der Genpool ausreichend vielfältig bleibt. Wir haben gesehen, dass es den Welpen der norwegischen Einwan- derer viel besser ging. Sie hatten es leichter zu überleben. Bereits in der nächsten Generation sind ihre Überlebenschancen jedoch wieder zurückgegangen«, sagt Malin.

Wiegen und Markieren

Wir müssen einen Bach überqueren, um zu dem Hügel zu gelangen, der den Bau beherbergt. Es riecht stark und ein wenig metallisch nach dem Urin der Füchse. Malin stellt einen Stahlkäfig in das üppige Gras. Speck und Tubenkäse dienen als Köder, um die Welpen dazu zu bringen, hineinzugehen. Wir schlafen in Schichten, um in der Lage zu sein, den Käfig im Auge zu behalten. Wenn ein Junges hineingeht, ist es wichtig, schnell zur Stelle zu sein, um unnötigen Stress zu vermeiden.

Fünf Jahre später waren 90 Prozent der Füchse wieder miteinander verwandt.

Die Stunden vergehen. Um drei Uhr wachen wir auf, ein Welpe steckt im Käfig fest. Die Morgendämmerung hat den Horizont bereits erhellt, als wir zum Bau hinabsteigen. Der kleine Fuchs schaut neugierig zu uns auf, als wir am Käfig ankommen. Mit geübten Handgriffen steckt Malin das Fuchsbaby in einen Sack und nimmt es mit, um es mit Špelas Hilfe zu wiegen. Die Waage zeigt 820 Gramm. Als Erwachsene wiegen die Polarfüchse zwischen zweieinhalb und fünf Kilo. Die Jungen in diesem Bau sind erst wenige Wochen alt. Malin öffnet vorsichtig den Sack und nimmt ein Öhrchen heraus, um das Markierungsschild anzubringen. Nach einer Minute ist es vorbei. Der Welpe wird freigelassen und verschwindet im Bau. Als wir zu unserem Zeltlager zurückkehren, hat das Sonnenlicht begonnen, über die Berggipfel zu klettern.

Unsichtbar und doch ganz nah

Für Karin und Špela war es der erste enge Kontakt zu einem Polarfuchs. Bald schon werden sie das Markieren der Ohren selbst übernehmen. »Ich habe eine Menge zu verarbeiten nach dieser Nacht«, sagt Karin, bevor sie sich für ein paar Stunden Schlaf im Zelt zurückzieht.

Als der Morgen kommt, hat ein weiterer Welpe seine Ohrmarke erhalten. Karin und Špela kehren bald darauf mit einer Handvoll toter Nagetiere zurück, die in den Fallen stecken, die gestern aufgestellt wurden. Die Funde gehen in die Statistik ein, bevor sie den Polarfüchsen überlassen werden. Jetzt warten noch weitere Tage an diesem Bau auf die Frauen, bevor sie zur nächsten Polarfuchsbehausung weiterziehen werden. Der kommende Monat wird gefüllt sein von wachen Nächten, Mückenstichen und geduldigem Warten – und hoffentlich noch vielen weiteren Begegnungen mit Polarfüchsen.

In den letzten Jahren hat die Polarfuchs- population glücklicherweise begonnen, sich zu erholen. In Schweden und Norwegen gibt es ungefähr 450 erwachsene Tiere. Doch selbst wenn es nur wenigen Privilegierten wie den Freiwilligen des Polarfuchsprojektes vorbehalten ist, in so engen Kontakt mit diesen Lebewesen zu kommen, kommt uns das kleine Raubtier häufig näher, als wir vielleicht denken. »Es gibt viele Baue, die man zwar von den Wanderwegen aus sehen könnte, aber verpasst oder nicht beachtet, weil man nichts über sie weiß«, sagt Malin. »Wenn du also hier im Helagsfjäll auf einer Wanderung unterwegs sein solltest, kannst du dir sicher sein, dass sich die Polarfüchse immer wieder auch in einem engen Radius zu dir aufhalten – und dich dabei stets fest im Blick haben«

Fuchsforschung

Die durchgeführte Forschung der Universität Stockholm dient dazu, herauszufinden, was getan werden muss, damit der Polarfuchs überleben und die Population wachsen kann. Der Einsatz umfasst das Füttern, die Kontrolle der Rotfuchspopulation, damit diese keine Polarfuchsgebiete übernimmt, und die Verringerung menschlicher Störungen in der Nähe der Baue. Neben eigenen Forschungsgeldern und der Unterstützung durch Unternehmen und Privatpersonen ist das Projekt in andere Großprojekte eingebunden, beispielsweise im EU-finanzierten Interreg-Projekt – einer Zusammenarbeit zwischen der Universität Stockholm, der Region Norrbotten, dem Norwegischen Institut für Naturgeschichte (NINA) und Metsähallitus in Finnland, das sich für den Erhalt von Naturwerten einsetzt.
su.se

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