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Freeriden mit dem Hundeschlitten

Das Beste aus beiden Welten? Oder eine verrückte Idee? Wir begeben uns mit Hundeschlitten in die Berge Lapplands, um auf Skiern verschneite Berge hinabzusausen.

In den Hundegehegen in Karhuniemi schlafen die Vierbeiner friedlich in ihren Hütten. Fabio Berlusconi und Lotta Ohlsson Petterson laufen in einem kontrollierten Chaos aus Schlitten, Seilen und anderem Hundegeschirr herum. Kiruna Sleddog Tours bietet hier im Winter Hundeschlittenerlebnisse für Touristen an. Lotta führt das Unternehmen zusammen mit ihrem Partner Mats Pettersson. Gemeinsam verfügen die beiden über langjährige Erfahrung im Hundeschlittentourismus und Schlittenrennen auf internationalem Eliteniveau, spezialisiert auf Langstrecken.

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Der Bergguide Carl Lundberg stößt zu uns. Er ist mit dem Nachtzug aus Stockholm angereist. In Schweden gilt er als Vorreiter für klimafreundliche Skitouren, bei denen der Transport in die Berge mit minimalen Emissionen erfolgt und die Gipfel aus eigener Kraft erklommen werden. Jetzt will er prüfen, ob er Skitouren organisieren könnte, bei denen die Fahrt mit dem Hundeschlitten ein Teil des Erlebnisses wird. Auf dem Papier klingt die Idee genial. Die langen Märsche im schwedischen Fjäll machen vielen Gipfeltourprojekten einen Strich durch die Rechnung, wenn man nicht auf Helikopter zurückgreifen möchte. Doch wie würde die Idee in der Praxis funktionieren? »Natürlich testen wir das!«, dachten Lotta und Mats.

Der Hundeschlittenführer Fabio zieht Anna und Carl mit seinem Huskyteam hinter sich zum Fuße des Berges. Welche Steigung mit den Schlitten dabei physikalisch möglich ist, muss das Team immer wieder testen.

Als Lotta und Fabio entscheiden, welche der 70 Hunde sie begleiten sollen, bricht ein ohrenbetäubendes Geheul aus – wie von wahnsinigen Wölfen. Sie wissen, dass jetzt etwas Spaßiges passiert – und nur 30 von ihnen dürfen mitkommen auf dieses neue Abenteuer.

Anker Lichten ins Ungewisse

Der Hundeanhänger ist fertig und die ausgewählten Hunde springen hinein. Als das Packchaos vorbei ist, steuern wir im Korso Richtung Abisko, dem Beginn unseres Abenteuers. Es gilt, viele Dinge zu beachten: Leinen, Seile, Anker und Karabiner müssen richtig sitzen, die Hunde müssen sich an bestimmten Stellen im Team befinden und ihr Geschirr muss die richtige Größe haben. Nicht nur die eigene Ausrüstung mit Verpflegung und Kleidung muss passen. Es muss auch alles dabei sein, was die Schlittenhunde für die kommenden Tage benötigen. 50 Kilo Futter, Decken, Näpfe, Seile und zusätzliche Gurte. Außerdem haben wir Gipfeltourequipment dabei. Skier, Schuhe und Lawinenausrüstung. Alles in und auf die Schlitten zu bekommen, wird zum Tetris-Spiel, begleitet vom wilden Geheule der Hunde.

Alles in und auf die Schlitten zu bekommen, wird zum Tetris-Spiel.

Wir lichten die Anker der Schlitten und geben den Vierbeinern ihr Startkommando. Im Nu wird das Heulen von konzentrierter Stille und peitschenden Windböen im Gesicht abgelöst. Es ist jedes Mal ein ebenso starkes Gefühl. Die Kälte der vergangenen Tage hat ihre Spuren im Birkenwald hinterlassen. Das Eis am Fluss Abiskojåkka kratzt hässlich unter den Kufen, als wir über Felsen fahren. Beim Bremsen fühlt es sich an, als würden sich meine Zähne lösen. Die Vibrationen machen meine Fußsohlen fast taub. Es ist wichtig, konzentriert zu bleiben, um nicht gegen Baumstämme zu stoßen, die Hunde im richtigen Moment zu bremsen oder anzuspornen und von keinem Zweig ins Gesicht gepeitscht zu werden.

Wir fliegen an Abiskojaure und Rovvidievvá vorbei. Die Schneedecke wird weicher, je weiter südlich und tiefer wir in die Bergwelt gelangen. Die Hunde sind dafür geboren, auf Schnee zu laufen. Ihre kraftvollen Körper arbeiten hart dafür, dass wir vorankommen und ich muss bremsen, damit es nicht zu schnell geht. Jegliches Trübsal ist wie weggeblasen, nun da alles so leicht geht. Als hätte ich nie etwas anderes gemacht, als mit dem Hundeschlitten über die weite Ebene zu fahren. Die Atemzüge der Hunde werden wie Nebelschwaden und ihre Pfoten trommeln gleichmäßig über den Schnee. Sie wollen nur eines: vorwärtskommen.

Fragen über Fragen

Die Hüttenwirte Ann-Mari und Per-Erik treffen uns in Unna Allakas. Sie kennen Lotta und Fabio schon lange und wir werden in der STF-Übernachtungshütte willkommen geheißen. Wir spannen alle Hunde aus und leinen sie an langen Drähten an, die zwischen den Bergbirken befestigt sind. Auf dem Gasherd wird Wasser erhitzt und die Vierbeiner bekommen ihr Futter, bevor sie zur Ruhe kommen und sich im Schnee zu einer Kugel zusammenrollen. Ihr dickes Fell und ihre kräftigen Pfoten halten sie in Kombination mit der energiereichen Nahrung die ganze Nacht warm.

Wir holen die Bergkarten heraus und brei- ten sie auf dem brüchigen Holztisch aus. Carl zeigt, welche Gipfel häufig von Helikoptern angeflogen werden. Manchmal schweben drei Hubschrauber gleichzeitig in der Luft, um Skifahrer zu transportieren. Das wollen wir nicht. Helikopter- und Motorschlitten-Skifahren hat in unseren Bergen in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Wer umweltfreundlicher in die entlegeneren Bergregionen gelangen will, ist auf eigene Muskelkraft angewiesen – und in unserem Fall auf die Hunde. Entlang unseres gesamten Gebirges erstrecken sich riesige Gletschertäler, weite Hochebenen, unberührte Flüsse, unzählige Seen, herrliche Gebirgszüge, Waldrücken, tief liegende Birkenwälder und sanfte Hügel mit alten Kiefern. Das Gebiet zwischen Unna Allakas und Alesjaure sollte sich sehr gut für Hundeschlittenfahrten und Gipfel-touren mit Skiern eignen, haben Carl, Lotta und Fabio befunden. Aber welcher Aufstieg ist mit einem Hundeschlitten physikalisch möglich?

Beim Bremsen fühlt es sich an, als würden sich meine Zähne lösen.

Und wie viele Hunde brauchen wir? Sollen wir ein einziges großes Gespann nehmen oder jeder sein eigenes? Können wir die Hunde einfach in den Bergen lassen, während wir Ski fahren? Im Laufe des Abends haben wir viele praktische Fragen zu klären.

Abfahrt in Milchschaum

Beim Frühstück haben wir uns entschieden. Carl und ich werden versuchen, uns von einem zehnköpfigen Hundeteam mit Fabio als Chauffeur auf unseren Skiern den Berg hinaufziehen zu lassen. Der Italiener ist ein erfahrener Hundeführer, er hat mehrere Saisons für Mats gearbeitet, war in Alaska unterwegs und hat mit Hunden an Wettkämpfen teilgenommen. Fabios Hundeschlitten wird uns schleppen, bis der Hang zu steil wird, dann lässt er uns los, umrundet den Berg und holt uns auf der anderen Seite wieder ab. Lotta bleibt in Unna Allakas und beaufsichtigt den Rest der Hunde.

Als das Frühstück verspeist, die Hunde gefüttert und die Stiefel angeschnallt sind, geht es los. Die ersten zweihundert Meter sind zu steil, als dass die Hunde uns hier hinaufschleppen könnten, also befestigen wir die Steigfelle unter unseren Skiern und stapfen Schritt für Schritt den Berg hinauf. Auf dem Plateau Snáraplahku angekommen, können wir unsere Ziehleinen an Fabios Schlitten festknüpfen. Fest umklammere ich das Seil und mit einem Ruck machen wir uns auf den Weg. »Fühlt es sich so an, wenn man Wasserski fährt?«, schaffe ich noch zu überlegen, dann bin ich nur noch damit beschäftigt, die Skier in der Spur zu halten.

Zuerst fühlt es sich leicht an, aber schon bald schmerzt es in beiden Händen und Füßen. Ich beiße die Zähne zusammen und nach ein paar Stunden nähern wir uns dem Fuß des Berges Coalmmeoaivi mit seinem 1 364 hohen Gipfel. Die Hunde ziehen stark, aber es geht mit jedem Höhenmeter langsamer. Am Ende funktioniert es nicht mehr. Das Team muss stoppen.

Der Auf- und Abstieg auf der anderen Seite des Berges sollte etwa drei Stunden dauern und unser Hundeführer erhält Anweisungen zum Abholort. Fabio ruft den freudig bellenden Huskies ein »Gee« zu, die internationale Zughundesprache für »rechts«. Der Leithund biegt ab und das Hundegespann gleicht einem Fächer, als es sich auf die Seite legt und sich zurück auf die Spur begibt, von der wir gekommen sind. Fabio und die Hunde verschwinden in einer Schneewolke.

Welcher Aufstieg ist mit einem Hundeschlitten physikalisch möglich?

Das tief stehende Licht lässt alle Konturen verschwimmen. Wir erkennen kaum, was oben und was unten ist. Beharrlich setze ich einen Fuß vor den anderen. Auf dem Gipfel des Coalmmeoaivi können wir die Umrisse der Berge um uns herum sehen. Die Wolken ziehen schnell und verdecken die Aussicht. Dank der Berg-, Schnee- und Lawinenkenntnisse von Carl fühle ich mich rundum sicher, obwohl es sich unter unseren Skiern so anfühlt, als wären wir in aufgeschäumter Milch unterwegs.

Glücklicher Italiener

Weit unten im Tal wartet ein winziger Punkt auf uns. Als wir uns nähern, wächst dieser zu einem glücklichen Italiener, einem Schlitten und zehn Hunden. Fabio hält seine Position mit dem gespann und wir haben Zeit, alle Vierbeiner zu begrüßen. Sie lieben den menschlichen Kontakt und verpassen keine Gelegenheit, einem das ganze Gesicht abzulecken.

Dass es den Hunden zu jeder Zeit gut geht, steht auf dem Trip an oberster Stelle.

Gemeinsam essen wir zu Mittag und planen die nächste Gipfeltour. Es muss ein angrenzender Berg sein. Morgen verspricht schlechtes Wetter, daher gilt es, den vielleicht einzig praktikablen Skitag zu maximieren. Fabio schleppt uns in Richtung Gárddecohkka, der 1 507 über dem Meeresspiegel liegt, und wird an derselben Stelle auf uns warten. Wir erklimmen den Bergrücken im Zickzack. Der Blick von oben auf die andere Seite des Alisvággi ist bis ins Rückenmark spürbar. Die mächtigen Berge und um Nállu, Visttas, Ceakca und Moarhmmá ragen in die Höhe und lassen die Wolken riesig erscheinen. Carl und ich stehen eine Weile da oben und genießen die Aussicht. Die Sonnenstrahlen zaubern einen herrlichen Glitzer auf den Schnee, den wir mit unseren Skiern hinab- gleiten. Die Fahrt hinter dem Schlitten zurück nach Unna Allakas dauert knapp zwei Stunden. Der ganze Körper schmerzt, als wir spät abends in der Hütte ankommen, doch wir schwelgen wie in Trance in den Erinnerungen des Tages.

Unfall am Berghang

In einem weglosen Land muss stets das Risiko abgewogen werden. Was passiert, wenn ich mich verletze? Was mache ich, wenn meine Ausrüstung kaputt geht und wie kriegen wir ein ganzes Hundegespann nach Hause, wenn alles den Bach heruntergeht? Ich bremse und halte den Schlitten so fest, dass meine Knöchel weiß werden und mein Kiefer verkrampft. Jede Zelle meines Körpers kämpft dafür, dass wir langsamer werden, aber die Hunde ziehen so stark auf dem Weg bergab und der Schnee ist weich. Wir sind auf dem Weg von Unna Allakas nach Alesjaure. Das Leben zieht an mir vorbei.

Ihre kraftvollen Körper arbeiten hart dafür, dass wir vorankommen.

Als die Schneemobilspur, der wir folgen, flacher wird, gewinne ich nach einer gefühlten Ewigkeit die Kontrolle über den Schlitten zurück. Fabio ist mit seinem Gespann ein Stück vor mir stehen geblieben und schaut auf die Bergkuppe, die wir gerade hinabgefahren sind. Ein paar hundert Meter hinter uns ist Lotta mit ihrem Team gestürzt. Sie liegt völlig regungslos im Schnee. Fabio fordert mich auf, anzuhalten und sein Hundegespann im Auge zu behalten. Er rennt den steilen Hügel hinauf in Richtung Lotta. Der Schnee ist weich und er muss ein paar Mal anhalten, um zu Atem zu kommen. Auch Carl hat seine Hunde gestoppt, das Team an einem hölzernen Wegkreuz festgebunden und rennt mit seinem Verbandssack auf Lotta zu. Die Minuten fühlen sich endlos an.

Das letzte Stück auf den Gipfel wird mit Steigfellen unter den Skiern zurückgelegt. Unfälle während der Tour gehören zum Risiko.

Eine halbe Stunde später kommt Lotta lang-sam den Berghang hinunter. Sie war mit ihrem Schlitten umgekippt und ein Schneeanker traf sie am Kopf, sodass sie eine Weile ohnmächtig geworden war. Carl hatte schnell einen Bodycheck durchgeführt. Alles schien in Ordnung zu sein. Als Lotta zu mir herunterkommt, hat sie Blut im ganzen Gesicht und einen Schnitt auf dem Nasenrücken, ihr Nacken fühlt sich etwas steif an, aber es ist nichts gebrochen. Sie lacht und schnaubt etwas Blut aus. Das war knapp. Wir entscheiden uns für einen Stopp an der Hütte Alesjaure, die nur einen Katzen- sprung entfernt sind. Wir müssen essen und die dringend benötigte Ruhepause einlegen.

Schneeverwehungen treiben am Nachmittag von den Bergspitzen hinab und mehr Gipfeltouren sind nicht möglich. Wir fahren mit den Hunden zurück durch den Birkenwald zu den Hütten in Abiskojaure, unserer letzten Station. Die Vierbeinder werden zwischen den Birken angebunden und jeder bekommt als Danke- schön für den Einsatz eine kleine Extra-Aufmerksamkeit, Streicheleinheiten hinter den Ohren und auf dem Bauch und ein Kuss auf die Nase. Es ist purer Luxus, die Liebe von 30 Hunden zu spüren. Sie gähnen und strecken sich, bevor sie Ruhe in ihrer Schlafgrube finden.

Abends essen wir Würstchen und trinken ein Glas Rotwein, ein Luxus, den man sich meist nur gönnen kann wenn es möglich ist, etwas schwereres Gepäck mitzubringen. Wir sprechen über unsere Erfahrungen der letzten Tage, Dinge, die wir dabei gelernt haben und darüber, ob wir etwas anderes hätten machen können und müssen. Hundeschlittenfahrten und Skitouren auf ein und derselben Reise erfordern unglaublich viel Logistik, Ausrüstung, Planung und nicht zuletzt Wissen über die Tiere. Sie sind Lebewesen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, Stärken und Stimmungen, sie können sich verletzen oder sogar entkommen. Aber dass es möglich ist, Hunde, Schlitten und Skier zu kombinieren, da sind wir uns einig. Mit den richtigen Vier- und Zweibeinern öffnet sich die grenzenlose Bergwelt für viele weitere Abenteuer.

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