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Sternchen des Mondtales

Verschlungene Bergpfade und ein perfektes Mikroklima zum Gärtnern. Im norwegischen Måndalen hat Extremsportlerin Emelie Forsberg ihren Platz gefunden und einige Eliteläufer dazu gebracht, ihr zu folgen.

In Norwegen gibt es über 1 000 Fjorde. An einem der längsten, dem 88 Kilometer langen Romsdalsfjorden, circa auf halbem Wege zwischen Trondheim und Bergen, befindet sich das kleine Dorf Måndalen (dt. das Mondtal). Zoomt man noch weiter in die Karte bis zu dem Ort, an dem die Straße endet und hohe Berge auf den Fjord treffen, erkennt man eine ehemalige Molkerei, umgeben von alten Kuhtrampelpfaden, die sich entlang der steilen Hänge schlängeln. Ein idealer Platz zum Leben, wenn man wie das Extremsportpaar Emelie Forsberg und Kilian Jornet die Berge als größte Leidenschaft im Leben hat.

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Emelie kam zum ersten Mal vor etwa zehn Jahren her. Und es war Liebe auf den ersten Blick. »Wow, hier möchte ich leben, dachte ich. Seitdem bin ich süchtig«, sagt Emelie und schaut aus dem Küchenfenster, während sie versucht, die Dinge in Worte zu fassen, die sie derart in den Bann ziehen. »Es ist so schön hier, mit unendlich vielen Gipfeln und sehr abwechslungsreicher Natur, die die unterschiedlichsten Trainingsmöglichkeiten zum Laufen bietet, sowohl technisch herausfordernde als auch leichtere. Und dann liegt unser Hof so herrlich zwischen dem Fjord und den Bergen. Es ist ein unglaubliches Freiheitsgefühl, einfach die Tür öffnen zu können und in diese Kulisse hinauszutreten.«

Auf ihren Trailläufen geht es oft durch sehr anspruchsvolles Terrain, doch es ist vor allem die spektakuläre Bergkulisse, die der Trailrunnerin immer wieder den Atem raubt.

Emelie und Kilian sind 2016 aus Chamonix nach Måndalen gezogen, mit der gegenseitigen Abmachung, dass sie das Leben hier probieren würden, jederzeit wieder bereit, zurück nach Frankreich zu ziehen, falls es einem von ihnen nicht gefallen würde. Heute können sie sich kaum einen besseren Ort auf der Erde vorstellen, nicht zuletzt seit die Familie gewachsen ist: Mittlerweile teilen sie sich ihren Hof mit ihren Kindern Maj, drei Jahre, Ylva-Li, die bald eins wird, einem Hund, einer Katze sowie vier altnordischen Wildschafen. »Ich fand, dass diese kleine Farm auch Tiere verdient hat«, sagt Emelie. »Es fühlt sich gut an, das Gras für unsere Schafe selbst zu mähen. Und weil sie so robust sind, können sie das ganze Jahr über nach draußen gehen.«

Wow, hier möchte ich leben, dachte ich. Seitdem bin ich süchtig.

Geerdet durch Anbau

Die schützenden Berge und warmen Winde vom Golfstrom schaffen ein günstiges Mikro- klima, das fast alles gedeihen lässt, was hier in die Erde gesetzt wird. Emelie hat seit Langem großes Interesse an der Kultivierung und die guten Wachstumsbedingungen waren ein weiterer Grund, warum das Paar hierherkam. Zwischen Schafstall und Wohngebäude prangen Stockrosen, Wicken und Sonnenblumen in Emelies selbst angelegtem Blumenbeet. Dazwischen hat die Familie einen großen Kartoffelacker, Beerensträucher, Obstbäume und Rabatte, in denen Erdbeeren, Mais, Kohl, Salat und Karotten sprießen.

»Als ich klein war, bewirtschafteten meine Oma und mein Opa eine Farm. Ich wollte schon immer auf einem Bauernhof leben. Mich fasziniert die Idee, autark zu sein, auch wenn wir noch einen langen Weg vor uns haben, was das angeht. Die Arbeit mit dem Boden bewirkt, dass ich mich selbst geerdet fühle«. Emelie Forsberg hatte schon immer eine enge Bezie- hung zur Natur. Sie ist in Härnösand an der Höga Kusten aufgewachsen und verbrachte fast ihre gesamte Freizeit im Wald. »Die Natur war einfach da, sie war mein Spielplatz. Ich denke, es hat mir den Willen gegeben, mich um sie zu kümmern.«

Die Arbeit mit dem Boden bewirkt, dass ich mich selbst geerdet fühle.

Auch Emelies Liebe zu den Bergen wurde an der Höga Kusten geweckt. Als Teenager war sie eine begeisterte Kletterin und Skifahrerin. Heute sind die Berge auch ihr Arbeitsplatz. Emelie Forsberg ist eine der erfolgreichsten Extremsportlerinnen Schwedens, mit WM- und EM-Titeln im Trailrunning, also im Langstreckenlauf im hochalpinen Gelände. Sie hat die Transvulcania gewonnen, ein Rennen auf La Palma, das als härtester Ultramarathon der Welt bezeichnet wird. Auch ist sie Mitglied der Schwedischen Nationalmannschaft im Skialpinismus, einem Sport, bei dem man mit Steigfellen unter den Skiern bergauf klettert und auf unbefestigtem Terrain abwärts fährt.

Nach zwei Schwangerschaften, die relativ nah beieinander lagen, hat Emelie gerade erst begonnen, wieder richtig zu trainieren, aber es war alles andere als selbstverständlich, dass sie weiter auf eine Karriere im Sportbereich setzen würde. »Während der zweiten Schwangerschaft habe ich viel Kraft verloren und fragte mich, ob ich überhaupt noch genug Motivation hätte, etwas Neues zu wagen. Ich habe sehr lange gezweifelt, ob es sich lohnt, aber eines Abends hatte ich plötzlich das starke Gefühl, dass ich versuchen möchte, zurückzukommen. Ich bin 35 Jahre alt und habe einige Freunde, die ihre beste Leistung erbracht haben, als sie ungefähr 40 waren, also denke ich, dass noch ein paar Jahre vor mir liegen.

Einfach zu sein (hier mit ihrem Hund Maui), ist eine wichtige Komponente für Emelie.

Internationale Laufsternchen

An diesem Tag hat sie gerade eine Trailrunningeinheit an ihrem Hausberg hinter sich gebracht, zusammen mit ihrer Trainingskollegin und Freundin Ida Nilsson. Auch Ida kann auf eine erfolgreiche Laufkarriere zurück- blicken und nahm sowohl an der Leichtathletik- EM als auch an der WM für die Schwedische Nationalmannschaft teil. Vor ein paar Jahren begann sie, sich für den Trailrun zu begeistern, entdeckte Måndalen und zog hierher.

Doch Emelie, Kilian und Ida sind bei Weitem nicht die einzigen Spitzensportler, die ihr Herz an Måndalen und die Berge ringsherum verloren haben: Auch der Norweger Sebastian Krogvig und Kirsten Amundsgard sowie das Paar Henriette und Jon Albon haben sich hier angesiedelt. In den letzten Jahren hat sich in Måndalen eine kleine Gemeinschaft von professionellen Bergsportlern und Outdoor-Enthusiasten niedergelassen, die im Einklang mit der Natur leben und arbeiten, Obst und Gemüse anbauen, gemeinsam kochen und sich gegenseitig in den Bergen anspornen.

Ida Nilsson lebt zusammen mit Johanna Åström in einem Haus in Åndalsnes, 15 Kilometer entfernt von Måndalen. Genau wie Emelie läuft Johanna im Sommer Trails und betätigt sich im Winter im Skialpinismus. Johanna begann sich für das Trailrunning zu interessieren, als sie als 19-Jährige aus Sundsvall, der Stadt in der sie aufwuchs, nach Funäsdalen zog. »Ich bin schon immer gerne gerannt und habe an Wettkämpfen im Orientierungs- lauf teilgenommen, als ich jünger war – war aber nie so gut im Kartenlesen. In Funäsdalen entdeckte ich, dass es möglich ist, auf Wanderpfaden joggen zu gehen, und dass man damit viel weiter kommt und so viel mehr zu sehen kriegt«, sagt Johanna. »Ich fordere mich gerne selbst heraus und das kann man hier in Norwegen wirklich – der höchste Berg in der Umgebung ist 1 800 Meter hoch. Und hier ist immer jemand da und trainiert mit, wenn du Gesellschaft möchtest. Wir, die wir hier wohnen, haben einen ziemlich einfachen Lebensstil und teilen die Leidenschaft für die gleichen Dinge. Wir kümmern uns um das, was die Natur zu bieten hat, und führen sicher ein langsameres Leben als Menschen, die in größeren Städten wohnen.«

Emelie wird philosophisch, als sie versucht, ihre Liebe für das Trailrunning zu erklären. »Es ist etwas Natürliches, Essenzielles einen Pfad entlangzulaufen. Ich glaube, dass wir Menschen das brauchen, gerade wenn man einen anspruchsvollen Job vor dem Rechner hat. Wir sind dazu gemacht, uns zu bewegen und das Bewegungsmuster des Laufens ist für den menschlichen Körper selbstverständlich.«

Es ist etwas Natürliches, Essenzielles, einen Pfad entlangzulaufen.

Dass ihr Leben in Måndalen aus viel mehr als nur Training besteht, zeigt auch das Buch Moonvalley Diaries, das Emelie Forsberg, Ida Nilsson und die Trainingskollegin Mimmi Kotka geschrieben haben. Darin teilen sie sowohl ihre Anbautipps und Rezepte als auch Gedanken zu anderen Dingen wie Sicherheit, Yoga, Schlaf, Handwerk und Sauerteig.

Ganzjährig der Natur nah

Außer dass Emelie und ihr Mann Kilian zwei kleine Kinder haben und sich um den Bauernhof kümmern, haben sie neben ihrer sportlichen Karriere noch weitere Verpflichtungen. Kilian betreibt eine eigene Stiftung namens Kilian Jornet Foundation, die sich für den Schutz der Berge einsetzt, während Emelie ihr eigenes Unternehmen Moonvalley gegründet hat, das unter anderem pflanzliche Energieriegel, Sportdrinks und Kaffee herstellt.

»Sowohl Kilian als auch ich machen gerne andere Dinge neben dem Sport und brauchen diesen Ausgleich. Ich erinnere mich allerdings an ein Jahr, in dem es alles wahnsinnig viel wurde und mir die ganzen unterschiedlichen Projekte regelrecht über den Kopf wuchsen. Ich fühlte mich sehr ausgebrannt. Mittlerweile haben wir realisiert, dass wir Zeit brauchen, um einfach nur zu sein. Es ist wichtig, sich zu trauen, nein zu sagen und nett zu sich selbst zu sein.« Deshalb versuchen Emelie und Kilian auch, ruhigere Familientage zu planen. Im Herbst pflücken sie gerne Pilze und Beeren oder machen ein Feuer und blicken in die Sterne. Im Winter unternehmen sie Skiausflüge mit den Kindern im Schlitten und im Sommer eine Gipfeltour mit den Kleinen in der Kraxe. Oder aber, einer nimmt die Kinder mit der Gondel auf den Berg und der andere kann auf einen Trailrun bis nach oben starten. »Der Frühling aber, ist die fantastischste Zeit im Måndalen. Dann ist es in den Tälern grün, während die Berge schneebedeckt sind. Wale kommen in den Fjord. Und es ist Zeit, mit dem Anbau und der Kultivierung von Pflanzen zu beginnen. Die Zeit, uns selbst an unserem Platz auf der Welt neu zu erden«, sagt Emelie.

Emelie Forsbergs Tipps für einen Trailrun

1 Denke am Anfang nicht an die Zeit, in der du eine Strecke schaffst, weil es auf so viel mehr ankommt wie die Beschaffenheit des Geländes, die Höhenmeter usw.

2 Hab Spaß! Erst recht bergauf, denn hier verbringst du die meiste Zeit.

3 Bringe dir immer eine zusätzliche Kleidungsschicht mit – das Wetter kann sich in den Bergen schnell ändern.

Emelies und Johannas Lieblingsrunde im Mondtal

Sju sjöar (dt. sieben Seen), die auf 27 Kilometern an sieben Gewässern vorbeiführt.

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